Die beiden Ex-Minister gehen mit den Gegnern der Initiative “Wir wollen lernen“ hart ins Gericht. Ihr Urteil: “Sie sind hinter jeder Zeit.“
Hamburg. Die Primarschul-Befürworter von der Initiative "Chancen für alle" haben zum Start ihrer Kampagne für den Volksentscheid am 18. Juli prominente Unterstützer an ihre Seite geholt. Mit dem früheren Ersten Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD), Ex-Bundesbildungsminister, und der früheren Bundestagspräsidentin Prof. Rita Süssmuth (CDU), Ex-Bundesfamilienministerin, setzen sich zwei hochkarätige Bildungsexperten für die sechsjährige Primarschule ein.
Dohnanyi ging mit den Reformgegnern von der Volksinitiative "Wir wollen lernen" hart ins Gericht. "Historisch gesehen handelt es sich bei diesen Damen und Herren um Nachzügler. Sie sind hinter jeder Zeit", sagte von Dohnanyi. Das längere gemeinsame Lernen sei in der EU und in der OECD längst Standard. Nur in Deutschland, Österreich und Teilen der Schweiz erfolge die Trennung der Kinder schon nach der vierten Klasse. Die Primarschulgegner führten ein "Rückzugsgefecht".
Ihn, so von Dohnanyi, erinnerten die Argumente gegen die Primarschule an die Diskussionen vor Einführung der gemeinsamen vierjährigen Grundschule 1922/23. Damals wandten sich vor allem Akademiker und Besserverdienende gegen die Abschaffung der speziellen Vorschulen für das Gymnasium. "Die eher akademischen Eltern waren damals der Ansicht, dass ihre Kinder natürlich klüger als die anderen seien und besondere Schulen besuchen müssten", so der Ex-Bürgermeister. In Anspielung auf das Motto "Wir wollen lernen" sagte von Dohnanyi an die Adresse der Reformgegner: "Wenn sie lernen wollen, dann sollen sie es machen. Sie sollten lernen, wie gut längeres gemeinsames Lernen funktioniert."
Rita Süssmuth sprach davon, dass die Primarschulgegner eine Diskussion führten, die "dem Ständestaat entspricht". Das längere gemeinsame Lernen sei immer "politisch heiß umstritten" gewesen. "Wir Deutschen möchten sortieren", sagte Süssmuth. Das beginne schon in der Grundschule mit der Umschulung von Kindern auf Förderschulen. "Und an den Gymnasien gibt es einen Abschulungsprozess derer, die es dort nicht schaffen." Sinnvoller wäre es, diese Schüler gezielt dort zu fördern, wo sie Wissenslücken hätten.
Zentrales Argument für die Primarschule ist aus der Sicht Süssmuths und von Dohnanyis, dass in gemischten Gruppen die Stärkeren von den Schwächeren profitieren und umgekehrt. "Es gibt keinen Schultyp, der so erfolgreich arbeitet wie die Grundschule. Warum nicht verlängern, was gut ist?", fragte Süssmuth. Beiden Bildungsexperten ist der gesamte Rahmen der Schulreform wichtig: der individualisierte Unterricht, die Lehrerfortbildung oder die Zusammenarbeit von Gymnasial- und Grundschullehrern an den Primarschulen. "Hamburg ist auf dem richtigen Weg", sagte Süssmuth. Für von Dohnanyi ist es bemerkenswert, dass Senatsparteien und Opposition gemeinsam für die Reform eintreten.
Die Reformbefürworter wollen ihre Kampagne für die Primarschule unter das Motto "Die Schulverbesserer" stellen. Von Ende Mai an sollen Plakate und Info-Blätter ("Deine Stimme für meine Zukunft") für das Anliegen werben. "Derzeit ist noch offen, welche Stückzahl wir drucken werden", sagte Prof. Jobst Fiedler, Sprecher der Initiative "Chancen für alle". Das sei abhängig vom "Fundraising", das derzeit betrieben werde. Nach Angaben Fiedlers liegt der Etat der Initiative derzeit bei rund 50 000 Euro. "Aber wir hoffen noch auf deutlich mehr."
"Chancen für alle" will zu eigenen Veranstaltungen einladen. Zu der Diskussion, inwieweit der "Wahlkampf" in die Schulen getragen werden solle, sagte Fiedler: "Wir drängen uns nicht auf, kommen aber gerne, wenn wir eingeladen werden." Walter Scheuerl von der Gegeninitiative "Wir wollen lernen" fordert, dass auch Vertreter seiner Initiative an den Informations-veranstaltungen in mehr als 80 Schulen teilnehmen. "In diesem Fall kommen wir selbstverständlich auch", kündigte Fiedler an. Ihm gehe es um eine sachliche Debatte. "Wir wollen die Schulen nicht mit Kampagnen überziehen." Seit dem Start der Initiative im Januar ist die Zahl der "Aktivisten" auf rund 350 geklettert. "Wir werden in jedem Stadtteil vertreten sein", so Fiedler. Zu den Unterstützern zählen auch Studio-Hamburg-Chef Martin Willich (CDU), Ex-Schulsenatorin Rosemarie Raab und Ex-DGB-Chef Erhard Pumm (beide SPD).