Norderstedt. Diebe hatten sich durch die Decke der Sparkasse gebohrt und 600 Schließfächer geknackt. Wie es für Betroffene jetzt weitergeht.
In der Schalterhalle herrscht reges Treiben. Drei Wochen nach dem spektakulären Einbruch in die Bank, bei dem in der Haspa-Filiale an der Rathausallee in Norderstedt 600 Schließfächer ausgeräumt worden sind, kehren die Bankmitarbeiter an ihre Arbeitsplätze zurück. Die Spurensicherung der Polizei und die Handwerker sind verschwunden.
Noch versperrt eine Stellwand die Sicht zum Tresorraum im Erdgeschoss. Auch sie wird verschwunden sein, wenn die Bankberater am Montag endlich wieder die ersten Kunden in der Filiale begrüßen werden, um mit ihnen ihre Schließfächer zu inspizieren.
Die Haspa in Norderstedt kehrt zur Normalität zurück. Ein Sicherheitsmann bewacht den Eingang zu den Geldautomaten. Die sind schon seit einigen Tagen wieder frei zugänglich. "Bei vielen unserer Kunden herrscht eine sehr hohe emotionale Betroffenheit. Oftmals stecken ganze Lebensgeschichten hinter den Inhalten der Schließfächer“, sagt Haspa-Filialdirektor Jan-Göran Schümann.
Bankraub Norderstedt: Haspa öffnet wieder für ihre Kunden
Ihm und seinen Mitarbeitern geht der Bankraub ebenfalls sehr nahe, das ist zu spüren. "Wir versuchen unseren Kunden jetzt erst einmal Orientierung zu geben und Hilfe anzubieten“, sagt Schümann.
Am Montag hatten die Haspa-Mitarbeiter im Beisein eines Notars erstmals seit dem Schließfach-Coup wieder Zugang zum Tresorraum. Bis dahin war der Tatort polizeilich beschlagnahmt. "Erst da konnten wir eine Abgrenzung machen, welche Schließfächer und welche Kunden tatsächlich vom Bankraub betroffen sind“, sagt der Filialleiter.
Kundenberater und ein Notar beantworten Fragen
Am Freitag hat die Haspa damit begonnen, Termine mit Kunden zu vereinbaren, damit sie geordnet in den Schließfachraum gehen können. "Ab Montag besteht für unsere Kunden auch die Möglichkeit, ihre augenscheinlich intakt gebliebenen Schließfächer ohne Termin spontan und gegebenenfalls mit Wartezeit zu sichten“, betont Dörte Martens, Haspa-Regionaldirektorin Nord. Ein Kundenberater und ein Notar werden dabei sein, um Fragen zu klären.
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Sollte sich herausstellen, dass ein scheinbar intaktes Fach etwa durch Wasser oder Rauch doch in Mitleidenschaft gezogen worden sein sollte, biete die Haspa ihren Kunden an, ihre Wertgegenstände und Dokumente gegebenenfalls in einem freien Bankfach in einer Haspa-Filiale in der Nähe unterzubringen – und sie auf Wunsch auch persönlich dorthin zu begleiten.
Haspa nimmt Kontakt zu den betroffenen Kunden auf
Obwohl die Bankräuber während ihres beispiellosen Coups die Hälfte der 1200 Schließfächer geknackt hatten, hätten 95 Prozent der Kunden auch nach dem Bankraub weiter Vertrauen zu ihrer Bank, sagt Schümann. "Wir erleben in dieser herausfordernden Zeit sehr viel Zuspruch. Dafür bedanken wir uns bei den Norderstedtern.“ Die Situation sei auch für ihn und seine Mitarbeiter alles andere als einfach.
"Es ist jemand in unser Herzstück eingedrungen. Jeder, der schon einmal einen Einbruch in sein Haus oder seine Wohnung erlebt hat, kennt das Gefühl, dass jemand die privateste Intimsphäre verletzt hat. So ist es auch bei uns: Das Gefühl, das Unmögliche ist möglich geworden.“
Um festzustellen, was sich in den aufgebrochenen Schließfächern befand, werde die Haspa telefonisch mit betroffenen Kunden in Kontakt treten und ihnen innerhalb der nächsten zwei Wochen in den Hamburger Filialen am Adolphsplatz und an der Langenhorner Chaussee Gespräche anbieten.
Bankräuber gingen besonders dreist vor
"Bei den Gesprächen werden erfahrene Kundenberater und Führungskräfte sowie ein Notar oder Notargehilfe dabei sein und Hilfestellung leisten“, sagt Dörte Martens. "Es taucht auch oft von Kunden die Frage auf: ,Ist denn alles aus den aufgebrochenen Schließfächern weg?‘“, ergänzt Schumann. "Ist es natürlich nicht. Es wurde von den Tätern vieles aussortiert und zurückgelassen. Wir sind dabei, die Dinge zu katalogisieren und versuchen, sie den betroffenen Kunden zuzuordnen.“
Die Bankräuber waren hochprofessionell vorgegangen: Sie mieteten sich in leerstehenden Praxisräumen über dem Tresorraum der Bank ein, durchbohrten von dort aus mit einem Kernbohrer die dicke Stahlbetondecke des Schließfachraums. Anschließend gelangten sie, vermutlich am Sonnabend, 7. August, von dort durch das Loch in den Tresorraum und schlugen zu. Seitdem fehlt von ihnen und der Beute jede Spur.
Besonders dreist: Als die Polizei den Tatort am Sonntagnachmittag bereits versiegelt hatte, kehrten die Täter noch einmal zurück und setzten die Gewerberäume im Obergeschoss in Brand. Vermutlich, um Spuren zu beseitigen. Eine Masse aus glitschigem Staub, Schutt und Geröll und zahllose Gegenstände und Dokumente lagen nach dem Coup verstreut auf dem Boden des Tresorraums.
Warum haben die Alarmsysteme nicht ausgelöst?
"Es war ein Chaos“, sagt Schümann. Nachdem ihm ein Mitarbeiter am Sonntag nach dem Einbruch mitgeteilt hatte, Wasser rinne aus dem Tresorraum, sei er zunächst von einem Wasserschaden ausgegangen. Er sei daraufhin sofort in die Filiale gefahren. Zusammen mit der Polizei habe er einen kurzen Blick durch die Gittertür in den Tresorraum werfen können, auf dessen Boden Dokumente verstreut lagen.
Polizei sucht Fotos
- Die Polizei arbeitet mit einem Großaufgebot daran, den zahlreichen Hinweisen zum Bankraub nachzugehen.
- Zudem wurde das Internet-Portal der Landespolizei Schleswig-Holstein für Zeugenhinweise freigeschaltet.
- Ab sofort können Anwohner und Zeugen auf https://sh.hinweisportal.de/ Fotos und Videomaterial unter „Einbruch HASPA-Filiale Norderstedt-Mitte“ hochladen.
Von besonderem Interesse sind Aufnahmen, die in der Straße Beamtenlaufbahn und den dortigen Tiefgaragen innerhalb des vergangenen halben Jahres gemacht worden sind. Die Polizei weist darauf hin, dass die Hinweise anonym erfolgen können, Angaben zur Identität des Hinweisgebers sind freiwillig.
Für allgemeine Hinweise sind die Ermittler des Sachgebiets 5 unter Telefon 04101/2020 weiterhin erreichbar
Warum die Alarmsysteme nicht ausgelöst haben, ist die große Frage. "Das, was hier in der Filiale an Sicherheitssystemen verbaut war, ist State of the Art. Alles wird ständig überprüft, um auf dem neuesten Stand zu sein“, versichert Schümann. "Wir sind gespannt, was die Polizei zum Tathergang herausfinden wird.“
Haben die Räuber das Sicherheitssystem überlistet?
Nachbarn hatten kurz nach dem Bankraub berichtet, sie hätten in den Tagen vor dem Einbruch immer wieder typische Geräusche wie von Handwerkern aus den leerstehenden Praxisräumen vernommen. Sie hätten sich nichts Besonderes dabei gedacht. Morgens, mittags und abends sei es ruhig gewesen, erzählt ein Gastwirt, bei dessen Gästen der Einbruch in die Bank auch drei Wochen nach der Tat immer noch Thema ist. Waren die Täter, die sich offensichtlich sehr gut auskannten, also nur tagsüber "handwerklich“ aktiv – während der regulären Öffnungszeiten der Bank?
Haben sie das Sicherheitssystem überlistet, indem sie womöglich einen Stromausfall herbeiführten und damit die Übertragung des Alarms durch die Telefonanlage unterbunden? Fakt ist, dass sie unbemerkt durch das Loch in den Tresorraum hinabstiegen und entkommen konnten, als sich die Haspa-Mitarbeiter im Wochenende befanden. Die Polizei macht aus ermittlungstaktischen Gründen keine weiteren Angaben zum möglichen Tathergang.
Haspa-Kunden sollen Inventarliste anfertigen
Für die Haspa-Mitarbeiter geht es jetzt erst einmal darum herauszufinden, was sich in den einzelnen Schließfächern befand. Eine Inventarliste könne da sehr hilfreich sein, betont Dörte Martens. Die könnten Inhaber oder Familien, die das Fach besitzen, ausgefüllt mitbringen. "Wenn ich weiß, da ist ein Kraftfahrzeugbrief, Sparbücher oder auch ein Testament drin, können wir das mit den unter notarieller Aufsicht gefundenen Dokumenten abgleichen und wollen es den Eigentümern natürlich so schnell wie möglich zurückgeben“, sagt die Regionalleiterin.
Warnung vor falschen Polizisten
- Die Polizei in Norderstedt registriert seit einigen Tagen vermehrt Anrufe verunsicherter Bürger, die durch ,"falsche Polizeibeamte“ kontaktiert worden sind. Die vermeintlichen Kriminalbeamten gaben vor, mit den Ermittlungen zum Einbruch in die Hamburger Sparkasse betraut zu sein.
- Die angeblichen Ermittler gaben sich sowohl als Beamte der Polizei Norderstedt als auch des LKA Hamburg aus. Die Angerufenen wurden gebeten, eine der besagten Polizeidienststellen zu einem vereinbarten Termin aufzusuchen, um sich unter anderem Bilder von Tatverdächtigen anzusehen.
- Die Hintergründe der Anrufe und die mögliche Motivlage der Täter sind unklar. Auffällig ist, dass vor allem ältere Menschen angerufen wurden.
- Es sei nicht auszuschließen, dass der oder die Täter Betroffene aus ihrem Haus oder ihrer Wohnung locken wollten, um möglicherweise in ihrer Wohnung Straftaten zu begehen, sagt Polizeisprecher Lars Brockmann von der Polizeidirektion Bad Segeberg.
- Die Polizei rät in allen Fällen, sich den Namen und die Rufnummer des angeblichen Beamten zu notieren und seine Identität über die Polizei in Norderstedt überprüfen zu lassen. Sie ist unter Telefon 040/52 80 60 zu erreichen
"Oft höre ich von Kunden, dass sie keine Fotos von eingelagerten Wertgegenständen haben“, sagt Schümann. "Ihnen empfehle ich, nach alten Familienfotos zu schauen, auf denen etwa die Großmutter das Schmuckstück getragen hat, was man durchaus als Beschreibung werten kann. Oder eine einfache Skizze anzufertigen. Viele haben eine sehr genaue Vorstellung davon, wie ein Schmuckstück ausgesehen hat.“
Das sei wichtig, um zu schauen, ob noch etwas da ist oder nicht. Damit die Haspa entsprechend an die Versicherung herantreten könne. Parallel dazu lohne es sich auch zu schauen, wie man sonst abgesichert ist, so Schümann. Auch die Hausratversicherung könne ein Ansprechpartner für Schadenersatz sein. In der Regel ist ein Schließfach bei der Haspa bis 40.000 Euro versichert. Alles, was darüber hinausgeht, kann zusätzlich versichert werden.
Ein klares Haftungsbekenntnis gibt die Haspa bisher nicht
Ein Fachanwalt für Versicherungsrecht und Spezialist im Haftpflichtrecht aus Buchholz, der vor zwei Jahren zahlreiche Geschädigte eines ähnlichen spektakulären Schließfachraubes bei der Sparkasse Harburg-Buxtehude in Buchholz beraten und vertreten hatte, hatte, wie berichtet, nach aktuellen Anfragen von zahlreichen Haspa-Kunden in Norderstedt vor einer möglichen Hinhaltetaktik des Geldinstituts gewarnt. Ein klares Haftungsbekenntnis, wie es sich der Anwalt von der Haspa wünscht, kann Schümann nicht geben.
"Was ich sagen kann ist, dass wir alles versuchen, unsere Kunden in dieser Situation möglichst hilfreich zu begleiten. Unser Bestreben ist es, unsere langfristigen Kundenbeziehungen aufrechtzuerhalten und gemeinsam Wege zu finden. Was wir für eine Schadensregulierung brauchen, ist immer ein Gefühl ,Was war drin? Das muss man sich im Detail anschauen.“
"Wir machen den Kunden ein Angebot, zusammen mit einem unserer Berater und gegebenenfalls begleitet von einem Notar zu sprechen“, ergänzt Dörte Martens. Dass sie und ihre Mitarbeiter dabei alle Facetten von „Danke dafür“ bis „Ich bringe gleich meinen Anwalt mit“ erleben werden, sei ihr durchaus bewusst.
Haspa-Filiale öffnet bald wieder für alle Kunden
Dass ein so gravierendes Ereignis wie dieser Raub menschlich zutiefst erschütternd ist, sei allen klar. Gleichwohl müsse man versuchen, Schritt für Schritt wieder auf eine sachliche Ebene zurückzufinden, auf der man gemeinsam arbeiten könne. "Wir ducken uns nicht weg. Wir waren schon am nächsten Tag nachdem es passiert ist, sofort wieder für unsere Kunden da und standen ihnen vor unserer Filiale Rede und Antwort“, betont Schümann.
Wenn alles gut läuft, wird die Haspa-Filiale in einer Woche wieder für alle Kunden öffnen. Ganz vorbei ist der Spuk damit noch nicht. "Die nächsten zwei Wochen werden wir uns darauf fokussieren, in erster Linie den Kunden, die hier ein Schließfach haben, zu helfen“, sagt Schümann. Spätestens am 6. September werde die Filiale wieder für alle Kunden öffnen, um dann "zeitnah wieder in einen möglichst normalen Betrieb“ übergehen zu können.