Hamburg/Köln. Wohnungen durchsucht, Geld in Schließfach entdeckt, Handy beschlagnahmt – aber kein hinreichender Tatverdacht. Anwalt: überfällig!

Die Staatsanwaltschaft Köln hat alle Ermittlungen gegen den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs eingestellt. Der Verdacht lautete auf Beihilfe zur versuchten schweren Steuerhinterziehung beziehungsweise auf Begünstigung im Zusammenhang mit den Cum-Ex-Geschäften der Hamburger Warburg-Bank.

„Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln gegen Johannes Kahrs wurden am 6. Dezember 2024 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Die Einstellung erfolgte bedingungslos ohne Auflagen oder sonstige Einschränkungen als ‚Freispruch im Ermittlungsverfahren‘“, informierte die Kanzlei EVEN Rechtsanwälte mit Sitz an der Rothenbaumchaussee am Wochenende das Abendblatt. Herr Kahrs sei erleichtert, dass das Verfahren „endlich eingestellt und damit abgeschlossen“ sei.

Fahnder hatten im September 2021 die Wohnungen von Kahrs in Hamburg und Berlin durchsucht und so unter anderem auch den Schlüssel zu einem Schließfach bei der Haspa entdeckt. Dort fanden sie 214.800 Euro. Die Staatsanwaltschaft ließ zahlreiche Zeugen, unter anderem aus der Hamburger Verwaltung, vernehmen, E-Mails und Terminkalender auswerten und zuletzt – im Juni dieses Jahres – noch Kahrs’ Handy beschlagnahmen.

Johannes Kahrs: Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Köln umfasste Tausende Seiten

Laut Kanzlei seien die Ermittlungen mit beispiellosem Aufwand betrieben worden. So soll allein die Hauptakte mehrere Tausend Seiten dick sein. Parallel ermittelte der Cum-Ex-Untersuchungsausschuss der Bürgerschaft. Auch diese Erkenntnisse machte sich die Staatsanwaltschaft zunutze.

„Dennoch: Die Ermittlungen konnten den Anfangsverdacht nicht erhärten. Im Gegenteil: Es wurden keine Beweise für ein Fehlverhalten von Johannes Kahrs gefunden – es gab schlicht kein Fehlverhalten“, resümiert die Kanzlei EVEN.

Rund vier Jahre hatte die Kölner Staatsanwaltschaft gegen den langjährigen Bundestagsabgeordneten der SPD ermittelt. Kahrs soll Warburg-Chef Christian Olearius beraten und Kontakte in die Politik vermittelt haben. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, Olearius wissentlich geholfen zu haben, Steuervorteile aus sogenannten rechtswidrigen „Cum-Ex-Straftaten“ behalten zu haben.

Cum-Ex: Banker Olearius hat Treffen und Telefonate im Tagebuch beschrieben

Konkret soll der starke Mann der SPD Mitte, der Kahrs bis 2020 war, Olearius Kontakte zum damaligen Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz, ins Bundesfinanzministerium und zur Bankenaufsicht vermittelt und ihm so bei Steuerhinterziehung geholfen haben. Das leiteten die Ermittler aus Aufzeichnungen des Bankers ab. Christian Olearius hatte Tagebuch geführt und darin seine Treffen und Telefonate unter anderem mit Kahrs niedergeschrieben.

Im Zuge ihrer Cum-Ex-Ermittlungen hatten Fahnder die Olearius-Tagebücher sichergestellt und minutiös ausgewertet. Bei diesen kriminellen Geschäften diverser Banken wurden große Aktienpakte rund um den Dividendenstichtag von mehreren Beteiligten so schnell hin- und hergeschoben, dass der Staat den Überblick verlor und eine nur einmal entrichtete Kapitalertragsteuer gleich mehrfach erstattete. So wurde der Staat um insgesamt mehr als zehn Milliarden Euro geprellt. Mittlerweile sind Cum-Ex-Geschäfte höchstrichterlich als illegal eingestuft.

Opposition: Politische Einflussnahme durch Scholz und Tschentscher

Die Hamburger Privatbank mischte in diesem Geschäft eher am Rande mit. Einmal ging es um 47 Millionen Euro, ein anderes Mal um 43 Millionen Euro. Ein Hamburger Finanzamt wollte das Geld zunächst zurückfordern, verzichtete dann aber darauf. Der Vorwurf der Opposition lautet: „Politische Einflussnahme durch Olaf Scholz und Peter Tschentscher“ habe dazu geführt.

Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft versucht, die Cum-Ex-Geschäfte der Warburg-Bank und der ehemaligen HSH-Nordbank aufzuklären. Parallel lief ein strafrechtliches Verfahren unter anderem gegen Christian Olearius. Das ist inzwischen eingestellt – wenn auch ohne Freispruch. Die Vorsitzende Richterin begründete das „Einstellungsurteil“ mit dem schlechten Gesundheitszustand des Hamburger Bankers. 

214.800 Euro lagen in Kahrs’ Schließfach

Zurück zu Kahrs: Der hatte sich hinter den Kulissen mehrmals mit Olearius getroffen oder mit ihm telefoniert und ihm Türen geöffnet. Kahrs‘ SPD-Kreisverband und die Landespartei wiederum kassierten 2017 gleich viermal Spenden von der Warburg-Bank oder mit ihr verbundener Unternehmen – dreimal die SPD Mitte, einmal der Landesverband. Insgesamt ging es um 45.500 Euro, obwohl zu dem Zeitpunkt bereits gegen die Warburg-Bank ermittelt wurde. Zur Wahrheit gehört: Olearius spendete auch an CDU und FDP.

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Hat Kahrs Geld von Olearius nicht nur für die SPD kassiert, sondern auch sich für seine Dienste bezahlen lassen? Der Verdacht machte nach dem 29. September 2021 die Runde. An dem Tag hatten Fahnder in einem Schließfach der Haspa in St. Georg insgesamt die 214.800 Euro entdeckt, die Kahrs gehören. Woher das Geld stammt, weiß bis heute vermutlich nur Kahrs. Jedenfalls konnte die Staatsanwaltschaft im Lauf ihrer aufwendigen Ermittlungen nicht nachweisen, dass das Geld von der Warburg-Bank stammt.

Kahrs’ Rückzug aus der Politik – aus Enttäuschung

Das Abendblatt hatte Kahrs nach dessen überraschendem Ausstieg aus der Politik in einem Porträt einen „Gegenentwurf zum vorherrschenden politischen Charakter an Alster und Elbe“ genannt, einen „Antitypus: laut, direkt, keinem Streit aus dem Wege gehend, bisweilen brachial durchsetzungsfähig und in seiner Kritik gelegentlich auch persönlich verletzend – nicht nur gegenüber den politischen Gegnern, sondern auch den eigenen Parteifreunden, wenn er es für nötig erachtete“. Andere Hamburger Medien schrieben von einem „System Kahrs“ oder einem „House of Kahrs“. Kaum einen anderen Politiker charakterisiert die Bezeichnung als „Strippenzieher“ so treffend wie Kahrs bis zum Zeitpunkt seines Rücktritts.

Der Sozialdemokrat selbst hatte sich nach seinem Rückzug von allen Ämtern im Mai 2020 – nachdem er nicht Wehrbeauftragter des Bundestags geworden war – nicht zu den Vorwürfen und Ermittlungen äußern wollen. Seine Verteidigung war aber von Anfang an der Auffassung, dass das Verfahren „aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen“ einzustellen sei: „Herr Kahrs hat nichts falsch gemacht. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Ermittlungen politisch motiviert waren“, hieß es.

Für Kahrs‘ Anwalt Jes Meyer-Lohkamp ist die Einstellung des Verfahrens die „einzig richtige“ Entscheidung. Allerdings komme sie „Jahre zu spät“. Meyer-Lohkamp vergleicht die Staatsanwaltschaft Köln mit einem Tiger, der gesprungen und als Bettvorleger gelandet sei. „Anders kann man den Verfahrensgang nicht beschreiben.“ Für dessen Anwaltskollegen Max Schwerdtfeger war das Verfahren politisch motiviert. „Jeder Stein wurde umgedreht. Ohne Ergebnis.“