Hamburg. Marokkaner wird nach Übergriff geduldet, weil er keinen Pass besitzt. Behörden nehmen Kriminelle ins Visier – und sind oft machtlos.
Der Fall eines 18-jährigen Marokkaners, der eine junge Frau in der Nacht zu Freitag auf St. Pauli bedrängt und begrapscht haben soll, gerät zum Politikum: Die CDU fordert die sofortige Abschiebung des Mannes. Wie berichtet, war der mutmaßliche Täter polizeibekannt. Ein Haftrichter sah die Voraussetzungen für das Vorliegen einer sexuellen Nötigung als nicht erfüllt an, der Mann kam frei. Das Abendblatt klärt die wichtigsten Fragen.
Wie ist der Aufenthaltsstatus des mutmaßlichen Täters?
Der 18-jährige Marokkaner reiste vor zwei Jahren als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland ein. Im April dieses Jahres wurde sein Asylantrag vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abgelehnt. Seit Juli ist die Entscheidung rechtskräftig, Rechtsmittel wurden abgelehnt. Der Mann wird derzeit geduldet.
Warum wurde der Mann noch nicht abgeschoben?
Der 18-Jährige gab an, keinen Pass zu besitzen. „Die fehlenden Papiere sind der einzige Grund, warum die Ausreisepflicht noch nicht vollstreckt werden konnte“, sagt Norbert Smekal, Sprecher der Ausländerbehörde. Die Stadt muss beweisen, dass er wirklich Marokkaner ist oder eine andere Staatsangehörigkeit hat. „Es ist ein Verfahren im Gange, um seine Identität zu klären“, sagt Smekal.
Dafür nimmt die Ausländerbehörde Kontakt zur marokkanischen Botschaft auf, die Bundespolizei ist involviert. Marokko soll erst nach der Sommerpause im Bundestag zum „sicheren Herkunftsland“ ernannt werden. Zuvor gilt ein Rücknahmeabkommen. Die marokkanischen Behörden zeigten sich in der Vergangenheit aber wenig kooperativ, wollen Straftäter ungern akzeptieren.
Was passiert, wenn ein Herkunftsland die Rücknahme verweigert?
Die deutschen Behörden sind in der Pflicht zu beweisen, dass eine ausreisepflichtige Person tatsächlich aus einem bestimmten Herkunftsland stammt. „Dazu werden die Betroffenen etwa mithilfe eines Dolmetschers nach ihren familiären Verhältnissen befragt sowie ihre Sprachkenntnisse und Akzente untersucht“, sagt Behördensprecher Norbert Smekal. Diese Indiziensammlung ist sehr aufwendig und führt in einigen Fällen zu jahrelangen Duldungen der abgelehnten Asylbewerber.
Wie häufig scheitert die Abschiebung an fehlenden Dokumenten?
Bei abgelehnten Asylbewerbern aus nordafrikanischen Staaten ist dies der mit Abstand häufigste Grund für eine vorübergehende Duldung. Insgesamt wurden im Juni in Hamburg 5294 Menschen geduldet, weil eine Abschiebung kurzzeitig oder dauerhaft nicht möglich war – 1557 oder 29 Prozent davon wegen fehlender Ausweispapiere. Weitere Gründe für eine Duldung sind gesundheitliche Probleme, ein unbekannter Aufenthaltsort oder besondere Familienverhältnisse. Die meisten Ausreisepflichtigen kamen aus Afghanistan, Serbien und Ägypten.
Wie wirken sich Straftaten auf eine mögliche Abschiebung aus?
Polizei und Staatsanwaltschaft melden jedes Ermittlungsverfahren an die Ausländerbehörde oder das BAMF. Befindet sich ein Betroffener noch im Asylverfahren, führt dies in der Regel zu einer Ablehnung des Asylantrages.
Bei bereits geduldeten Menschen mit anhängigem Strafverfahren wie dem 18-jährigen Marokkaner versucht die Behörde verstärkt, die Hindernisse für eine Abschiebung zu beseitigen. „Diese Fälle haben klare Priorität“, sagt Norbert Smekal. Es kommt deshalb aber nicht zwingend schneller zu einer Abschiebung. Ohne gültigen Pass weigern sich Fluggesellschaften, abgelehnte Asylbewerber zu transportieren. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob ein Herkunftsland offiziell als sicher gilt.
Wie viele Personen werden wegen Strafverfahren nicht abgeschoben?
Dazu gibt es keine Statistik. Für die Dauer der Ermittlungsverfahren muss die Staatsanwaltschaft einer Abschiebung erst zustimmen. Die Ausländerbehörde spricht von „sehr wenigen Fällen“, in denen ein Strafverfahren eine Abschiebung akut verhindert. In der Regel stimmt die Staatsanwaltschaft der Abschiebung unter diesen Umständen schnell zu. Ausnahmen sind Fälle, in denen die Betroffenen etwa noch wichtige Zeugenaussagen leisten könnten.
Was unternimmt der Senat, um einfacher abschieben zu können?
Die sogenannte Rückführungsabteilung wurde im Jahr 2015 von zehn auf 30 Mitarbeiter aufgestockt. Im Herbst soll im Flughafen ein Abschiebegewahrsam eingerichtet werden, um ein Untertauchen der Betroffenen zu verhindern.
Wie geht es im Falle des 18-jährigen Marokkaners weiter?
Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiterhin wegen sexueller Nötigung. Es besteht aber nur ein Anfangsverdacht. Seine Nationalität zu klären, wird im besten Falle einige Monate dauern.