Hamburg/Berlin. Mehrere Hundert Thailänderinnen systematisch ausgebeutet: Beamte stürmen 14 Bordelle und Wohnungen in Hamburg und im Norden.
Es war die größte Razzia in der Geschichte der Bundespolizei: 1500 Beamte haben am Mittwochmorgen bei einer konzertierten Aktion eine deutschlandweit agierende Rotlicht-Bande zerschlagen. Ein Paar soll ein Netzwerk gegründet haben, das hauptsächlich Transsexuelle aus Thailand nach Deutschland lockte und zur Prostitution zwang. Nun wurden sieben Haftbefehle vollstreckt, 100 Personen festgenommen sowie 62 Wohn- und Geschäftsadressen durchsucht – darunter zwei Bordelle in Hamburg, eines in Kiel sowie elf weitere Objekte in Bremen und Niedersachsen.
In Hamburg hatten rund 60 bewaffnete Beamte mit Sturmhauben um 6 Uhr ein Etablissement an der Möllner Landstraße gestürmt, in der laut Eigenwerbung auch eine „asiatische Liebesgöttin“ auf Freier wartete. Außerdem wurde ein Objekt an der Straße Auf dem Königslande in Wandsbek durchsucht – knapp fünf Stunden überprüften die Einsatzkräfte die dort arbeitenden Personen.
Einnahmen von Prostituierten penibel abgerechnet
Dabei wurden drei Prostituierte ermittelt, bei denen der Verdacht besteht, dass sie von den Haupttätern geschleust wurden. Eine der Frauen wurde bereits per Haftbefehl wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz gesucht. Alle hatten sich nach bisherigen Erkenntnissen durch falsche Angaben Touristenvisa für den Schengen-Raum erschlichen. Für die Schleusung, davon gehen Ermittler aus, hatten sie Geld an die Hintermänner zahlen müssen. In den Etablissements selbst wurde genau abgerechnet. „Wir haben Umschläge gefunden, in denen die Einnahmen jeder einzelnen Frau penibel abgerechnet waren“, so ein Beamter.
In Kiel hatten gleichzeitig etwa 20 Bundespolizisten ein Objekt durchsucht. Auch dort wurden thailändische Prostituierte angetroffen. Im Gegensatz zu Hamburg konnten in Kiel aber zunächst keine Verstöße festgestellt werden. „Wir haben aber eine Vielzahl von Beweismitteln sichergestellt, die noch ausgewertet werden müssen“, sagte ein Sprecher der Bundespolizei. Zudem hätten sich bereits während der Durchsuchung Ansätze für Anschlussermittlungen ergeben. In Niedersachsen waren Bordelle unter anderem in Goslar, Hannover, Bad Nenndorf und Wolfsburg betroffen. Die Einsätze im Norden hätten jedoch vor allem der Beweissicherung gedient, hieß es.
Transsexuelle mussten ihren gesamten Lohn abgeben
Die Drahtzieher des Menschenhandels leben den Ermittlern zufolge in Siegen in Nordrhein-Westfalen: Es handelt sich um eine 59 Jahre alte Frau aus Thailand und ihren 62 Jahre alten deutschen Lebensgefährten. Um sie herum soll der Kern der Bande aus etwa 15 bis 20 Menschen mit deutscher und thailändischer Nationalität bestehen. Insgesamt wird gegen 41 Frauen und 15 Männer im Alter zwischen 26 und 66 Jahren ermittelt.
Die Verdächtigen sollen zunächst mehrere Hundert Menschen, darunter Transsexuelle und Frauen, aus Thailand mit gefälschten Visa nach Deutschland geholt und ihnen hohe Verdienste versprochen haben. Dann seien den Opfern jedoch die Pässe abgenommen und ihnen gesagt worden, dass sie einen Betrag zwischen 16.000 und 36.000 Euro durch Prostitution erarbeiteten müssen, um für die Schleusung zu bezahlen. „Sie wurden in einer Art Rotationsverfahren von Bordell zu Bordell gebracht und mussten alles eingenommene Geld abgeben“, sagte ein Polizeisprecher.
Millionenschaden für Sozialversicherung
Im Zentrum der Ermittlungen stehen dabei drei Bordelle in Siegen, in denen die Prostituierten jeweils zuerst ausgebeutet worden sein sollen – die Etablissements wurden bereits seit dem Jahr 2006 von dem tatverdächtigen Paar betrieben. Zur genauen Zahl der betroffenen Prostituierten und zu ihrem Alter gab es keine Angaben. In den Ermittlungen wird auch dem Verdacht des Vorenthaltens und des Veruntreuens von Arbeitsentgelt nachgegangen.
Die Hauptverdächtigen sollen die in den drei Bordellen in Siegen beschäftigten Prostituierten und weitere Mitarbeiter nicht zur Sozialversicherung angemeldet und von Juli 2012 bis Dezember 2017 keine Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung an die Krankenkassen abgeführt haben. Der Sozialversicherung soll so allein in den drei Siegener Bordellen ein Schaden von etwa 1,6 Millionen Euro entstanden sein.
An den Durchsuchungen am Mittwoch waren in mehreren Bundesländern auch die Spezialkräfte der GSG-9 beteiligt, nicht jedoch bei den Einsätzen im Norden. Viele der Festgenommenen wurden in den durchsuchten Bordellen und Massagesalons angetroffen. In zahlreichen Fällen bestehe zumindest der Verdacht des illegalen Aufenthalts, hieß es von der Generalstaatsanwaltschaft. Der Aktion am Mittwoch waren lange Ermittlungen vorausgegangen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nannte die Großrazzia einen beispiellosen Schlag gegen „ein bundesweit verzweigtes Netzwerk“. Viele Hundert Menschen seien der Bande ausgeliefert gewesen. „Diesem skrupellosen Vorgehen (...) konnte heute ein Ende gesetzt werden.“