Behinderte und Nichtbehinderte trafen beim Casting für die Aktion Mensch aufeinander. So auch Tobias Diakow und Klaus Becker aus Hamburg.

Hanna-Lotte Mikuteit

Es ist nur ein kurzer Moment. Ein junger Kerl, Typ lässiger Schwiegermutterliebling, steht schon vor dem weißen Hintergrund. Noch ein bisschen Puder ins Gesicht, da kommt der andere ins Bild. Deutlich älter, weißes Hemd unterm Pulli. Seine Arme enden kurz unter den Schultern. „Klaus“, stellt er sich mit einem selbstbewussten Lächeln vor. Und die Kamera hält den Augenblick der Überraschung im Gesicht seines Gegenübers fest. „Tobias“, antwortet dieser. Die beiden sind sich noch nie begegnet. Es ist das erste Mal. Die Hand geben sie sich nicht. Jetzt noch nicht.

Zu sehen ist die Sequenz in dem neuen Film „Das erste Mal“ der Aktion Mensch. Während eines Castings für einen Werbespot treffen Bewerber mit und ohne Behinderung aufeinander – unvorbereitet. So wie die beiden Hamburger, der Schauspieler Tobias Diakow und Projektleiter Klaus Becker. Der Fünf-Minuten-Streifen hält die ersten Reaktionen fest, eine persönliche Begegnung in Echtzeit – mal anrührend und herzlich, mal humorvoll, manchmal auch irritiert und befangen. Geht man in die Knie, um auf Augenhöhe mit einem kleinwüchsigen Menschen zu sein? Gibt man einem Mann, der Contergan-geschädigt ist, die Hand?

Die meisten Deutschen wollen das Miteinander, doch nur wenige leben es

Das frage ich mich, als ich mich mit Klaus Becker in einem Café an der Alster verabrede. Auch für mich ist es das erste Mal. Er ist vor mir da, sitzt schon an einem der kleinen Tische. Wir begrüßen uns, ganz selbstverständlich mit einem Händedruck. Warum habe ich mir darüber eigentlich Gedanken gemacht? „Es ist nicht schlimm, wenn man ein bisschen unsicher ist. Es ist ja nicht alltäglich, dass man einem Menschen begegnet, der kurze Arme hat“, sagt der 53-Jährige, der im Inklusionsbüro der Senatskoordinatorin für die Gleichstellung behinderter Menschen arbeitet. „Entscheidend ist, wie es dann weitergeht.“ Nachfragen findet Klaus Becker wichtig. Und: die Antwort ernst nehmen.

Hier ist das Casting-Video

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Die allermeisten Deutschen wollen das Miteinander, wenn man sie danach fragt. Tatsächlich hat nur ein Drittel der Menschen ohne Behinderung regelmäßig Kontakt zu Menschen mit Behinderung. „Die inklusive Gesellschaft ist bisher eine Vision, von der die Wirklichkeit noch weit entfernt ist“, sagt Armin von Butlar, Vorstand der Aktion Mensch. Der Begegnungsfilm zeigt das wie unter einem Brennglas. Doch es wird auch klar: Jede Begegnung kann ein Anfang sein – und ziemlich viel Spaß machen. Zum Beispiel wenn Anna, die inzwischen fast blind ist, ihrem Casting-Partner Klemens ins Ohr flüstert: „Sag mal: Bist du normal?“ Und als der stockt: „Oder hast du auch eine Behinderung? Ich kann dich ja nicht sehen ...“ Und Mathias kommentiert sein erstes Treffen mit Winfried schlagfertig. „Wird schon schattig, wenn er vor mir steht.“ Er ist kleinwüchsig und Goldmedaillengewinner bei den Paralympis 2013 in Lyon, der Mann vor ihm misst 1,90 Meter und macht Kung-Fu. Sportler sind sie beide.

„Es ist ein gelungener Blick hinter die Kulissen, der zum Nachdenken anregt“, sagt Tobias Diakow. Der 25-Jährige war zu dem Casting im Februar eingeladen worden. Als Schauspieler nichts Ungewöhnliches, nur dass er wie die anderen 39 Protagonisten keine Ahnung hatte, worum es eigentlich ging. Als er Klaus Becker dann nach stundenlangem Warten begegnete – wie es die Versuchsanordnung vorsieht direkt vor laufender Kamera –, sei er erleichtert gewesen. „Da kam so ein netter, freundlicher Mensch und wir konnten endlich die Szene spielen“, erzählt der Alsterdorfer, der in dem Kurzfilm „46/47“ schon mit Menschen mit dem Downsyndrom gedreht hat. Schließlich wurden er und Klaus Becker für einen der Lotteriespots „Macht glücklich – eventuell“ der Aktion Mensch ausgewählt. Er spielt darin einen jungen, ganz schön großmäuligen Angestellten, Becker seinen ziemlich coolen Chef.

Hier ist der Lotteriespot

Schon seit einigen Wochen läuft der Werbefilm im Fernsehen, aber der Film über das Making-of ist in diesem Fall das Spannendere. Schon mehr als 400.000 Menschen haben ihn im Netz gesehen. Er ist Teil der neuen Online-Plattform www.aktion-mensch.de/begegnung, auf der jeder Begegnungsgeschichten erzählen, diskutieren oder kommentieren kann. Wer ein Selfie in der Galerie der Begegnung hochlädt, gewinnt mit Chance auch noch etwas. In einem Schnelltest kann man sich bei seinen eigenen Vorurteilen ertappen. Die größte private Förderorganisation im sozialen Bereich will damit Begegnungen schaffen. „Inklusion beginnt in den Köpfen und Herzen der Menschen“, sagt der Aktion-Mensch-Vorstand von Butlar.

„Es war eine tolle Erfahrung“, sagt Tobias Diakow. Die Chemie zwischen ihm und Klaus Becker habe sofort gestimmt. „Die Behinderung hat gar keine Rolle gespielt.“ Auch Becker hat der Dreh „Spaß gemacht“. Er sieht seine Mitarbeit auch als Beitrag, um zu helfen, dass Menschen mit und ohne Behinderung ihre Scheu im Umgang miteinander verlieren. Der Abschied am Abend war dann übrigens sehr herzlich – mit einem kräftigen Händedruck.

Und es klappt auch darüber hinaus. Erst letztens, erzählt Klaus Becker, habe ihn ein Unbekannter am Bahnhof angesprochen, weil er ihn im Fernsehen gesehen hatte. „Er wollte ein Selfie mit mir.“ Klar, dass er das bekommen hat.

Der Kurzfim „Das erste Mal“ vom Casting wie auch der daraus entstandene Werbespot ist zu sehen unter: www.aktion-mensch.de/begegnungMan kann dort auch eigene Begegnungsfotos einstellen sowie einen Schnelltest machen.