Hamburg. Für den Tod eines Menschen verantwortlich zu sein, das lastet unendlich schwer auf der Seele von Tanja K.

Die Frau bemüht sich nach Kräften, die Fassung zu bewahren. Doch nun laufen doch die Tränen. Für den Tod eines Menschen verantwortlich zu sein, das lastet unendlich schwer auf der Seele von Tanja K. (Name geändert). „Ich stehe damit auf und gehe damit ins Bett“, sagt die 43-Jährige. Natürlich hat die Hamburgerin es nicht gewollt, dass jemand stirbt. Und doch muss sie sich fragen lassen, ob sie alles Notwendige getan hat, um größtmögliche Sorgfalt walten zu lassen. Oder ob sie nicht gut genug aufgepasst hat, vielleicht nur für einen Augenblick. Dieser kurze Moment kann über Leben und Tod entscheiden.

Es war im September 2017, als Tanja K., die ihren Sohn mit im Wagen hatte, an der Tangstedter Landstraße ausparken wollte. Weil sie sich in einer lang gestreckten Kurve, in der die Sicht teilweise eingeschränkt war, nicht in die Fahrbahn hineingetastet habe, sondern ein Wendemanöver versucht hat, wirft die Staatsanwaltschaft der Angeklagten fahrlässige Tötung vor. Als ihr Wagen die 180-Grad-Kurve halb geschafft hatte und noch mitten auf der Fahrbahn unterwegs war, raste ein Motorradfahrer in den Wagen der Hamburgerin. Der Fahrer starb noch an der Unfallstelle.

Fassungslose Ehefrau

Sie habe doch eigentlich gut aufgepasst, schluchzt Tanja K. Die Stimme der blassen Frau ist tränenerstickt. „Ich habe vor dem Ausparken in den Rückspiegel geguckt und auch den Schulterblick gemacht. Ich wollte wenden und in rollender Weise auf den Kantstein hinauf und weiter in die Gegenrichtung“, schildert die Angeklagte. So, hatte sie überlegt, hätte sie die Wende hingekriegt. Sie sei vollkommen geschockt gewesen, als sie den Knall hörte, mit dem das Motorrad in ihren Kombi hineinrauschte. Noch am selben Tag erfuhr sie, dass der Kradfahrer gestorben ist. Dieser Gedanke lasse sie nicht mehr los. Sie habe mit der Familie des Getöteten Kontakt aufnehmen wollen. „Aber ich wusste nicht, wie, und auch nicht, ob sie das zulassen würden“, flüstert sie zaghaft. In ihrer Unsicherheit, was zu tun sei, entschied sie sich fürs Nichtstun. „Bevor ich das Falsche mache …“

Ein Polizist schildert vor Gericht, dass laut Zeugen des Unfalls der Kombi etwa die Mitte der Fahrbahn erreicht hatte, als das Motorrad mit dem Wagen kollidierte. Rechts und links von dem Auto sei zu wenig Platz gewesen, als dass er noch hätte ausweichen können. „Ein Zeuge sah, wie das Motorrad noch mit dem Hinterrad abgehoben hat, bevor es in den Wagen geknallt ist. Mit dem Hinterrad in die Luft heißt: Der Fahrer hat einseitig gebremst.“ Die Autofahrerin sei nach dem Unfall „geschockt und in sich gekehrt gewesen“, erinnert sich der Beamte. Und um die fassungslose Ehefrau des Opfers habe sich ein Seelsorger gekümmert.

Schwere Kopf- und Organverletzungen

Ein Sachverständiger hat anhand der Spuren am Unglücksort ermittelt, dass das Motorrad mit Tempo 50 bis 68 unterwegs war, als der Kombi als Hindernis mitten auf der Straße auftauchte. 0,8 Sekunden, einen Wimpernschlag nur, hatte der Fahrer Zeit zu reagieren. Mit seiner Gefahrenbremsung konnte er die Geschwindigkeit noch auf 20 bis 36 Kilometer pro Stunde reduzieren, als er in die Seite des Pkw hineinrutschte. Zu schnell, als dass er die Kollision noch hätte überleben können. Der Mann hatte unter anderem schwere Kopf- und Organverletzungen erlitten.

Der Verteidiger von Tanja K. fragt nach genauen Abständen, nach der Fahrbahnbreite; es geht ihm um Zentimeter, wie viel Platz rechts und links von dem Auto der 43-Jährigen auf der Straße Platz gewesen sei. Der Kradfahrer, meint er, hätte doch anders reagieren und sich an dem Auto auf der einen oder anderen Seite vorbeischlängeln können, argumentiert der Anwalt. Er will auf eine Mitschuld des Opfers hinaus. Doch diese Überlegungen seien „neben der Spur“, stellt die Staatsanwältin ihre Sicht der Dinge klar.

Nur 0,8 Sekunden Reaktionszeit

Eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu 30 Euro verhängt die Amtsrichterin schließlich und folgt damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Bei einer Reaktionszeit von 0,8 Sekunden, betont die Vorsitzende, habe der Kradfahrer kaum anders als mit einem scharfen Bremsen reagieren können. „Da fährt man nicht ein waghalsiges Fahrmanöver, rechts an dem Auto vorbei und dann quasi in eine Parklücke hinein.“

Tanja K. hätte schlicht noch aufmerksamer fahren müssen. Die unübersichtliche Stelle in der lang gestreckten Kurve sei „nicht die Stelle, um in einem Schwung zu wenden“, sagt die Richterin an die Angeklagte gewandt. „Es handelte sich um ein Augenblicksversagen. Aber Sie hätten bei noch größerer Sorgfalt den Unfall vermeiden können. Ein Menschenleben ist unwiederbringlich ausgelöscht. Das werden Sie Ihr Leben lang nicht wieder vergessen können.“