Hamburg. Tatortspuren können Aufschluss auf Haare, Augenfarbe und Herkunft des Täters geben. In Hamburg wird dies aber bisher nicht genutzt.

In der Theorie wäre es so einfach, sagen Polizisten: Nach einem schaurigen Mord in Hamburg gibt es weder Zeugen noch genaue Hinweise auf den Täter – doch anhand einer Hautschuppe vom Tatort gewinnen die Beamten schnell ein genaues Bild. Über seine Haare, seine Augenfarbe, seine Herkunft, selbst mögliche Vorerkrankungen des Täters. Das Szenario ist angesichts der neuen Technik zur DNA-Analyse längst realistisch – in der Praxis können die Möglichkeiten aber wegen gesetzlicher Verbote kaum genutzt werden. Gewerkschafter fordern nun die Justizbehörde auf, sich für andere Regeln einzusetzen.

„Die Auswertung weiterer DNA-Merkmale würde die Chancen, Täter zu fassen, deutlich erhöhen“, sagt Jan Reinecke, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Hintergrund der Forderung: Bislang dürfen die Ermittler eine DNA-Spur nach dem Gesetz nur zum Abgleich verwenden und maximal das Geschlecht des Täters aus der Probe herleiten. Alle weiteren Informationen sind dagegen zwar am Erbgut ablesbar, aber tabu. Wenn der Abgleich keinen Treffer in der Datenbank ergibt, ist die DNA-Spur weitgehend nutzlos. „Dieser Zustand ist nicht mehr tragbar“, sagt Reinecke.

Gewerkschaften unterstützen Forderung

Sowohl die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) als auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) pflichten der Forderung auf Nachfrage des Abendblattes uneingeschränkt bei. „Es gibt einfach keinen Grund, diese neuen Möglichkeiten der Fahndung nicht zu nutzen“, sagt der DPolG-Vorsitzende Joachim Lenders. Die Polizei sei nicht nur angesichts der wachsenden Terrorgefahr darauf angewiesen, Verbrecher schnell umfassend beschreiben zu können, ergänzt der GdP-Landeschef Gerhard Kirsch. Das Vorbild der Befürworter sind die Niederlande, in denen seit 2004 anhand von DNA-Spuren auch Schlüsse auf Haar- und Augenfarbe und ethnische Herkunft gezogen werden dürfen. Auch in Frankreich ist die erweiterte DNA-Analyse nicht verboten.

Grund für die bisherige gesetzliche Regelung in Deutschland sind Bedenken, die Persönlichkeitsrechte von Tatverdächtigen könnten zu stark eingeschränkt werden. Der Gewerkschafter Reinecke sieht durch eine Neuregelung dagegen Chancen, auch Persönlichkeitsrechte zu schützen: „Wenn wir bei einer Rasterfahndung das Täterprofil bereits eng eingrenzen können, müssen eventuell deutlich weniger Unschuldige für eine Speichelprobe herangezogen werden.“

Die sogenannte Spurenkommission, ein Gremium von Rechtsmedizinern und kriminaltechnischen Instituten in Deutschland, hat sich in einem internen Papier für eine umfangreichere DNA-Analyse ausgesprochen. „Die Vorteile liegen klar auf der Hand“, sagt der renommierte Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel dem Abendblatt. Er verweist auch auf den Fall einer Sexualstraftat in den Niederlanden in der Nähe einer Flüchtlingsunterkunft, bei der durch die Analyse schnell ein Nordeuropäer als mutmaßlicher Täter ermittelt wurde. Wenig später kam es zur Festnahme. „Da konnte eine Verteufelung einer bestimmten Ethnie durch das Verfahren verhindert werden“, sagt Püschel.

Die Justizbehörde prüft den Vorstoß – noch ohne Ergebnis

Dennoch sei die erweiterte DNA-Analyse „kein Allheilmittel“, so Püschel. Für einen größtmöglichen Effekt müsste der Staat demnach einen genetischen Fingerabdruck von jedem Bürger erstellen, der bei Bedarf – und nach der Entscheidung eines Gremiums mehrerer Richter – von den Ermittlern für einen Abgleich mit der DNA eines Straftäters benutzt wird. Aus der DNA die Merkmale des flüchtigen Täters herauszulesen, für den es keinen Treffer in der Datenbank gibt, erfolge dagegen nie mit hundertprozentiger Sicherheit.

Tatsächlich sind auch die Ergebnisse der erweiterten DNA-Analyse zu den äußeren Merkmalen eines Menschen mit Fehlern belastet. Die „FAZ“ zitierte aus Analysen, nach denen in den Niederlanden bislang mit einer Wahrscheinlichkeit von durchschnittlich 94 Prozent ermittelt werden konnte, ob ein Tatverdächtiger blaue oder braune Augen hat – Mischformen der Augenfarbe wie Grün oder Grau sind jedoch schwieriger zu bestimmen. Bei der Haarfarbe sank die Treffsicherheit der Analyse teilweise auf 80 Prozent, bei spezifischen Angaben zum Alter oder der Ethnie eines Gesuchten kann die Fehlerquote noch höher liegen.

Aus dem Senatsumfeld heißt es, es gebe derzeit gute Gründe für und gegen eine erweiterte DNA-Analyse – neben der Sicherheit der Erkenntnisse könnte es sich auch um datenschutzrechtliche Bedenken handeln. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte steht den Möglichkeiten der DNA-Analyse aber aufgeschlossen gegenüber: Eine Erweiterung könne „durchaus in Betracht gezogen werden“, sagte Caspar dem Abendblatt. Dabei müssten Merkmale, die den inneren Bereich der Persönlichkeit betreffen - wie Krankheiten, Erbanlagen oder Charaktereigenschaften – zwar streng ausgeschlossen bleiben. Die äußeren Merkmale könnten dagegen künftig analysiert werden, wenn die Verhältnismäßigkeit gewahrt bliebe. Gerade gegenüber Opfern von Straftaten oder ihren Angehörigen bliebe kaum vermittelbar, dass äußere Merkmale bei der Aufklärung (…) außer Betracht bleiben sollten“, sagte Caspar. Eine Sprecherin der Justizbehörde teilte auf Anfrage mit, die Haltung zu der DNA-Analyse werde intern bereits geprüft – dieser Prozess sei noch nicht abgeschlossen.

Möglichkeiten nicht zu nutzen wäre „töricht“, findet die AfD

Die AfD in der Bürgerschaft forderte den Senat auf, die Prüfungen deutlich zu beschleunigen. „Der frühzeitige Ermittlungserfolg kann Leben retten. Der Staat wäre töricht, wenn er den Behörden dieses Instrument zur Ermittlung von gefährlichen Straftätern verweigern würde“, sagte Dirk Nockemann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion.

Der Bund der Kriminalbeamten betont, dass die umstrittene Bestimmung von Erbkrankheiten aus DNA-Spuren nicht freigegeben werden müsse. Der Rechtsmediziner Klaus Püschel plädiert dafür, dass umfassende DNA-Analysen einer intensiven Kontrolle unterliegen müssten. „Wenn Missbrauch ausgeschlossen werden kann, gilt es, ein sinnvolles Instrument auch zu nutzen.“