Hamburg. Abschied vom Haus ist manchmal unumgänglich. Astrid Ott hat ihrer Mutter beim Einziehen in eine betreute Wohnung geholfen.

Die Journalistin Ursula Ott hat ihrer 87 Jahre alten Mutter 2016 gemeinsam mit ihrer Schwester beim Umzug geholfen und über diesen emotionalen Prozess ein Buch geschrieben. Es ist eine Mischung aus Biografie und Ratgeber für alle, die den Umzug ihrer Eltern noch vor sich haben – oder vor sich herschieben.

Hamburger Abendblatt: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie viel früher das Elternhaus hätten verkaufen sollen – aber sollten nicht die Eltern selbst den Weg vorgeben?

Ursula Ott: Es ist eine Entscheidung, die man natürlich im besten Fall zusammen mit den Eltern fällt. Meine Mutter alleine hätte es sicher nicht entschieden, sie hätte versucht, bis zum Ende im Haus zu bleiben. Doch wir beiden Töchter waren in Sorge, ob meine Mutter noch allein dort zurechtkommt. Und wir hatten jedesmal eine weite Anfahrt und konnten nicht oft genug bei meiner Mutter vorbeikommen, die immer schwächer wurde und zunehmend vereinsamte. Sie konnte nicht mehr Auto fahren, das Haus war wie eine Burg, aus der sie nicht mehr herauskam. Und sie hat es am Ende dann auch aus Liebe zu uns getan.

Viele alte Menschen haben einen Horror vor einem Seniorenwohnheim. Wie kann man ihnen den nehmen?

Ott: Meine Mutter lebt jetzt im betreuten Wohnen in einer Zweieinhalbzimmerwohnung, die natürlich viel kleiner ist als das Haus. Meine Mutter konnte sich das zuerst nicht vorstellen, mit so wenigen Möbeln auszukommen, doch seit sie dort wohnt, hat sie nie etwas vermisst. Und letzte Woche hat sie zum ersten Mal den roten Notfallknopf benutzt, der an einem Band um ihren Hals hängt. Sie hatte einen Schwächeanfall und sofort schaute eine Betreuerin nach ihr. Wir waren alle froh, dass sie in diesem betreuten Wohnen ist, denn in ihrem großen Haus hätte vielleicht tagelang keiner etwas bemerkt. Das wäre Horror gewesen.

Wann würden Sie raten, das Thema Umzug bei den Eltern anzusprechen?

Ott: So früh wie möglich und ich würde jeden Anlass dafür nutzen. Denn das erste Gespräch darüber wird nie zu einer sofortigen Entscheidung führen, das muss man häufiger ansprechen. Experten haben mir gesagt, dass alte Menschen sich nicht vorstellen können, in einer anderen Wohnung zu wohnen, das ist für sie zu abstrakt. Man muss etwas für sie organisieren, sie mitnehmen und mitten in eine betreute Wohnung stellen und fragen: „Kannst du dir so etwas vorstellen?“ Und entgegen allen Sprüchen können sich alte Menschen auch umgewöhnen, man kann bis zum Schluss lernen, neue Wege zu gehen. Meine Mutter hat ganz viel gelernt seither: Sie kann mit Fahrkartenautomaten umgehen, kocht andere Gerichte und hilft einem syrischen Jungen bei den Hausaufgaben.

Das Ausräumen eines Hauses steht bevor – wie fängt man am besten damit an?

Ott: Meine Strategie war, erst mal mit etwas Großem anzufangen, damit man schnell Erfolge sieht. Wir haben mit einem riesigen Schrank voller Gläser begonnen. Eine Psychologin riet mir, mit kalten Dingen anzufangen, also Gegenständen, die einen kaltlassen, wenn man sie anfasst, und die vielleicht nie benutzt wurden. Als Zweites haben wir Dinge weggeräumt, die wir verschenken konnten. Schwierig und langwierig wird es mit den Sachen, von denen man sich einfach nicht trennen kann, wie Tagebücher, Poesiealben, alles, was mit schönen Erinnerungen zusammenhängt und ein warmes Gefühl verursacht. Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle, man wird noch einmal mit der eigenen Kindheit konfrontiert. Manches haben wir mitgenommen, von anderem haben wir Fotos gemacht und es dann weggetan.

Ursula Ott ist Chefredakteurin des Magazins „Chrismon“ und hat ein Buch über die Umzugserlebnisse mit ihrer Mutter verfasst.
Ursula Ott ist Chefredakteurin des Magazins „Chrismon“ und hat ein Buch über die Umzugserlebnisse mit ihrer Mutter verfasst. © Lena Uphoff

Sie haben gemeinsam mit Ihrer Mutter das Haus geräumt? Wäre es nicht einfacher gewesen mit einem Entrümpler?

Ott: Meine Mutter ist mit uns durch die Zimmer gegangen, hat sich ihre Dinge rausgesucht und sich von dem Haus verabschiedet. Sie wollte nicht den Container vor der Tür sehen, in den die zerhackten Stücke der Schrankwand kommen. Einen Entrümpler sollte man deswegen am besten ohne die Eltern bestellen, denn der geht rabiat durch und sieht jede Menge wertlosen Kram, das ist furchtbar verletzend für die Eltern.

Sie haben für fast alle Gegenstände aus dem Haus Abnehmer gesucht und gefunden, ist das nicht sehr aufwendig?

Ott: Das hat was mit Nachhaltigkeit zu tun, es ist doch eine Ökoschweinerei, wenn man alles wegschmeißt. Die Sachen wie Bettwäsche, Tischdecken und Silberbesteck waren teuer und von guter Qualität. Die besten Abnehmer sind meiner Erfahrung nach Flüchtlinge, Haftentlassene und Frauen aus Frauenhäusern, die oft eine komplette Ausstattung benötigen. Gläser, Tassen und Nippes sind wir über die Kirche und karitative Einrichtungen wie Oxfam oder Sozialkaufhäuser losgeworden.

So manche aus dieser Kriegsgeneration verstecken im Keller vielleicht kompromittierende Gegenstände. Sie haben Urkunden mit Nazikreuzen von Ihrem Opa gefunden. Behalten oder wegwerfen?

Ott: Ich finde, man sollte auf keinen Fall Geld daraus machen und deshalb Dinge wie Waffen, Uniformen oder Tassen mit Hakenkreuzen darauf vernichten. Urkunden und Kriegsabzeichen können jedoch dabei helfen, die eigene Familiengeschichte aufzuarbeiten, denn oft wurde ja verschwiegen, dass der Opa ein Nazi war und vielleicht Schlimmes getan hat. Bevor die Fantasie mit einem davonläuft, würde ich nachforschen. Ich habe eine Historikerin interviewt, die gegen Honorar die Familiengeschichte recherchiert. Man kann ja diese Gegenstände auch nutzen, um mit der Mutter oder dem Vater ins Gespräch zu kommen. Es ist aufwühlend, wenn man das Gefühl hat, es gibt da ein Familiengeheimnis. Man sollte es aufklären, um damit abschließen zu können.

Geschwister bekommen sich bei einem solchen Auszug gern in die Wolle – wie kann man das verhindern?

Ott: Ich habe dazu mit einer Anwältin, einer Mediatorin, gesprochen. Die sagte, dass unter Geschwistern oft alte Rechnungen aus der Kindheit beglichen werden. Eine Mediatorin findet da häufig kreative Ideen, wie jeder zu seinem Recht kommt – und sei es über ein Losverfahren verschiedener Gegenstände.

Ist es emotional wichtig, an wen man das Haus verkauft?

Ott: Auf alle Fälle, eine Notarin hat uns erzählt, dass alte Menschen sich sehr viel leichter von ihrem Haus verabschieden, wenn eine junge Familie nachfolgt. Weil dann ein neuer Lebenszyklus beginnt. Ich finde es schön, dass in unserem Haus eine Familie mit Kindern wohnt und ein Hund durch den großen Garten tobt.

Ursula Ott: „Das Haus meiner Eltern hat viele Räume“, 2019, btb, 192 Seiten, 18 Euro