Mit seinen Aussagen belastet der Ex-Rocker einen Hells-Angels-Boss. Der habe „grünes Licht“ für die Ermordung eines Türken gegeben.

Kiel. Ein Ex-Rocker hat als Kronzeuge vor dem Kieler Landgericht massive Vorwürfe gegen den Hells Angel Frank Hanebuth erhoben und Einblicke in die kriminellen Machenschaften der straff geführten Rockerorganisation gegeben. Der Chef der Hannoveraner Hells Angels, der eine führende Rolle bei der Rockerbande in Deutschland spiele, habe der Ermordung des seit zwei Jahren vermissten Türken Tekin Bicer in Kiel zugestimmt, sagte der frühere „Präsident“ der inzwischen aufgelösten Kieler Rockergruppe Legion 81, einer Art Hilfstruppe der Hells Angels am Donnerstag.

„Die Entscheidung hat Hanebuth getroffen und grünes Licht gegeben, dass wir ihn entsorgen“, sagte der Ex-Rocker, der inzwischen unter massivem Polizeischutz steht; im Gerichtssaal trug er eine kugelsichere Weste. Die Kieler Staatsanwaltschaft sucht nach seinen Hinweisen seit einer Woche die Leiche des Türken in einer Lagerhalle der Hells Angels in Altenholz bei Kiel – bisher ohne Erfolg.

Hanebuth selbst wies die Vorwürfe am Abend entschieden zurück. „Der Typ ist geisteskrank!“, sagte er der „Bild“-Zeitung (Freitag). Er kenne den Ex-Rocker überhaupt nicht. „Der erzählt eine Riesengeschichte, um sich zu retten“, meinte Hanebuth.

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Der 40-jährige Angeklagte hofft als Kronzeuge der Kieler Staatsanwaltschaft auf Strafmilderung. Er muss sich unter anderem wegen Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung, räuberischer Erpressung und Körperverletzung verantworten. Seitdem er bei der Justiz über die Machtstrukturen und kriminellen Geschäfte der Hells Angels auspackt, fürchtet er um sein Leben, wie er vor Gericht sagte.

Der Kronzeuge sagte den ganzen Tag über vor Gericht aus. Dabei berichtete er unter anderem über Waffen- und Drogenhandel, über Schutzgelderpressungen mit „Gewalt, Schlägen und Einschüchterung“. Selbst Kinder seien dabei bedroht worden, um deren Eltern zur Zahlung zu zwingen. Als er aussagte: „Den Hells Angels geht es nur um Kohle“, erhob sich ein tätowierter Mann im Zuschauerraum und rief eine indirekte Morddrohung: „Der ist tot.“ Dann ging er.

Vom Mord an dem Türken will der Ex-Rocker auf einer Weihnachtsfeier 2010 erfahren haben. Er sollte damals in den inneren Führungszirkel der Kieler Hells Angels aufgenommen werden. Der Türke sei von Hells Angels stundenlang gequält, mit einem Werkzeug auch anal gefoltert, angeschossen und schließlich vom sogenannten Hauptsergeant der Kieler Hells Angels mit einem Kopfschuss getötet worden. Geräusche wie ein Seehund habe das Opfer während der Torturen gemacht und geröchelt – die Täter hätten sich darüber amüsiert.

Zum Motiv für den Auftragsmord sagte der Ex-Rocker, der Türke sei in Ungnade gefallen. Es sei um Waffengeschäfte, Prostitution und viel Geld gegangen. Im übrigen habe es ein Kopfgeld für den Türken gegeben, der selber einen Kurden getötet hatte. Dessen Vater soll 100 000 bis 150 000 Euro ausgelobt haben. Das Geld sei später gezahlt worden, er wisse aber nicht, wie viel, sagte der Kronzeuge.

Hanebuth soll nach den Aussagen auch auf die Kieler Hells Angels großen Einfluss ausgeübt haben. So habe er die Finanzlage in Kiel überwacht, und für den Gebrauch von Schusswaffen sei das Okay des Hannoveraners jeweils notwendig gewesen. Hanebuth habe bei den Auseinandersetzungen mit anderen Rockergruppierungen auch „die Kriegskasse geführt“ und zustimmen müssen, als „ein gezielter Warnschuss“ auf einen Rocker der mit den Hells Angels verfeindeten Bandidos in Preetz (Kreis Plön) abgegeben wurde. Dort hatten die Bandidos ein eigenes Chapter aufbauen wollen, was die Hells Angels mit massivem Druck verhindert hätten.

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Für das Vorgehen gegen die Bandidos in Preetz habe Hanebuth ihm persönlich in einem thailändischen Restaurant in Kiel einen Umschlag mit 5000 Euro gegeben – 3000 Euro quasi als Honorar plus 2000 Euro für den Kauf eines Autos zur Ausführung der Tat, sagte der Ex-Rocker. Es reiche, wenn die Bandidos in Preetz einen Denkzettel erhielten, habe Hanebuth ihm gesagt.

Hanebuth soll auch über „Hausbesuche“ der Hells Angels entschieden haben – „das heißt in unserer Sprache, dass auf jemanden geschossen oder die Kniescheibe kaputtgehauen wird“, sagte der Angeklagte vor Gericht. Im Endeffekt werde sogar der Tod des jeweiligen Opfers in Kauf genommen. Die Hells Angels hatten demnach selber Waffen: Pistolen, eine abgesägte Schrotflinte, Kleinkalibergewehre, eine Handgranate – aufbewahrt in einer Tasche für den Ernstfall. „Wenn auf einen von uns geschossen wird, dann soll die Handgranate fliegen und drei von denen (dpa: rivalisierende Rocker) erschossen werden“, habe die Vorgabe gelautet. Außerdem seien Waffen an andere Clubs in Schleswig-Holstein abgegeben worden, „auch mal an die NPD und eine kurdische Vereinigung“.

Mit Material von dpa