Das Projekt soll Schülern aus sozial schwachen Stadtteilen Konzertkultur spielend näherbringen. In der Laeiszhalle findet der Abschluss statt.
Hamburg. Ein Instrument haben Serhat Cevik und Lavdim Ajrulahi noch nie in der Hand gehabt. Klassische Musik kennen die beiden Elfjährigen nicht. Mozart, Chopin, Beethoven sind für sie Namen, deren Klang ohne Bedeutung ist. Hiphop und Rap, damit können sie was anfangen. Aber Klassik?
Es ist Vormittag, elf Uhr. Serhat und Lavdim sitzen mit 24 weiteren Schülern der Klasse 6c im Kunstraum des Gymnasiums Kirchdorf. Gemeinsam wollen sie ein Klangkonzert komponieren. Ein Stück von Schülern für Schüler, das am 20. März in der Gesamtschule Mümmelmannsberg startet und am 27. Juni in der Laeiszhalle seinen krönenden Abschluss finden soll.
Dafür haben sich die Schüler auf Klangsafari durch die Stadt begeben. Haben die Geräusche am Hafen eingefangen, die nun im Stück verarbeitet werden sollen. "Wir haben uns die Frage gestellt, wie man die Stadt in musikalischen Bildern darstellt", sagt Annika Schmitz. Die 31-Jährige ist Musikvermittlerin und im Auftrag der Elbphilharmonie in den Schulen unterwegs. "In vier Konzerten kombinieren wir Musikstücke zum Thema Stadt mit urbanen Klängen und Geräuschen, die im Vorfeld gesammelt und aufgenommen wurden."
Immer an ihrer Seite ist Schauspieler Georg Münzel (41) in der Rolle des Dr. Sound, der auf der Suche nach neuen, unbekannten und aufregenden Klängen ist. Seine Suche geht von Mümmelmannsberg und Jenfeld über Wilhelmsburg bis nach Altona.
Initiiert wurde das Projekt "Junge Töne" von der Elbphilharmonie. "Unser Anliegen ist, junge Menschen für die klassische, aber auch moderne Musik zu gewinnen", sagt Sprecherin Nataly Bombeck. "Dabei geht es vor allem um Schüler mit Migrationshintergrund und aus sozial schwachen Stadtteilen." Um Schüler wie Cemal, Amine, Feyza, Melda, Fatma, Emine und Asyak. Sie sprechen deutsch und türkisch, leben in Wilhelmsburg, Kirchdorf und auf der Veddel. Sie kennen Bushido, Rihanna und die Stars von "Deutschland sucht den Superstar". In einer Konzerthalle jedoch haben sie noch nie Platz genommen. Live-Musik ist ein Fremdwort für sie. "Jetzt ganz nah dran zu sein, an einem Auftritt mitzuwirken, sich mit Rhythmus, Melodien und Klängen auseinanderzusetzen, ist für die Schüler ein neues Erlebnis", sagt Musiklehrerin Jantje Egermann (31). "Die Schüler schaffen etwas selbst und lernen gleichzeitig Konzertkultur kennen."
Die Begeisterung bei den Elf- und Zwölfjährigen ist groß. "Wir waren im Hafen, haben Möwengeschrei und Akkordeon, das Plätschern der Elbe und das Brummen der Containerbrücken aufgenommen", sagt Jennifer Kallweit (11). "Das hat Spaß gemacht, weil es sich gar nicht wie Schule anfühlt", ergänzt ihre Freundin Fatma Gül Kurt.
Spielerisch soll der Unterricht sein, interaktiv. "Unser Ziel ist es, die Schüler für ihren akustischen Alltag zu sensibilisieren", sagt Annika Schmitz. Fünf Schulen beteiligen sich an dem Pilotprojekt. Sammeln Geräusche von Hafen und Dom, U-Bahn und Autobahn. Die Schüler suchen die besten aus, diese werden dann von Oberstufenschülern des Max-Brauer-Gymnasiums bearbeitet und zu vier musikalischen Theaterstücken zusammengestrickt. Doch die Schüler stehen auch selbst auf der Bühne. Beim Training mit Dr. Sound, alias Georg Münzel, lernen sie, ihren Körper bewusst wahrzunehmen, sich auf der Bühne zu bewegen, laut und deutlich zu sprechen, präsent zu sein. "Die Schüler sollen ein Gefühl für die eigene Körperlichkeit bekommen", sagt Georg Münzel.
Ihren ersten Auftritt als "Klangagenten" haben Cemal, Amine, Feyza, Melda, Fatma, Emine und Asyak am 20. März um 15. 30 Uhr in der Aula der Gesamtschule Mümmelmannsberg. Insgesamt stehen vier Konzerte auf dem Programm. Begleitet werden die Schüler vom Schlagquartett ElbtonalPercussion, von Streichern des Ensemble Resonanz, dem Berliner Saxofonquartett clair-obscur und zum Abschluss von den Hamburger Symphonikern. Für die Schüler sind das alles Fremdwörter. Noch.