Nach der Tat in Rissen nahmen die Täter in einer E-Mail an das Abendblatt Bezug auf die Innenministerkonferenz in der Hansestadt.

Hamburg. Die Staatsschutz-Ermittler des Hamburger Landeskriminalamtes gehen davon aus, dass das Bekennerschreiben zu den Anschlägen auf ein Auto des Catering-Unternehmens „Dussmann“ und die Außenstelle der Polizei in Rissen authentisch ist. In der Nacht zu Sonntag hatten bislang unbekannte Täter in Rissen Scheiben des Polizei-Pavillons eingeschmissen, die Wände mit blauer Farbe beschmiert und ein Glas mit Buttersäure in das Gebäude geworfen. Kurz zuvor hatten Brandstifter in der Bernstorffstraße (St. Pauli) einen „Dussmann“-Lieferwagen angezündet.

Die Firma steht seit geraumer Zeit im Fokus autonomer Staatsfeinde, weil sie auch die zentrale Berliner Aufnahmestelle für Asylbewerber mit Essen beliefert. In dem Bekennerschreiben verweist die Gruppe auf angebliche Missstände in mehreren politischen Bereichen. Laut Polizeisprecher Ralf Meyer ist das typisch für diese Art von Anschlägen. Meyer: „So etwas kommt vor politischen Großereignissen durchaus häufig vor. Die Täter nutzen die Chance auf mediale Präsenz. Sie wollen ihr Thema ja in die Öffentlichkeit bringen.“ Das aktuelle Bekennerschreiben, das beim Hamburger Abendblatt und der Hamburger Morgenpost einging, sei durchaus als echt zu werten, so Meyer. Die Fahndung nach den Tätern läuft. Lesen Sie zu dem Anschlag auf die Polizeiwache auch den großen Abendblatt-Bericht:

Säureattacke gegen Wache - Der Bekennerbrief im Wortlaut

Fünf Fensterscheiben sind zersprungen, an der Wand Flecken dunkelblauer Farbe, und es stinkt erbärmlich. In der Nacht zu Pfingstmontag haben unbekannte Täter einen Anschlag auf die Außenstelle des Polizeikommissariats 26 verübt. Das Pavillongebäude im Rissener Ortskern ist massiv beschädigt worden. Unter anderem warfen die Täter ein Glas mit übel riechender Buttersäure in die Wache - die an Wochentagen von 7 bis 20 Uhr besetzt ist und nachts leer steht.

+++ Innenministerkonferenz: Rowdys, Rockerkrieg und Rahmenprogramm +++

Die Suche nach den mutmaßlich politisch motivierten Tätern läuft. Zeugen haben fünf junge Männer weglaufen sehen. Am Montagabend ging per E-Mail ein Bekennerschreiben beim Abendblatt ein. Unterschrieben ist es mit "Autonome Gruppe zur Erinnerung an die Toten in Hamburger Abschiebehaft".

Nach dem straff organisierten Anschlag auf das Polizeikommissariat 16 an der Lerchenstraße ist die Tat von Rissen die zweite Attacke auf ein Polizeigebäude binnen eines halben Jahres. Im Bekennerschreiben zum neuerlichen Anschlag wird ein direkter Bezug auf die Innenministerkonferenz (IMK) genommen. Sie beginnt morgen Abend mit einem zwanglosen Beisammensein. Hauptthema der Tagung: "Gewalt gegen die Polizei". Auch im Internet wird bereits kräftig gegen das Treffen der Sicherheitspolitiker mobilisiert.

Es sind gleich zwei neue Fälle, die die Ermittler der Staatsschutzabteilung der Hamburger Kripo in der Nacht zu Sonntag in die lange Liste der noch aufzuklärenden Fälle zu schreiben hatten: Um 2.45 Uhr brannte ein Auto auf St. Pauli. An der Ecke Bernstorffstraße/Thadenstraße schlugen Flammen aus einem geparkten Renault-Kleinbus. Dass dies nicht, wie sonst so oft, die Tat unpolitischer Wüteriche war, machten die Beamten an der Firma fest, auf die der Lieferwagen zugelassen ist. Das Cateringunternehmen Dussmann wurde bereits mehrfach Ziel politisch motivierter Brandanschläge. Vor allem in Berlin gilt das Unternehmen als "Überzeugungstäter kapitalistischer Modernisierung". Der Dienstleister beliefert unter anderem die zentrale Berliner Aufnahmestelle für Asylbewerber.

Auch in Hamburg brannten bereits Autos von Dussmann. Vor dem G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm zündeten unbekannte Täter vier Lieferfahrzeuge auf dem Parkplatz einer Seniorenresidenz in Niendorf an. Beim Abendblatt war danach ein Bekennerschreiben eingegangen. Der jetzt in der Bernstorffstraße ausgebrannte Wagen erlitt Totalschaden.

Eine Stunde nach der Tat auf St. Pauli erwachte ein Anwohner der Rissener Dorfstraße unsanft aus dem Schlaf. Vor seinem Haus klirrten Scheiben, er hörte Knallgeräusche. Als der Rissener aus dem Fenster sah, erkannte er noch, dass fünf augenscheinlich junge Männer davonliefen. Zwei von ihnen trugen weiße Kapuzenpullover, wie der Anwohner notierte. Eine Sofortfahndung blieb trotz der Hinweise des Zeugen erfolglos. Die zwischen 1,70 und 1,80 Meter großen Steinewerfer waren in Richtung Dorfmitte entkommen. Sowohl im Falle des abgebrannten Autos als auch nach dem Anschlag auf die Wache hat der Staatsschutz die Ermittlungen an sich gezogen.

+++ SO KRIMINELL IST IHR STADTTEIL +++

In dem Bekennerbrief erklären die Urheber der Tat in Rissen unter anderem: "Wir sehen uns als Teil einer auch militanten Bewegung gegen die zunehmende Aufrüstung nach innen und außen, gegen den Polizeikongress in Berlin, gegen die Sicherheitskonferenz in München, gegen die Innenministerkonferenz in Hamburg, gegen den Kieler Trialog, gegen DHL und Bundeswehr. Wir glauben nicht das Ammenmärchen eines Mordkonstrukts bei Sachbeschädigung und Brandstiftung vor der Lerchenwache. Bullenwachen gehören behelligt ob mit Steinen, Feuer, Farbe oder Säure!"

Voraussichtlich heute werden die Experten für politisch motivierte Kriminalität ihr abschließendes Lagebild zur morgen beginnenden Innenministerkonferenz vorlegen. Nach Abendblatt-Informationen erwarten die Ermittler keine massiven Ausschreitungen. Wie viele Polizisten im Zusammenhang mit dem Treffen auf der Straße und im Einsatz sein werden, ist auch aus Rücksicht auf die Einsatztaktik noch geheim. Sicher ist: Es gilt, eine ganze Reihe von Zielen zu schützen: Am Freitag werden die Minister im Rathaus tagen. Eine der Zusammenkünfte am Donnerstag wird im Elysée-Hotel stattfinden, eine zweite im Gästehaus des Senats an der Alster.

Schon Mittwochnachmittag gibt es ein kurzes Sightseeing-Programm für die eintreffenden Politiker und ihre Begleitungen. Donnerstagabend findet ein Festbankett statt, in dessen Rahmen die Länderminister Wolfgang Schäuble aus der IMK verabschieden. Der Bundesfinanzminister war zuvor Bundesminister des Innern. Sein Nachfolger Thomas de Maizière wird ebenfalls in Hamburg erwartet.

Seit Wochen versuchen linke und autonome Gruppen im Internet, Mitstreiter gegen die IMK zu mobilisieren: "Hamburg unsicher machen - IMK versenken" heißt es auf einer einschlägigen Homepage, die von einem Zusammenschluss mehrerer Gruppen aus dem linken Spektrum bestückt wird. Darin heißt es: "Lasst uns deutlich machen: Wir wollen ein Leben frei von Kontrollen und Überwachung, keinen Krieg und kein Militär, keine Repression, keinen Rassismus, keine Festung Europa und keinen Kapitalismus!" Geplant sind unter anderem eine Kundgebung vor der Ausländerbehörde und weitere Aktionen.

Darüber, ob die IMK auch Krawalle im Schanzenviertel provozieren werde, möchte man bei Polizei und Innenbehörde keine Spekulationen anstellen. Nach den Krawallen am 1.-Mai-Wochenende hatte es Kritik an Taktik und Lageeinschätzung der Polizei gegeben, weil bereits im Vorfeld erklärt worden war, dass man nicht mit Ausschreitungen rechne. Dies könne Krawallmacher erst animiert haben, hieß es später. Nach den Tätern der Anschläge von St. Pauli und Rissen wird weiter gefahndet. Ihr äußerst wortreiches Bekennerschreiben, in dem sie auch zur Gewalt gegen die IMK aufrufen, verfassten die Autonomen unter dem gefälschten Absendernamen "George Orwell."