Mehr als die Hälfte aller deutschen Arbeitnehmer wünscht sich eine Auszeit vom Job. Wie so eine Auszeit aussehen kann.

Damit hatten die Manager des FC Liverpool nicht gerechnet. Jürgen Klopp, 47, bislang Trainer von Borussia Dortmund, gab ihnen einen Korb. Auch andere Fußballvereine erhielten von ihm eine Absage. Nach sieben emotionalen Jahren bei den Borussen, verkündete der Erfolgstrainer vor wenigen Wochen, wolle er sich nun eine längere Auszeit gönnen. Er müsse all die Ereignisse und Erfahrungen in aller Ruhe verarbeiten, bekannte er. Der Trainer – er will nicht mehr.

Was Jürgen Klopp jetzt in die Tat umsetzt, ist für jeden zweiten Arbeitnehmer in Deutschland immerhin ein Traum: für eine längere Zeit aus dem Berufsalltag auszusteigen. Einer Forsa-Umfrage des Bundesbildungsministeriums zufolge sehnen sich 57 Prozent der Arbeitnehmer nach einer solchen Auszeit. Sie heißt inzwischen – in Anlehnung an das biblische Wort „Sabbat“ (hebr.: ruhen) – Sabbatical. Gut zwei Drittel der Befragten möchten die Jobpause übrigens nutzen, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Andere träumen von einer Weltreise und von Erfahrungen, aus denen sie wieder neue Kraft schöpfen können. Wie St.-Pauli-Pastor Sieghard Wilm, der sein Sabbatical in Chile, Argentinien und Uruguay verlebt hat. Und am Ende feststellt: „Körperlich und mental bin ich stärker.“

Lesen Sie hier drei ungewöhnliche Geschichten von Sabbaticals:

Pastor Sieghard Wilm, St.-Pauli-Kirche

Anne Dewitz, Journalistin

Christina Rahtgens, Managerin

Was als neues Arbeitszeitmodell zunächst in den USA Furore machte und für Professoren mit akademischen Freisemestern in Deutschland begann, wird jetzt auch für viele Arbeitnehmer in Unternehmen, Behörden, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden interessant. Die Vorbehalte bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern gehen dabei zurück. Vor allem junge Leute fragen immer häufiger danach, ob Unternehmen auch ein Sabbatical-Modell anbieten, heißt es beim Hamburger Otto-Konzern.

Die kulturgeschichtlichen Wurzeln der Auszeit reichen bis in die Bibel und das alte Israel zurück. Weil Gott bei der Erschaffung der Welt am siebten Tage ruhte, ist auch seine Schöpfungsordnung von dem weisen Rhythmus von Arbeit und Ruhe beseelt. Mose, die Lichtgestalt beim Exodus aus Ägypten ins Gelobte Land, meißelte in Stein auch das dritte Gebot: „Du sollst (du wirst) den Feiertag heiligen.“ Die Zehn Gebote, das Grundgesetz der Menschheit (Thomas Mann), garantieren also für Mensch, Tier und Umwelt heilige Zeiten, in denen der Gläubige seine ganze Aufmerksamkeit dem Heiligen schenkt.

Im alten Israel gab es in der Landwirtschaft das Sabbat-Jahr

In der landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft des alten Israel erfährt die Siebenzahl eine kultische Erweiterung. Denn nun gilt das Ruheprivileg auch im Brachejahr und im siebten Jahr, dem Sabbatjahr. „Sechs Jahre“, heißt es bei 3. Mose 25, „sollst du dein Feld besäen und sechs Jahre deinen Weinberg beschneiden und die Früchte sammeln. Aber im siebten Jahr soll das Land dem Herrn einen feierlichen Sabbat halten. Da sollst du dein Land nicht besäen und auch deinen Weinberg nicht bearbeiten.“ Wie ökologisch sinnvoll ein solches bäuerliches Handeln ist, wird heute von der umweltorientierten Landwirtschaft längst bestätigt.

Das rabbinische Judentum regelte die Sabbatruhe mit einer Reihe von akribischen Vorschriften. Antike Texte aus Qumran belegen, dass am Sabbat nur kurze Wegstrecken gegangen werden dürfen. Auch solle man einen ins Wasser gefallenen Menschen nicht mit Geräten, sondern nur mit einem Kleid retten. Das Neue Testament überliefert dagegen, wie Jesus Christus zur Liberalisierung des jüdischen Sabbats aufforderte: „Der Sabbat ist ums des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbat willen“ (Markus 2, 27).

In der globalisierten Gesellschaft erfährt die religiöse Strukturierung der Zeit eine neue Interpretation. Der jüdische Bezugsrahmen ist nur noch sprachlich im Begriff „Sabbatical“ präsent. Auch verliert die religiöse Funktion an Bedeutung, die durch das Gebet zu Gott, das Studium der Heiligen Schrift und die Teilnahme am Gottesdienst markiert war.

Was heute im kollektiven Gedächtnis bleibt, ist die gewonnene Zeitspanne, auf die der Arbeitgeber keinen Zugriff hat. Dass gut drei Prozent der Arbeitnehmer sich inzwischen für ein Sabbatical entscheiden, bringt beiden Seiten Vorteile. Die Firmen können im Sinne einer Fürsorgepflicht etwas für die Erholung ihrer Mitarbeiter tun und gleichzeitig einen möglichen Personalüberhang minimieren. Und die Arbeitnehmer haben die Möglichkeit, in einem bestimmten Zeitraum ihre Träume zu leben, Kraft zu tanken und ihren Horizont zu erweitern.

Allerdings, sagt der christliche Wirtschaftsjournalist und Betreiber der Website „Karrierebibel“, Jochen Mai: „Einen Anspruch auf ein Sabbatical gibt es im Arbeitsrecht nicht. Es liegt also im Ermessen des Arbeitgebers, ob er ein solches Arbeitszeitmodell anbietet.“ In der Praxis haben sich mehrere Modelle etabliert. „Der einfachste Weg zum Sabbatical ist, unbezahlten Urlaub zu nehmen“, sagt Jörg Wiedemuth von der Gewerkschaft Ver.di. Darüber hinaus gibt es das von der Bundesregierung favorisierte Zeitwertkonten-Modell. Auf diese Weise werden Überstunden angespart. Später kann das Zeitguthaben ohne Einkommensverluste in Anspruch genommen werden. Außerdem bieten Firmen eine Teilzeit-Variante an: Wer einen Vertrag über eine 30-Stunden-Woche hat, arbeitet zum Beispiel 40 Stunden und nimmt später die erwirtschaftete Zeit für ein Sabbatical.

Wer sich für eine drei oder sechs Monate lange Auszeit entscheidet, sollte sie aber nicht auf dem Sofa sitzend verbringen. Am besten ist es, etwas Neues zu wagen. Jürgen Klopp will jedenfalls eines in dieser Zeit nicht machen: Fußballer trainieren.