Der 15 Jahre alte Justin Blacharczyk engagiert sich ehrenamtlich im Kursana Domizil Billstedt. Für beide Seiten ist das ein Gewinn.
Als Justin Blacharczyk das Zimmer von Zbigniew Langkamer betritt, geht ein strahlendes Lächeln über das Gesicht des polnischen Bewohners des Kursana Domizils Billstedt. Umgehend schaltet der 61-Jährige das Fernsehgerät aus und im Nu sind die beiden in ein Gespräch vertieft. Auf polnisch, denn auch die Familie des 15-Jährigen kommt aus Polen. Justin ist zweisprachig aufgewachsen. „Wir sprechen über Musik und Fußball und können viel miteinander lachen“, sagt Justin Blacharczyk. „Am liebsten mag ich es, wenn Herr Langkamer aus seinem Leben erzählt.“
Drei Monate ist es her, dass der Zehntklässler der Stadtteilschule Mümmelmannsberg in dem Pflegeheim sein einwöchiges Sozialpraktikum absolvierte. Geschichten aus dem Alltag kannte er von seiner Mutter Agnieszka, die im Haus als Pflegeassistentin arbeitet. Doch er selbst hatte früher kaum Kontakt zu alten Menschen. „Ich beurteile niemanden nach seinem Alter oder seiner Nationalität“, sagt Justin Blacharczyk. „Für mich zählt allein der Mensch. Da ich hier so viel Spaß hatte, wollte ich mich gern weiter an einem Nachmittag in der Woche im Domizil sozial engagieren.“
Toleranz ist wichtig in Justins Familie. Der Teenager ist in der niedersächsischen Kleinstadt Helmstedt aufgewachsen und als Zehnjähriger nach Hamburg gezogen. „Eine meiner ersten Erinnerungen an Hamburg ist, dass meine Eltern mit mir den Christopher Street Day besucht haben“, sagt er lachend. „Ich sollte die bunte Vielfalt der Menschen kennenlernen. Außerdem leben bei uns in Mümmelmannsberg Leute aus 30 Nationen, allein in meiner Klasse sind 50 Prozent türkischer Abstammung. Da muss man schon tolerant miteinander umgehen.“
Politik und Geschichte bezeichnet der Teenager als seine Leidenschaft. „Da sitze ich hier an der Quelle. Klar kann man im Internet über den Zweiten Weltkrieg nachlesen, aber hier erfahre ich gelebte Geschichte“, sagt er. Zusammen mit der Betreuerin Angelika Wilhelmi hat er schon mit den Bewohnern gekocht, an Spiele- und Bewegungsrunden teilgenommen und bei Ausflügen mit angepackt. Doch seine Höhepunkte sind die Nachmittage mit Biografiearbeit, wenn die alten Menschen von früher erzählen. „Viele sind am Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem Osten geflüchtet. Sie erzählen von ihren Ängsten, von ihrer unglaublichen Armut, aber auch, wie sie sich eine neue Existenz aufgebaut haben“, sagt Justin. „Dadurch kann ich besser verstehen, was die Flüchtlinge heute antreibt.“
Für die Pflege- und Betreuungskräfte im Kursana Domizil ist ihr jüngster Ehrenamtlicher ein Gewinn. „Unsere Bewohner genießen die Zeit mit ihm, weil er ihnen so gern zuhört“, meint Angelika Wilhelmi. „Justin bringt Leben ins Haus und hat durch seine offene, herzliche Art schon einige verschlossene Bewohner aus der Reserve gelockt.“ So auch Zbigniew Langkamer, der früher als wortkarg galt und kaum sein Zimmer verließ – er lässt sich jetzt öfter einmal bei den Veranstaltungen im Haus blicken.