Gegen den Fahrer wird wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Bei dem Unfall starben Günter Amendt, Angela Kurrer sowie Sibylle und Dietmar Mues.
Hamburg. Nach dem schweren Autounfall in Eppendorf mit vier Toten droht dem Unfallverursacher bei einer Verurteilung eine mehrjährige Haftstrafe. In diesem Fall sei ein Strafrahmen von bis zu fünf Jahren zu erwarten, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Wilhelm Möllers, am Montag in Hamburg. Bis zu einem Prozess würden die Ermittlungen jedoch „einige Zeit in Anspruch nehmen“. Derzeit lägen keine Haftgründe gegen den 38-jährigen Lokstedter vor.
Inzwischen seien Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung in vier Fällen gegen den Fahrer des Fiat Punto im Gange, wie Polizeisprecher Andreas Schöpflin auf Anfrage sagte. Die Polizei hatte zunächst Ermittlungen wegen Körperverletzung mit Todesfolge in vier Fällen eingeleitet.
Bei dem schweren Unfall an der Kreuzung Eppendorfer Baum/ Eppendorfer Landstraße waren am Sonnabend der Schauspieler Dietmar Mues (65, "Tatort“, "Großstadtrevier“, "Bella Block“) ) und seine Ehefrau Sibylle (60) getötet worden sowie der prominente Sozialwissenschaftler Günter Amendt (71) und die Bildhauerin Angela Kurrer (65), die Stiefmutter des Schauspielers Dominic Raacke ("Tatort“). In den Unfall wurde auch das Schauspieler-Ehepaar Peter und Ulla Striebeck verwickelt. Sie wurden leicht verletzt.
+++ Günter Amendt: Der berühmte Soziologe +++
+++ Dietmar Mues: Der bekannte Schauspieler +++
+++ Angela Kurrer: Die engagierte Bildhauerin +++
Der möglicherweise unter Drogen stehende 38-jährige Autofahrer hatte mit „deutlich überhöhter Geschwindigkeit“ eine rote Ampel überfahren. Er kollidierte mit dem von Ulla Striebeck gesteuerten Pkw. Sein Auto überschlug sich und schleuderte in die Gruppe an der Ampel wartender Fußgänger. Amendt wurde laut Polizei unter dem Auto eingeklemmt und starb noch an der Unfallstelle. Auch Mues konnte nicht mehr durch Reanimationsmaßnahmen an der Unfallstelle gerettet werden. Der Unfallverursacher konnte das Krankenhaus nach ambulanter Behandlung verlassen. Fünf weitere Fußgänger erlitten einen Schock.
Polizeisprecher Schöpflin zufolge wird im Laufe dieser Woche mit Ergebnissen der Blutanalyse des Unfallfahrers gerechnet. Nach dem Unfall war bei dem 38-Jährigen bereits ein Urintest durchgeführt und dabei der Haschisch-Wirkstoff THC festgestellt worden. Es besteht der Verdacht, dass der Unfallverursacher berauscht gefahren ist. Aus dem Test lasse sich aber nicht ableiten, wie viel Rauschgift der Mann genommen habe, erklärte Schöpflin – und wie lange der Drogenkonsum zurücklag.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft soll ein toxikologisches Gutachten weitere Erkenntnisse über den Zustand des 38-Jährigen zum Unfallzeitpunkt ergeben. Dabei werde etwa geklärt, welche Drogen der Mann genommen habe und ob diese ursächlich für Fahrfehler seien, sagte Sprecher Möllers. "Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen.“
Die Behörde will auch die Leichen obduzieren lassen. Einen Haftbefehl habe die Staatsanwaltschaft nicht beantragt, weil keine Haftgründe vorlägen, sagte Möllers – es handele sich nicht um ein Vorsatzdelikt, und es gebe weder Flucht- noch Wiederholungsgefahr. Der 38-Jährige ist bei der Anklagebehörde bisher nicht auffällig geworden: „Wir kennen ihn nicht.“ Wann die Polizei den Mann befragen will, blieb am Montag zunächst unklar. Seinen Führerschein hatten die Ermittler direkt nach dem Unfall beschlagnahmt.
Der schwere Unfall hat in Hamburg Trauer und Entsetzen ausgelöst. Viele Menschen legten an der Unglücksstelle Blumen nieder und zündeten Kerzen an. Am Unfallort, einer belebten Kreuzung, treffen sechs Straßen aufeinander. Ein Unfallschwerpunkt, betont Polizeisprecher Schöpflin, sei die Kreuzung aber „definitiv nicht“.
Der Sozialwissenschaftler Amendt hat sich Anfang der 70er Jahre mit aufklärenden Büchern über Sex und Drogen einen Namen gemacht. Sein Buch "Sexfront“ galt wegen der offenen Behandlung des Themas als skandalös. Später untersuchte er in diversen Büchern die Thematik Drogen und widmete sich dem Phänomen des von ihm verehrten Musikers Bob Dylan. In dem Buch "Natürlich anders. Homosexuelle in der DDR“ (1989) wagte er sich an ein im damaligen sozialistischen Teil Deutschlands stark tabuisiertes Thema.
Der Schauspieler Mues ist vielen TV-Zuschauern aus zahlreichen Krimis wie „Tatort“ und „Bella Block“ sowie der Serie „girl friends“ bekannt. Der gebürtige Dresdner lebte seit 1973 in Hamburg und gehörte zwölf Jahre zum Ensemble des Deutschen Schauspielhauses. Mues und seine Frau hinterlassen drei Söhne.
Der NDR will ab Dienstag in mehreren Sendungen in Radio und Fernsehen an den Schauspieler erinnern. „Dietmar Mues war ein sehr vielseitiger Künstler mit einer ganz breiten Palette von darstellerischen Möglichkeiten. In meiner Erinnerung sind seine Auftritte mit der NDR Bigband unter Dieter Glawischnig besonders präsent", sagte NDR-Intendant Lutz Marmor dem Radiosender NDR Kultur. "Sein tragischer Tod ist sehr traurig und auch für uns ein großer Verlust. Mein und unser Mitgefühl gilt seinen Angehörigen.“
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Der schwarze Sonnabend von Eppendorf
Kerzen brennen. In Gedenken an die vier Leben, die binnen Sekunden so sinnlos ausgelöscht wurden. Niedergelegte Rosen, Nelken und Osterglocken leuchten bunt - doch sie erinnern an einen schwarzen Sonnabend. "Das Auto kam einfach angeflogen und krachte mit voller Wucht auf die Fußgänger", sagt Augenzeugin Barbara Prinz, 50. Sie gehört zu den etwa 40 Trauernden, die sich gestern Nachmittag an der Kreuzung Eppendorfer Landstraße/Lehmweg versammelten.
Auch 24 Stunden später sei dieser Unfall unfassbar, sagen sie. Eine Tragödie, die Spuren hinterlassen hat. Im Gedächtnis der unfreiwilligen Beobachter und am Unglücksort. Blut ist in die Steinplatten des Gehwegs eingezogen, die Holzbank vor der BackWerk-Filiale liegt in Trümmern und lässt die Wucht des aufprallenden Wagens erahnen. Eine 25-jährige Jura-Studentin, die nur wenige Meter von der Unfallstelle entfernt wohnt, gedenkt der Opfer: "Es ist ein Drama. Wahrscheinlich wollten sie nur kurz den Wochenend-Einkauf erledigen - doch sie kamen nie zurück." Die Wahrheit klingt schrecklich banal: Sie waren zur falschen Zeit am falschen Ort.
Rückblick: Es ist 16.44 Uhr an diesem frühlingshaften Sonnabend, als das Leben mitten in Eppendorf plötzlich angehalten wird. Von der Eppendorfer Landstraße rast ein silberfarbener Fiat Punto heran. Der 38-jährige Fahrer, der offenbar unter Drogen (Marihuana) steht, wie die Polizei noch am selben Abend in einem Schnelltest nachweisen wird, ignoriert die rote Ampel, gibt Gas und rauscht in den rechten hinteren Kotflügel eines VW Golf Cabriolets, das vom Eppendorfer Baum kommend Richtung Lenhartzstraße unterwegs ist.
Mit welcher Geschwindigkeit der Immobilienkaufmann aus Lokstedt auf die Kreuzung fuhr, wird noch untersucht. "Er fuhr aber auf jeden Fall deutlich schneller als erlaubt", sagte Polizeisprecher Andreas Schöpflin gestern. Durch das hohe Tempo ist der Aufprall so heftig, dass der Fiat sofort ins Schleudern gerät und sich mehrfach überschlägt, ehe er aus der Höhe in eine Gruppe von Fußgängern und Radfahrern kracht. Eine junge Mutter schreit und legt schützend die Hand über das Baby auf ihrem Arm.
Der berühmte Soziologe und Aufklärer Günter Amendt ("Sexfront"), der mit zahlreichen anderen Passanten an der Fußgängerampel Eppendorfer Baum/Lehmweg auf grünes Licht wartet, hat keine Chance. Der 71-Jährige wird unter dem rund 1,2 Tonnen schweren Wagen eingeklemmt und von dem Wrack erdrückt - er stirbt noch an der Unfallstelle.
Der Wissenschaftler war offenbar mit seinem engen Freund, dem 65-jährigen Fernseh- und Theaterschauspieler Dietmar Mues, und dessen Ehefrau Sibylle unterwegs. Der Wagen reißt auch das Ehepaar zu Boden, beide gehören zu den Todesopfern. Die 60-jährige Sibylle Mues, die als Lehrerin an der Eppendorfer Grundschule Marie Beschütz unterrichtet, kann am Unfallort zunächst zwar noch wiederbelebt werden, erliegt dann jedoch im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen. Für die Hamburger Bildhauerin Angela Kurrer, die Stiefmutter des Schauspielers Dominic Raacke, der im Fernsehen als Berliner "Tatort"-Kommissar Till Ritter ermittelt, kommt jede Hilfe zu spät.
Noch ehe der erste Rettungswagen den Unfallort erreicht, kümmern sich Ersthelfer - darunter vier UKE-Ärzte, die sich zum Zeitpunkt des Unglücks zufällig an der belebten Kreuzung aufhalten - um die Schwerverletzten. Der Unfallfahrer selbst ist nur leicht verletzt, er wird von der Feuerwehr aus seinem Autowrack geschnitten. Gegen den 38-jährigen Lokstedter ermittelt die Polizei nun wegen Körperverletzung mit Todesfolge in vier Fällen.
Die Insassen des getroffenen VW Golf Cabriolets, der Schauspieler Peter Striebeck ("Unsere Hagenbecks"), der morgen 73 Jahre alt wird, und seine Ehefrau Ulla, die am Steuer saß, kommen glücklicherweise leicht verletzt mit einem Schrecken davon.
Feuerwehr und Polizei sind mit einem Großaufgebot im Einsatz: Mehr als 70 Feuerwehrleute und vier Notärzte kümmern sich um die Opfer. Neben den vier Menschen, die ihren Verletzungen erliegen, gibt es acht Verletzte. Die Polizei ist mit 19 Peterwagenbesatzungen und dem Polizeihubschrauber vor Ort. Notfallseelsorger und Mitglieder des Kriseninterventionsteams kümmern sich um die unter Schock stehenden Augenzeugen und um die trauernden Angehörigen.
Im Freundeskreis der Opfer herrschen Fassungslosigkeit und Trauer: "Vergangene Woche saß ich noch mit Dietmar Mues zusammen. Er war voller Tatendrang, hat mir von neuen Projekten erzählt", sagte Michael Lang, Intendant der Komödie Winterhuder Fährhaus, gestern dem Abendblatt. Dass sowohl Dietmar Mues als auch Peter Striebeck, die einander sehr gut kannten und auch schon gemeinsam auf der Bühne standen, in denselben Unfall verwickelt worden seien, sei "unglaublich". Wie überhaupt die Tragweite des gesamten Unglücks.
Das betonen auch die Trauernden, die jetzt - Stunden, nachdem die Sperrung der Kreuzung aufgehoben wurde - an der Unfallstelle innehalten. Darunter ist auch Jörg Vennewald, Lebenspartner der Schauspielerin Rhea Harder ("Notruf Hafenkante"). Der Aufnahmeleiter war am Sonnabend zwar nicht selbst vor Ort, hörte aber die kreisenden Hubschrauber und die Sirenen der Krankenwagen. "Rhea war gestern mit den Kindern spazieren, und sie sind nur durch Zufall nicht an dieser Kreuzung vorbeigegangen", sagt der zweifache Vater. Nach einer solchen Tragödie lebe man plötzlich bewusster. "Weil einem brutal vor Augen geführt wird, wie schnell alles vorbei sein kann."
Auch die Eppendorferin Ulla Paeper nimmt Anteil, obwohl sie den Unfall nicht miterlebt hat. "Es hätte jeden treffen können, das macht mich so nachdenklich und machtlos", sagt die 35-Jährige, die drei gelbe Tulpen niedergelegt hat. Als sie die umstehenden Menschen sieht, die einander weinend in den Armen liegen, sagt sie: "Ich bin froh, dass ich das gestern nicht mitansehen musste. Diese Bilder brennen sich doch auf ewig in das Gedächtnis ein."
Kritisch äußert sich eine Mutter, die am Eppendorfer Weg wohnt. "Wir sind hier sehr traurig und gleichzeitig wütend, schließlich brauchten wir hier dringend eine verkehrsberuhigte Zone", sagt die 42-jährige Werberin. "Vielleicht trägt dieser traurige Tag zumindest dazu bei, dass hier Raser künftig endlich ausgebremst werden."
Mit Material von dapd