Hamburg . Schon 153 Anzeigen wegen Silvester-Übergriffen in Hamburg. Polizeiliche Ermittlungsgruppe fast verdreifacht.

Gegen den 23 Jahre alten Flüchtling, der am Donnerstag ein zehn Jahre altes Mädchen auf dem Schulhof des Gymnasiums Ohlstedt auf den Mund geküsst hat, liegt nach Angaben der Staatsanwaltschaft kein dringender Tatverdacht wegen sexuellen Missbrauchs vor. „Die Frage nach Haftgründen hat sich für uns daher nicht gestellt“, sagt Behördensprecherin Nana Frombach. Voraussetzung für einen Haftbefehl ist ein dringender Tatverdacht und mindestens einer der Haftgründe Flucht-, Wiederholungs- oder Verdunkelungsgefahr.

Wie berichtet, soll der Somalier das Mädchen am vergangenen Donnerstag auf dem Schulhof an der Sthamerstraße angesprochen haben. Zunächst sei das Gespräch für die Schülerin angenehm verlaufen, so die Polizei. Als sie gehen wollte, habe der Mann plötzlich ihre Hüfte umfasst und ihr auf den Mund geküsst. Das Mädchen lief weg, offenbarte sich seiner Mutter, die die Polizei verständigte. Tags darauf wurde der Mann nach Schulschluss auf dem Gelände des Gymnasiums aufgegriffen. Im Polizeipräsidium gestand er die Tat.

Zwar ermittele die Staatsanwaltschaft „in alle Richtungen“, so Frombach. Doch nach erster Bewertung liegen die Tathandlungen unter der „Erheblichkeitsgrenze“ für einen sexuellen Missbrauch. Nach der Rechtsprechung seien Umarmen oder Küssen unter Umständen nicht als sexuelle Tathandlung zu werten. Genau das solle aber geprüft werden, sobald der Behörde die schriftlichen Protokolle vorliegen.

Zahl der Anzeigen steigt auf 153

Nach dem Gesetz liegt ein Missbrauch vor, wenn sexuelle Handlungen an einem Kind vorgenommen werden. Nach Paragraf 184g, Strafgesetzbuch, müssen diese aber von „einiger Erheblichkeit“ sein. Zur Frage, was erheblich ist, hat sich der Bundesgerichtshof mehrfach positioniert. Eine mit Angrapschen verbundene sexuelle Belästigung wird umfasst von Paragraf 185 und meist als tätliche Beleidigung gewertet – wenn bei der Tat klar erkennbar ist, dass das Opfer zu einem Objekt sexueller Begierde herabgewürdigt worden ist. Eine sexuelle Nötigung liegt vor, wenn das Opfer zu einer sexuellen Handlung gezwungen wird, durch Gewalt oder Drohung für Leib und Leben. Der Tatbestand der Vergewaltigung gilt als erfüllt, wenn die Tat mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist.

Mittlerweile sind laut Polizei 153 Strafanzeigen eingegangen, die im Zusammenhang mit den Übergriffen auf dem Kiez und dem Jungfernstieg in der Silvesternacht stehen. Die polizeiliche Sonderermittlungsgruppe wurde inzwischen von neun Beamten auf eine Stärke von mehr als 20 Beamten aufgestockt. Mittlerweile zählt die Polizei auch Fälle ohne sexuellen Hintergrund, aber mit ähnlicher Begehungsweise zum Gesamtkomplex. Allein am Wochenende sind sieben Fälle sexueller Belästigung in Hamburg gemeldet worden. „Vor dem Hintergrund der Vorfälle in Köln und Hamburg sind schlicht mehr Frauen bereit, Anzeige zu erstatten“, sagt der Kriminologe Professor Christian Pfeiffer. „Bei sexuellen Belästigungen liegt die Anzeigebereitschaft der Betroffenen normalerweise bei unter fünf Prozent.“ Angrapschen müsse grundsätzlich strafbar und als Variante der sexuellen Nötigung im Strafgesetzbuch verankert werden, fordert er.