Die Hamburger Initiative „Yogahilft“ richtet sich gezielt an Gesellschaftsgruppen, die sonst kaum Zugang dazu haben.
„Wir trainieren hier nicht für Olympia“, sagt Cornelia Brammen und lächelt ruhig. Mit fünf weiteren Frauen sitzt sie auf Stühlen im Kreis. „Du hast schon viel erlebt mit deinem Körper. Du weißt, dass er bereits seit Jahrzehnten funktioniert“, erklärt Brammen mit warmer Stimme. „OMY“ steht auf ihrem weißen T-Shirt – Kurzform für „Oh My Yoga“. So heißt das Programm für Menschen 60 plus, das ihre Initiative Yogahilft an mittlerweile 13 Orten in Hamburg anbietet.
Seit 2014 verfolgt Brammen, von Haus aus Journalistin, die Mission, die stärkende und verbindende Kraft des Yoga sozial zu nutzen. Das heißt: Yoga ist bei ihr kein Lifestyle-Thema. Vielmehr bietet sie gemeinsam mit rund 45 Yoga-Lehrerinnen gezielt Kurse für alle jene an, die sonst finanziell und strukturell keinen Zugang zu solchen Programmen haben. Denen die geistigen und körperlichen Übungen aber umso mehr helfen: psychisch Erkrankte, Personen mit Essstörungen, Kinder in sogenannten Multiproblemlagen, pflegende Angehörige, Trauernde, traumatisierte, Geflüchtete und eben auch alte Menschen.
Yoga-Initiative in Hamburg: Kurse für Senioren direkt an ihren Lebensorten
Die Wirkungsstätten von Yogahilft sind Schulen, Frauenhäuser, Haftanstalten sowie zahlreiche Gebäude von mehr als 30 staatlichen und sozialen Kooperationspartnern. Denn Yogahilft geht direkt zu den Leuten vor Ort. Und das mit einem Mix aus Ehrenamt und Expertise. Brammens energiegeladenes Netzwerk erstreckt sich mittlerweile kreuz und quer durch die Stadt – und überregional bis nach München, wie sie auch in der neuen Folge des Abendblatt-Podcasts „Von Mensch zu Mensch“ erzählt.
Die OMY!-Kurse sind ganz bewusst als offenes, barrierearmes und kostenloses Quartiersangebot ausgerichtet und sollen somit auch jene aus der Isolation holen, die sich eine Yoga-Stunde aufgrund von Altersarmut nicht leisten könnten. Niemand muss irgendeine Art von Berechtigung vorlegen, alle 60plus sind willkommen. So wie an diesem Montagvormittag bei der Schiffszimmerer-Genossenschaft nahe Hagenbeks Tierpark.
Der Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss ist schlicht gehalten, doch Cornelia Brammen lädt den Ort schnell mit einer angenehm ausgleichenden Atmosphäre auf. Mit weichem Tonfall gibt die 60-Jährige klar verständliche Anweisungen. Tief ein- und ausatmen. Und zu sich kommen. Zugleich den Körper aktivieren. Und das Hirn ablenken, das sonst mitunter so übervoll vom Alltag ist. Knie und Ellenbogen begegnen sich über Kreuz. Die Arme rotieren ausgestreckt. Jede der Frauen übt nach ihren Möglichkeiten. Besonders wichtig: der Bewegung nachspüren. Sich selbst wahrnehmen.
Sich selbst zu wahrzunehmen ist in der älteren Generation nicht selbstverständlich
Mit einer Meditation führt Brammen dann noch tiefer in einzelne Körperregionen hinein. Es geht darum, all die Anspannungen loszulassen. Gemeinsam singt die Runde das Mantra „Sat Nam“, das so viel bedeutet wie „Wahrheit“ und „Identität“. Eine innerer Klang, der lange nachhallt. „Der erste Schritt ist immer, sich selbst zu sehen.
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Das ist gerade in der älteren Generation nicht selbstverständlich“, erklärt Cornelia Brammen nach der Stunde. Rosemarie, 84, pflichtet ihr bei: „Unsere Eltern mussten hart arbeiten.“ Kriegsende, Wiederaufbau, Wirtschaftswunder. Da blieb wenig Raum für individuelle Bedürfnisse. „Die Herzen gehen auf und viel fließt auch ab an Erinnerungen und Schmerzen“, erläutert Brammen die Effekte des Yoga.
Seit mehreren Wochen macht Rosemarie mit bei OMY!. Anfangs, erzählt sie, habe sie sich erst gewöhnen müssen an die Übungen. „Aber jetzt entspanne ich mich so sehr, dass ich im Anschluss erst wieder in der Realität ankommen muss.“ Und Ruth, 86, die direkt im Haus wohnt, erklärt: „Ich atme hier gerne durch.“
Das Angebot der Non-Profit-Organisation fördert die Gesundheit und die Prävention
Wie wertvoll diese gemeinsame Stunde ist, betont Viola L’Hommedieu, die bei der Schiffszimmerer-Genossenschaft soziale Programme und nachbarschaftliches Engagement koordiniert: „Die Menschen möchten so lange wie möglich in ihren eigenen Wohnungen leben können. Dafür sind Bewegung und Kontakte essenziell.“ Wichtig sei dabei, mit kompetenten Partnern zusammenzuarbeiten. So wie eben Yogahilft.
Seit 2023 besteht die Kooperation zwischen der Initiative und dem Wohnungsunternehmen, die sich die Kosten für die wöchentlichen Angebote an drei Standorten teilen. Wie viele gemeinnützige Non-Profit-Organisationen ist Yogahilft nicht nur auf ehrenamtliche, sondern auch auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Die Kosten werden bisher getragen über Einzelspenden, Fördermitgliedschaften und Stiftungen.
Cornelia Brammen wünscht sich jedoch, dass die Krankenkassen mit einsteigen. Denn ihrer Ansicht nach deckt Yogahilft den Bereich „Gesundheitsförderung und Prävention in den Lebenswelten“ bestens ab. Teilnehmerin Paulina, 74, ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr Yoga die Mobilität und Lebensfreude steigert: „Ich hatte fünf OPs und bin jetzt wieder viel fitter. Ich lerne jedes Mal etwas dazu. Außerdem sind wir Dank OMY! weniger einsam.“
Yoga-Angebot hilft auch Kindern in sozial und finanziell benachteiligten Umgebungen
Cornelia Brammen weiß selbst, wie sich schwere Zeiten anfühlen. In einer Lebenskrise samt Klinikaufenthalt entdeckte sie die Resilienz und Selbstwirksamkeit des Kundalini-Yoga neu für sich und beschloss, vor allem vulnerablen Menschen eine Teilhabe an dieser Praxis zu ermöglichen. Sehr empathisch und detailliert erzählt sie zum Beispiel von Kindern in sozial und wirtschaftlich stark benachteiligten Umgebungen. Mit Bindungsängsten, und im Überlebenskampf, im „Survivalmodus“. Und wie dann mit Yoga endlich Ruhe einkehren darf. In die Gruppe, in das gesamte Nervensystem. Eine emotionale Bildung.
Wenn Brammen kenntnisreich über Schulformen und Betreuungsschlüssel spricht, über dringend benötigte Zukunfts- und Entwicklungschancen, dann wird deutlich: Yogahilft ist kein schickes Nebenbei-Erlebnis, sondern ein strukturelles Angebot, das vielfältig und nachhaltig in die Gesellschaft hineinwirken will und kann. Stets mit dem Menschen im Fokus. Um ihre Philosophie zu veranschaulichen, zitiert Cornelia Brammen mit einem Augenzwinkern den Humoristen Karl Valentin: „Heute geh ich mich besuchen, hoffentlich bin ich zu Hause.“