Hamburg. Warten auf ein Alkoholverkaufs- und Glasflaschenverbot für den Standort, der verkommt. Kritik am „Ausnahmezustand“.
Der Wind pustet einen Plastikbecher über die grauen Pflastersteine des Hansaplatzes, als Andreas Wegener einen weiteren Schluck aus seiner Bierflasche nimmt. Hinter ihm schießt der Hansabrunnen empor, auf seinen Stufen hocken etwa 15 Männer mit ihren Bierflaschen und Plastiktüten. Es ist 15 Uhr. Auch an den Rändern des Platzes, im Schatten der mehrstöckigen Wohnhäuser: Männer und Bier. „Abends verkaufen sie hier Kokain und Marihuana“, sagt Wegener. „Wegen der verschiedenen Nationalitäten und des Alkohols gibt es schnell Streit.“ Länger als bis Mitternacht bleibe der 46-Jährige nie, ab dann werde es hier aggressiv.
Die Besitzerin eines am Platz gelegenen Cafés beobachtete kürzlich, wie sich zwei alkoholisierte Männer morgens stritten. „Die Überreste der Nacht, das ist normal hier“, sagt sie. Irgendwann habe einer von ihnen aus Wut auf ihre Glastische geschlagen, sie brachen kaputt. Nun hat sie Plastiktische. „Ich bin auf die Domschule gegangen und schon seit 20 Jahren in der Gegend unterwegs. Früher saßen hier Junkies, die waren friedlich. Der Alkohol ist schuld“, sagt sie. „Abends stehen immer 50 Leute vor dem Kiosk und saufen sich voll.“
Polizei offenbar unwirksam
Von seinem Büro aus hat Makler Frank Jendrusch den Hansaplatz im Blick: „Die Lage hat sich verschlechtert, teilweise glaubt man nicht in Hamburg zu sein. Die Polizeipräsenz ist unwirksam und müsste permanent sein.“
Der Hansaplatz und die umliegenden Straßen sind seit Jahren der Brennpunkt des sonst so angesagten Szenestadtteils. Prostitution und Drogenhandel sind hier an der Tagesordnung. Im vergangenen Jahr wurde in St. Georg mit 19.167 Straftaten das höchste Kriminalitätsaufkommen aller Stadtteile Hamburgs gezählt (wir berichteten).
Nachdem sich im September 2014 Anwohner (mal wieder) in einem offenen Brief über die Verwahrlosung beschwert hatten, wurde 2015 ein „Forum Hansaplatz“ ins Leben gerufen. Es nahmen an den vier Sitzungen Anwohner, Initiativen, Akteure aus dem Stadtteil und Politiker teil, den Vorsitz hatte Bezirksamtsleiter Falko Droßmann (SPD). Im Juni 2015 wurde ein Maßnahmenkatalog mit 16 Punkten von der Bezirksversammlung Mitte auf Antrag der rot-grünen Koalition beschlossen. Die wichtigsten Punkte sind bis heute nicht umgesetzt: Ein für bestimmte Uhrzeiten geltendes Alkoholverkaufsverbot für die Kioske am Hansaplatz und ein Glasflaschenverbot, um die Sicherheit auf dem Platz zu erhöhen.
Bürgerschaft befasst sich mit Alkoholverkaufsverbot
Mit Sorge beobachtet Bezirksamtsleiter Droßmann die Entwicklung vor Ort: „Wir brauchen dringend ein temporäres Alkoholverkaufsverbot für die Kioske am Hansaplatz. Die Zustände sind den Bürgern nicht mehr zuzumuten. Doch wir als Verwaltung haben keine rechtliche Möglichkeit, diese Verbote zu erlassen.“ Dafür müsste die Bürgerschaft Gesetze beschließen. „Ich hoffe, dass sie zeitnah handelt“, sagt Droßmann.
Das sieht auch der Grünen-Fraktionschef in der Bezirksversammlung, Michael Osterburg, so: „Es ist ärgerlich, dass bislang die gesetzlichen Grundlagen noch nicht realisiert werden konnten, um gegen die Kioske effektiv vorzugehen. Die Zeit drängt, der Hansaplatz entwickelt sich immer mehr zu einer aggressiven Trinkerzone, und die Bürger trauen sich dort nicht mehr hin.“
Ein weiterer Punkt des Maßnahmenkatalogs war, dass Bezirk und die Sozialbehörde die Einrichtung eines offenen „Trinkerplatzes“ oder eines „Trinkerraums“ in St. Georg prüfen – als Alternative zum Hansaplatz. Geprüft wurde – umgesetzt wird das Vorhaben allerdings nicht.
Drogenszene ist zurück
Der CDU-Innenexperte Dennis Gladiator kritisiert das: „Alle Ankündigungen haben bisher nicht geholfen. Die offene Drogenszene ist zurück in St. Georg und schadet der Stadt. Der Senat muss die Polizei endlich in die Lage versetzen, die Kriminalität dauerhaft zu bekämpfen. Nicht nur die Dealer, sondern auch die Hintermänner müssen endlich erwischt und zur Rechenschaft gezogen werden. Präsenz und konsequentes Durchgreifen sind erforderlich.“ Es sei nicht mehr hinnehmbar, dass sich am Hansaplatz Prostituierte anbieten und Trinkergruppen den Platz für sich beanspruchen – „und den Senat scheint das alles nicht zu interessieren“.
Ein Mann, der sich definitiv für den Stadtteil interessiert und hier auch seit einigen Monaten lebt, ist Markus Schreiber. Seit Kurzem ist der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete und ehemalige Bezirksamtsleiter der neue ehrenamtliche Vorsitzende des Bürgervereins zu St. Georg von 1880.
„Es kann doch nicht sein, dass sich normale Bürger auf den Hansaplatz mitten im Herzen von St. Georg nicht mehr hintrauen, weil hier inzwischen beinahe täglich Ausnahmezustand herrscht.“ Dass dort Alkoholgelage an der Tagesordnung seien, bei der es auch zu Pöbeleien und Tätlichkeiten komme, dürfe nicht länger toleriert werden, sagt auch er.
Schreiber unterstützt die Pläne für ein Glasflaschenverbot und fordert ebenfalls: „Den Kiosken am Hansaplatz und in der Umgebung muss ab 18 Uhr der Verkauf von Alkohol untersagt werden. Dieses Thema behandelt Rot-Grün auch in der Bürgerschaft, und ich hoffe, wir kommen noch vor der Sommerpause zu einem Ergebnis.“
Für eine positive Belebung des Hansaplatzes hat Schreiber zahlreiche Ideen: zum Beispiel einen Food-Truck-Market und einen regelmäßigen Flohmarkt. Dass aber nicht jede Idee funktioniert – und schon gar nicht hier –, weiß Schreiber wie kein anderer: Als Bezirksamtsleiter hat er 2011 die Umgestaltung des Platzes durchgesetzt. Für 2,55 Millionen Euro wurden Bäume gepflanzt, die Straße und der Platz umgestaltet. Das Ergebnis ist überschaubar, wie die aktuellen Probleme zeigen.
Der Steindamm ist auch ein schwieriges Pflaster
Ein Sorgenkind ist auch der Steindamm. Seit Jahren bemühen sich einige Akteure aus dem Stadtteil um die Einführung eines BID (Business Improvement Districts). Schreiber unterstützt dieses Anliegen, die „Straße muss attraktiver werden und vor allem sauberer. Die Vermieter sind in der Pflicht, genau zu schauen, an wen sie ihre Ladenflächen vermieten.“
Es gibt ein weiteres Thema, das Schreiber dennoch unbedingt angehen will: „St. Georg ist ein Sperrgebiet, in dem der Straßenstrich verboten ist. Doch trotzdem bieten hier Zwangsprostituierte ihre Dienste an. Das darf nicht sein“, klagt er. „Hier muss die Polizei vehement einschreiten und vor allem die Zuhälter und Hintermänner aus dem Verkehr ziehen.“ Deshalb will Schreiber auch das Gespräch mit der Polizei intensivieren.
Doch ob Trinkerszene, Drogenhandel oder Prostitution – die Probleme lassen sich nicht durch ein paar Polizeieinsätze lösen. In der Regel verlagert sich die Szene höchstens ein paar Straßen weiter.