Hamburg. Sven T. war ungewöhnlich einfallsreich: Sein Körper, sagte der 19-Jährige einem Polizisten, „produziere körpereigene Drogen“.
Kreative Ausreden sind Polizisten gewohnt: Wenn die Fahrweise eines Verdächtigen viel zu schnell ist, ungewöhnlich riskant oder um Schlangenlinien bereichert, wenn die Augen glasig sind, die Feinmotorik unsicher, der Gang vielleicht auch noch schwankend. Wenn also alles auf den Konsum berauschender Mittel hindeutet und ein Schnelltest auch noch positiv ist – aber der Autofahrer mit einer ganz anderen vermeintlichen Erklärung aufwartet. Doch bei aller üblichen Vielfalt war Sven T. (alle Namen geändert) ungewöhnlich einfallsreich: Sein Körper, sagte der 19-Jährige einem Polizisten, „produziere körpereigene Drogen“.
Seit dem Vorfall vom Februar sind einige Monate ins Land gegangen, und mittlerweile will der inzwischen 20-Jährige den Konsum von Rauschmitteln nicht mehr in Abrede stellen. Ja, einen Joint habe er am Abend zuvor geraucht, räumt der Hamburger ein, der sich wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung vor dem Amtsgericht verantworten muss. Laut Anklage fuhr der Hamburger unter Einfluss von Haschisch und Kokain „grob verkehrswidrig und rücksichtslos“. So sei er viel zu schnell unterwegs gewesen, habe zu überholen versucht, sodass entgegenkommende Wagen ausweichen mussten, so die Staatsanwaltschaft. Und ein Wagen auf seiner Spur musste demnach sehr stark abbremsen, um eine Kollision des Rasers zu vermeiden.
Besorgter Verkehrsteilnehmer
„Bei meiner Mutter war einige Zeit vorher eingebrochen worden. Sie fühlte sich seitdem unsicher und blieb nicht gern allein. Deshalb hatte ich es eilig, dort hinzukommen“, rechtfertigt der Angeklagte, ein Mann mit Vollbart und tätowierten Armen, seine überaus zügige Fahrweise. „Ich war fahrtüchtig“, beteuert er. „Ich war zwar schnell, aber ich habe meiner Meinung nach niemanden gefährdet.“ Haschisch habe er geraucht. Aber der Konsum von Kokain müsse schon eine längere Zeit zurückliegen.
Ein Polizeibeamter schildert, dass ein besorgter Verkehrsteilnehmer sie alarmiert hatte, weil ein Autofahrer unter anderem wegen riskanten Wechsels auf die Gegenfahrbahn eine Gefahr darstelle. Einmal sei der Raser „sogar in der Kurve aus der Spur getragen“ worden. Als die Polizei Sven T. anhand des Kennzeichens aufspürte und anhielt, habe dieser „Unsinn geredet. Seine Augen waren glasig, er wirkte unkonzentriert“, so der Beamte als Zeuge. Ein Test, bei dem es unter anderem gilt, den Finger gegen die eigene Nase zu führen, „ging teilweise deutlich daneben“.
Schnelltest auf Drogen
Ein Schnelltest auf Drogen zeigte an, dass der Mann Rückstände von Amphetaminen, Kokain und Cannabis im Blut hatte. Ein Toxikologe erläutert, dass die Werte von Kokain und Cannabis zeigten, dass beide Drogen vermutlich erst zwei Stunden vor der Blutentnahme konsumiert wurden. Das dichte Auffahren, die häufigen Spurwechsel, das riskante Überholen: „Das sind Auswirkungen von Kokain wie aus dem Lehrbuch“, erklärt der Sachverständige.
Rettungssanitäter Frank M. ist viel auf den Straßen unterwegs. Er erlebt es häufiger, dass Leute unangemessen schnell fahren oder überholen. „Aber das hier war ein sehr gefährliches Fahrmanöver“, schildert der 36-Jährige. Er sei „in rasantem Tempo überholt“ worden. Weil Autos entgegenkamen, trat Frank M. heftig auf die Bremse und schuf damit eine Lücke, in die sich der Raser gerade eben noch einfädeln konnte und eine Kollision zwischen dem BMW-Fahrer und dem Gegenverkehr knapp verhindert wurde. Auch nach diesem Beinahe-Unfall habe der andere mehrfach versucht zu überholen.
Führerschein für insgesamt ein Jahr los
Drei Jahre liegt es zurück, dass Sven T., der als Jugendlicher schon mehrfach unter anderem wegen Drogendelikten mit dem Gesetz in Konflikt kam, seinen Hauptschulabschluss gemacht hat. Gearbeitet oder eine Ausbildung hat er nicht gemacht. Er lebt bei der Mutter und wie sie von Hartz IV. Jetzt plane er, „einen Onlineshop zu eröffnen“, erzählt der 20-Jährige eifrig. Was er denn vertreiben wolle, möchte die Richterin wissen. Doch darüber hat sich der Hamburger keine Gedanken gemacht. Die Juristen im Saal sind sich einig, dass für Sven T. noch Jugendrecht angewandt werden müsse. Die Staatsanwältin nennt die Fahrweise des Angeklagten unter Drogeneinfluss „rüpelhaft. Er hat den Zeugen und dessen Leben stark gefährdet“.
Die Richterin spricht Sven T. schuldig. Der Angeklagte muss drei Arbeitsleistungen erbringen und an einem Verkehrskompetenz-Training teilnehmen. Seinen Führerschein ist er für insgesamt ein Jahr los. Der Konsum von Haschisch und vor allem Kokain habe bei dem 20-Jährigen zu einer Selbstüberschätzung geführt, erklärt die Richterin ihre Entscheidung. „Das ist schon rücksichtslos, wenn man unter Drogen und mit so einem Tempo in den Gegenverkehr rauscht.“ Der Gesetzgeber wolle nicht, „dass jemand Haschisch oder Kokain nimmt und dann rowdyhaft fährt“.