Hamburg. Die beiden planten den Mordanschlag auf ehemaligen Chef der Hells Angels. Arasch R. bekam eine lebenslängliche Strafe.
Sollten die beiden Angeklagten noch ein Liebespaar sein, ist davon im Gerichtssaal nichts zu spüren. Hier Arasch R. (28), einst hochrangiger Gefolgsmann der Hamburger Rocker-Gang Mongols. Dort Lisa S. (24), deren fatale Ergebenheit zu dem im Gesicht tätowierten Mann sie offenbar erst zur Handlangerin in einem Mordfall werden ließ. Selbst als sie vom Vorsitzenden Richter Matthias Steinmann hören, dass sie eine lange Zeit im Gefängnis verbringen werden, tauschen sie keine Blicke aus.
Dabei hatten sie im September 2018, eine Woche nach den beinahe tödlichen Schüssen auf Arasch R.’s Erzfeind, den Hells-Angels Rockerboss Dariusch F., noch Zukunftspläne mit einem Hauch Gesetzlosen-Romantik geschmiedet. „Wir sind richtige Gangster“, raunte Arasch R. seiner Freundin im Besucherraum der JVA Billwerder zu; Arasch R. war dort Insasse. „Wir sind Bonnie und Clyde.“ Sie wollten auswandern, eine Familie gründen – daraus wird jetzt nichts.
Das Gespräch in der JVA war der Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens – zumindest mit Blick auf die Schuld von Arasch R. Heimlich hatte die Polizei am 3. September 2018 mit richterlicher Genehmigung eine Abhöranlage im Besucherraum installiert; für das Gericht reichten die Äußerungen der Angeklagten á la „Blutrache – das ist bei uns Gesetz“ aus, um Arasch R. eine Anstiftung zum Mord an Dariusch F. sicher nachzuweisen.
Von dem Schützen fehlt noch jede Spur
Weil nach dem Gesetz der Anstifter gleich dem Täter bestraft wird, verurteilte ihn das Landgericht am Montag zu einer lebenslangen Haftstrafe. Lisa S. kam mit zwölfeinhalb Jahren noch vergleichsweise günstig davon. Die Tat mitten in der Öffentlichkeit erinnere an „eine Hinrichtung“, sagt Richter Steinmann. Nur von dem Mann, der die Schüsse abgab, fehlt bisher jede Spur – nach ihm wird weiterhin gefahndet.
Der Fall erzählt die Geschichte zweier Männer im so kriminellen wie männerbündischen Rocker-Milieu, in dem Ehre alles ist und das Gesetz nichts gilt. Eine Geschichte, die mit der erbitterten Feindschaft zwischen den Hamburger Rocker-Gangs Hells Angels und Mongols begann. Und die auch dann nicht endete, als sich die Mongols nach einer wilden Schießerei auf der Reeperbahn Anfang 2016 auflösten.
Es ist der 26. August 2018, kurz vor Mitternacht, als sich ein Mercedes Coupé am Millerntorplatz neben einen hellblauen Bentley setzt. Am Steuer des Bentleys sitzt Rockerboss Dariusch F., am Steuer des Mercedes Lisa S. Ein unbekannter Schütze gibt von der Beifahrerseite des Mercedes aus fünf Schüsse auf ihn ab. Im Kopf und am Oberkörper getroffen, sackt der Rocker zusammen. Zwar retten die Ärzte sein Leben, doch eine Kugel wandert ins Rückenmark und zerstört Nervenbahnen. Seither sitzt der 38-Jährige im Rollstuhl – er ist querschnittgelähmt. „Er wurde unvermittelt durch die kaltblütige Gewalt aus seinem Leben gerissen“, sagt Steinmann. Es handele sich um eine heimtückische Tat auf „sittlich niedrigster Stufe“.
Opfer Dariusch F. wollte nicht als Zeuge helfen
Dariusch F. hatte es abgelehnt, als Zeuge bei der Aufklärung zu helfen – offenbar weil er sich dem „Rocker-Kodex“ verpflichtet fühlte. Dem Gericht sei so eine direkte Konfrontation der Erzfeinde erspart geblieben, sagt Steinmann. Dariusch F. schwebte wohl eine Lösung nach Art des Hauses vor, jedenfalls eine ohne Polizei. Einem Beamten sagte er, noch ans Krankenbett gefesselt: „Es ist erst Ruhe, wenn Arasch R. tot ist.“ Auch Arasch R. hatte keine Angaben gemacht.
Nach Überzeugung des Gerichts war Rache die Triebfeder für den Mordversuch an Dariusch F. Ihm hätten die Angeklagten ein früheres Attentat auf ihr eigenes Leben angelastet. Am 16. Juni 2016 waren sie auf einem Privatgrundstück in Schnelsen niedergeschossen und schwer bis lebensgefährlich verletzt worden. Der Fall ist bis heute ungelöst. Aus Sicht der Angeklagten kam aber nur einer für den Anschlag in Frage: Dariusch F. Sie hassten ihn wie sonst niemanden.
Das Gericht hegt keinen Zweifel, dass Arasch R. den Mord deshalb in Auftrag gegeben hat. Mit Lisa S. habe er eine willfährige Erfüllungsgehilfin gefunden. Die 24-Jährige, die bis zu ihrer Verhaftung kurz nach dem Gespräch in der JVA Billwerder als Prostituierte gearbeitet hatte, habe Arasch R. „abgöttisch“ geliebt. Nur durch diese „Abhängigkeit“ lasse sich erklären, warum sich die Frau an einer so brutalen Tat beteiligt habe.
Verschlüsselte Botschaft per Videotext
Am 26. August 2018 hatte sie am Hauptbahnhof den späteren Schützen aufgelesen, gemeinsam beobachteten sie Dariusch F. vor dessen Stammlokal auf St. Pauli. Über den Videotext eines privaten Fernsehsenders schickte sie eine verschlüsselte Botschaft an ihren Freund im Gefängnis. Sie habe das „schönste Kleid gefunden“ – gemeint war Dariusch F. Nach dem Attentat setzte sie den Schützen ab und flüchtete mit dem Mercedes – der wurde allerdings fortlaufend von der Polizei geortet.
Lisa S. hatte sehr spät im Prozess eingeräumt, den Mercedes gefahren zu haben. Zwar hielt das Gericht ihr Geständnis für überwiegend glaubhaft. Dass sie von dem Mordplan nichts gewusst haben will, kaufte es ihr aber nicht ab. Führe sie sich gut, könne sie nach etwa sieben Jahren entlassen werden. Für den zu lebenslanger Haft Verurteilten gibt es die Perspektive nicht. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, muss Arasch R., der in früher Jugend auf die schiefe Bahn geraten war, 15 Jahre absitzen. Mindestens. Aus Furcht vor einem Racheakt war er in der Haft bisher von den anderen Insassen isoliert worden.
Er verabschiedet sich am Montag mit Handküssen von seinen Angehörigen im Gerichtssaal. Pöbelnd, weinend und schreiend bahnt sich seine Familie den Weg aus dem Saal. Draußen kommt es zum Tumult mit anderen Zuschauern. Arasch R., so tönt es durch die Gerichtsgänge, bevor Justizbeamte die Familie aus dem Gebäude werfen, sei aber doch eines gewiss: „ein richtiger Mann“.