Hamburg. Bruno D. war SS-Wachmann in Stutthof. Im Prozess schilderten Mediziner, wie sich tödliche Krankheiten im KZ verbreiteten.

Gefangene, die durch Hunger, Kälte und harte körperliche Arbeit geschwächt waren, dazu entsetzliche hygienische Verhältnisse: Als im Konzentrationslager Stutthof im November 1944 eine Fleckfieberepidemie ausbrach, hatten die Insassen des Lagers der tückischen Krankheit kaum etwas entgegenzusetzen. „Bei Unterernährung liegt die Sterblichkeitsrate bei Fleckfieber bei mindestens 60 Prozent“, erläuterte am Montag ein Sachverständiger im Prozess gegen den früheren SS-Wachmann Bruno D.

Schon unter günstigeren Umständen verlaufe bei rund 30 Prozent der Infizierten die Krankheit tödlich, sagte Prof. Dennis Tappe, Facharzt für Mikrobiologie und Infektiologie. In Stutthof sind Quellen zufolge allein etwa 5000 Menschen durch die Epidemie verstorben. Insgesamt ermordeten die Deutschen etwa 65.000 Menschen in dem Konzentrationslager bei Danzig. Weil der 93 Jahre alte Bruno D. als Wachmann in den Jahren 1944 und 1945 als „Rädchen der Tötungsmaschinerie“ der Nazis an dem Grauen mitgewirkt haben soll, wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vor.

Fleckfieber-Erkrankte wurden zusammen mit Gesunden eingesperrt

Fleckfieber gehöre zu den Erkrankungen, „die in allen Kriegsjahren in Europa von großer Bedeutung waren“, sagte der Sachverständige am Montag. In unkomplizierten Fällen dauere die Krankheit etwa zwei Wochen, bei geschwächten Menschen viel länger. „Es geht los mit hohem Fieber“, das die ganze Zeit bei mindestens 40 Grad liege. Hinzu kämen Kopfschmerzen und ein starkes Krankheitsgefühl. Es könne auch zu Hirn- und Lungenentzündung kommen und das Herz befallen werden. Die Fleckfieger-Erreger befinden sich im Läusekot, dessen Staub dann eingeatmet werde. Es sei deshalb wichtig, die Kranken „zu vereinzeln“ und Körper und Wäsche penibel zu reinigen, so der Sachverständige.

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Zeitzeugen hatten im Prozess indes berichtet, dass die an Fleckfieber Erkrankten zusammen mit Gesunden in den Baracken eingesperrt worden seien. Es habe niemand rein oder raus gedurft. Die Menschen seien sich selbst überlassen gewesen. Viele hätten auf Stroh gelegen, das mit Fäkalien durchnässt gewesen sei. Wenn alle in einem Raum ausharren müssen, werde „die Epidemie alle Gesunden ebenfalls erwischen“, sagte der Sachverständige dazu. „Das ist nur eine Frage der Zeit.“

Stutthof-Häftlinge hätten "Leichenteile gegessen aus Verzweiflung"

Viele Gefangene in Stutthof sind auch an Hunger gestorben, etliche wurden zudem in den Gaskammern ermordet. Durch das Blausäuregas Zyklon B, das in die Gaskammern eingeleitet wurde, trete der Tod unter Umständen sehr schnell, mitunter schon binnen weniger Sekunden ein, erklärte hierzu ein Sachverständiger, der Hamburger Rechtsmediziner Prof. Sven Anders. Die in Zyklon B enthaltene Blausäure verursache eine schwere Vergiftung, die letztlich zu Atemstillstand und Kreislaufstillstand führe. Der Todeskampf, bei dem die Opfer unter anderem an Herzrasen und Krampfanfällen litten, könne aber auch mehrere Minuten andauern.

Und wer über eine längere Periode zu wenig Nahrung bekommt, könne unter anderem unter Schwindelgefühl, Sehstörungen und Schmerzen leiden. Halte die Hungerzeit weiter an, würden die Menschen immer schwächer, könnten schließlich nicht mehr gehen oder stehen. Sogar Herz und Leber würden schrumpfen, sagte Anders. „Manche probieren aus, Teppich oder Baumrinde zu essen.“ In Stutthof, ergänzte die Vorsitzende Richterin, hätten Gefangene vereinzelt „auch Leichenteile gegessen aus Verzweiflung“.