Hamburg. Die Selbstdarstellung der Angeklagten zum Gutmenschen ist abenteuerlich angesichts ihrer Straftaten auf Kosten anderer Menschen.

Wahrscheinlich braucht sie diese ganz besondere Selbsteinschätzung. Diese Überzeugung, dass sie, im Grunde ihres Herzens, eine wunderbare Frau ist. Jemand, der zu allererst das Wohl seiner Mitmenschen im Sinn hat und sich für andere aufopfert. „Ich habe immer nur gegeben!“

Diese Verklärung zum Gutmenschen, von Sabine H. (Name geändert) mit Inbrunst ausgerufen, ist schon abenteuerlich angesichts der zahllosen Straftaten auf Kosten anderer Menschen, die sich durch die Vita der 63-Jährigen ziehen, seit Jahrzehnten schon. Und nun also wieder: Betrug.

Perfide Masche

Schwer atmend sitzt die füllige Angeklagte im Prozess vor dem Schöffengericht in ihrem elektrischen Rollstuhl, auf den sie nach zwei Herzinfarkten und zwei Schlaganfällen angewiesen ist, aber auch wegen ihres massiven Übergewichts. Von 260 Kilogramm hat sie auf die Hälfte abgespeckt, bei ihrer Größe ist das immer noch deutlich zu viel.

Die Vorwürfe aus der Anklage, sie habe in neun Fällen und gewerbsmäßig Wohnungssuchende getäuscht und ausgenommen, räumt Sabine H. unumwunden ein. Ihre Masche: Sie schloss im Jahr 2015 als angebliche Vermieterin Verträge für Wohnungen ab, obwohl diese gar nicht zu vermieten waren. Von den Menschen, die meinten, demnächst ein neues Zuhause beziehen zu können, kassierte die gelernte Friseurin jeweils im Voraus und in bar Miet- und Kautionszahlungen.

„Ein krankes, aber auch ein ehrliches Herz“

Insgesamt betrog sie ihre Opfer um rund 24.000 Euro. Sie sei „eigentlich ein Mensch, der nicht lügt“, betont die Angeklagte. Und sie habe „zwar ein krankes, aber auch ein ehrliches Herz“. Ihre zum überwiegenden Teil arbeitslosen Opfer, die ihretwegen nicht nur keine Wohnung bekamen, sondern auch um ihr ohnehin schmales Geld betrogen wurden, werden da sicherlich anderer Meinung sein.

Angefangen habe alles mit einer Bekannten, die eine große Wohnung hatte, aus der sie wegen einer Klage „rausmusste“, erzählt Sabine H. „Sie fragte, ob ich ihr helfen könne, die zu vermieten.“ Auch ein weiterer Bekannter habe sich in ähnlicher Sache vertrauensvoll an sie gewandt.

Anzeigen im Internet

Über Anzeigen im Internet warben sie Interessenten. „Ich war aber selber nie in der Wohnung“, betont die Angeklagte. Schließlich ließ sich Sabine H. von den hoffnungsfrohen Wohnungssuchenden die Kautionen und Mietvorauszahlungen aushändigen. Insbesondere in einem Fall habe sie schon gehofft, dass die Interessenten tatsächlich eine Bleibe finden. „Da ging es um eine Familie mit zwei Kindern. Für die beiden Kleinen war es mir wichtig.“

Was sie mit dem Geld gemacht habe, will der Vorsitzende Richter von der Angeklagten wissen. „Ich habe es auch unter den Armen verteilt“, entgegnet diese. „Warme Mützen und Handschuhe habe ich gekauft, im Winter, vor Weihnachten, für die Obdachlosen. Leute, die nichts zu essen hatten.“ Elektrogeräte habe sie sich nie von den ergaunerten Beträgen geleistet, wehrt sie ab, und erst recht keinen Urlaub bezahlt.

Mehrere Schicksalsschläge

Ob sie das Geld auch in Spielhallen verzockt habe, hakt der Richter nach. „Ja, ich bin auch mal da gewesen, weil ich allein war“, räumt Sabine H. ein. Tatsächlich hatte sie mehrere Schicksalsschläge zu verkraften. Zu Silvester vor einigen Jahren starb nach rund 40 Jahren Ehe plötzlich ihr Mann. Wenig später fand auch ihre Mutter den Tod.

Danach verlor sie auch noch ihre „allerliebste Hündin“, wie die 63-Jährige erzählt, und schließlich noch ihre beste Freundin, die einem Krebsleiden erlag. Nun habe sie außer ihrem Sohn, auf den sie sehr stolz sei, und zwei Hunden „niemanden mehr“, schrieb sie vor einiger Zeit in einem Brief an einen Richter, in dem sie um Verschonung von der Untersuchungshaft bat. „In meinem Rollstuhl kann ich nicht weglaufen“, formulierte sie damals.

Straftaten schon in den 70er-Jahren

Schon in den 70er-Jahren begann Sabine H. mit Straftaten. Zuletzt hatte sie einer Frau, die bei ihr als Untermieterin wohnte, vorgegaukelt, es liege gegen diese eine Anzeige wegen Schwarzarbeit vor. Die Hamburgerin erzählte der Verzweifelten, sie habe gute Kontakte und könne der Bekannten Ärger mit den Behörden ersparen, wenn diese ihr Geld zahle.

Dafür verschuldete sich die Bekannte sogar. Ein Richter bescheinigte der 63-Jährigen seinerzeit für diese Tat „Skrupellosigkeit und Eigennützigkeit“. Es ist eines von mehreren Urteilen zu Freiheitsstrafen, die gegen Sabine H. in den vergangenen Jahren verhängt wurden. „Über Ihnen schwebte seit geraumer Zeit die Verbüßung von mehreren Jahren Haft“, redet der Vorsitzende Richter der Angeklagten nun ins Gewissen. „Gleichwohl haben Sie weitergemacht wie vorher. Das verstehe ich nicht.“

„Ärmsten der Armen ausgenommen“

Sie begreife das ebenso wenig, stimmt Sabine H. zu. „Es tut mir leid.“ „Sie haben die Ärmsten der Armen ausgenommen!“, setzt der Richter nach. Die Staatsanwältin spricht in ihrem Plädoyer von „erheblicher krimineller Energie“, mit der Sabine H. ihre Opfer „im Regen stehen gelassen“ habe, und beantragt drei Jahre und zwei Monate Freiheitsstrafe für die notorische Betrügerin.

Auch der Verteidiger spart nicht mit Kritik und nennt die Handlungen seiner Mandantin „hässlich“ und „schändlich“. Allerdings sei nach seiner Überzeugung eine Haftstrafe von nur einem Jahr ausreichend. Schon diese Zeit im Knast würde für die Rentnerin angesichts ihrer schwersten Erkrankungen und ihrer „deutlich verkürzten Lebenserwartung eine absolute Quälerei“, befürchtet der Anwalt.

Richter: „schändliche“ Betrügereien

Auf drei Jahre Haft erkennt schließlich das Schöffengericht. „Seit 1970 stehen Sie vor Gericht und haben bis auf Gewaltdelikte das strafrechtliche Spek­trum abgegrast“, hält der Richter der Angeklagten vor. Obwohl immer wieder auch zu Haftstrafen verurteilt, habe sie unerschrocken weitergemacht. „Manchmal müssen Strafen auch abschrecken.“ Ihre Betrügereien seien in der Tat „schändlich“, insbesondere, weil die Angeklagte die Wohnungsnot „schamlos ausgenutzt“ habe. Zudem habe sie Opfer, die ohnehin finanziell „im Schatten stehen, in noch größere Not gebracht“.