Wegen der niedrigen Löhne musste die Arge in einem Fall Aufstock-Leistungen von 11.000 Euro zahlen. Diese Praxis ist laut Arge kein Einzelfall.

Stralsund. hr Tageslohn hätte gerade gereicht, um sich am Abend eine Pizza und ein Getränk leisten zu können. Der Chef der Stralsunder Pizzeria zahlte der Kellnerin, ihren Küchenkollegen sowie zwei Pizzaboten Stundenlöhne zwischen 1,43 Euro bis 2,86 Euro brutto. „Sittenwidrig niedrigen Löhne“, macht der Leiter der Behörde zur Betreuung von Langzeitarbeitslosen (Arge), Peter Hüfken, unmissverständlich klar. Er zog vor das Arbeitsgericht. Jetzt begann in Stralsund der Prozess. Die Pizzeria in einem Plattenbaugebiet hat der Beklagte, der nicht zum Prozess erschien, inzwischen verkauft.

Aufgeflogen waren die Dumpinglöhne, weil die Arbeitnehmer wegen des geringen Einkommens zusätzlich Leistungen bei der Behörde beantragten. Die Arge will die ihrer Meinung nach zu viel gezahlten 11.000 Euro zurückholen. „Das sind wir dem Steuerzahler schuldig“, sagt Arge-Chef Hüfken. Das Verfahren zeigt offenbar keinen Einzelfall. Neben der Gastronomie würden auch im Dienstleistungsgewerbe und bei gemeinnützigen Einrichtungen immer wieder Dumpinglöhne gezahlt, sagt Hüfken. Als bundesweit erste hatte die Stralsunder Behörde schon im Februar einen Musterprozess angestrengt – und gewonnen. Der Betreiber eines Stralsunder Fischrestaurants musste, weil er den Angestellten Stundenlöhne von weit unter 3 Euro zahlte, 6000 Euro an die Arge zahlen. Im August hatte der Besitzer einer Hähnchenbar reumütig eingewilligt, 825 Euro zu zahlen. Er hatte eine Mitarbeiterin für einen Stundenlohn zwischen 1,41 und 2,32 Euro brutto beschäftigt.

Richter Thies Luther, der nicht verhehlte, dass er die Pizzeria-Löhne für zu niedrig halte, mühte sich um eine gütliche Einigung. Doch ein Vergleich kam nicht zustande. Das Angebot, 75 Prozent der geforderten Summe zu zahlen, schlug der Anwalt des Beklagten aus. Maximal einen Betrag von 20 bis 30 Prozent der geforderten Summe könne er anbieten, sagte Anwalt Heiko Warmbold. Das Urteil soll am 26. Januar verkündet werden.

Das Bundesarbeitsgericht hatte im April in einem Urteil Richtlinien vorgegeben. Danach sind Löhne sittenwidrig, wenn diese nicht zwei Drittel des in der betreffenden Branche gezahlten Tariflohnes oder des ortsüblichen Lohnes erreichen. In Mecklenburg-Vorpommern liegt der Tariflohn einer Kellnerin bei 5,88 Euro. Der Richter verwies zudem auf eine Studie des Statistischen Landesamtes aus dem Jahr 2006. Danach lag der Durchschnittslohn bei Kellnern im Nordosten bei 7,23 Euro.

Die vom Richter zitierten Löhne bezeichnete Warmbold als unrealistisch. „Es geht hier nicht um ein Hotel oder Restaurant in Heiligendamm, sondern um eine Pizzabude, bei der Hartz-IV-Empfänger für vier Euro eine Pizza ordern.“ Über ein Arbeitsangebot seien die Arbeitslosen sogar dankbar, weil sie nicht mehr zu Hause sitzen müssten. „Der Pizzafahrer freut sich, dass er Auto fahren kann und bekommt auch noch ein Trinkgeld“, erklärte der Anwalt.

Der Dehoga-Verband warnte vor einer Verallgemeinerung. „Das ist ein absoluter Einzelfall“, sagte der Präsident des Dehoga in Mecklenburg-Vorpommern, Guido Zöllick. „Wir distanzieren uns davon.“ Zöllick verwies auf den mit der Gewerkschaft NGG ausgehandelten Tarifvertrag. Viele Unternehmen zahlten inzwischen sogar mehr, um angesichts des fehlenden Berufsnachwuchses gute Mitarbeiter zu binden. „Wir müssen qualitativ auf dem hohen Niveau bleiben, können aber auch nur zahlen, was wir verdienen.“

Inzwischen ist die Stralsunder Arge in 51 Fällen wegen Lohndumpings gegen Arbeitgeber vorgegangen und konnte laut Hüfken bereits 110.000 Euro eintreiben. In der Hälfte der Fälle hätten die Arbeitgeber nach Klagedrohungen von allein gezahlt. In den anderen Fällen habe das Arbeitsgericht entschieden – zugunsten der Arge. Aktuell sind laut Hüfken noch 15 Klagen gegen sechs Arbeitgeber anhängig. Insgesamt geht es dabei um 44.000 Euro. „Wir verwalten Steuermittel. Dieses Geld hätte nicht fließen müssen, wenn der Arbeitgeber einen angemessenen Lohn gezahlt hätte“, begründete Hüfken das konsequente Vorgehen gegen Dumpinglöhne.