Hamburg. Schulsenatorin Bekeris stellt einen Plan zur Entlastung von Lehrern und Schülern vor. Bald sollen 100 Sozialpädagogen im Schulalltag helfen.
Das ist durchaus ein kräftiger Griff in den Haushalt des Stadtstaats kurz vor der Bürgerschaftswahl und zeugt zugleich von einem Umdenken in der Pädagogik: Hamburgs Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) will 102 zusätzliche Stellen für Sozialpädagogen und Sozialarbeiter bis zum Beginn des nächsten Schuljahres 2025/26 schaffen. „Das ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt“, sagt Bekeris. Auch weil sie die positive Entwicklung durch eine Sozialarbeiterin bereits selbst erlebt habe.
Der ambitionierte Plan: Schrittweise soll an allen 344 staatlichen allgemeinbildenden Schulen dauerhaft Schulsozialarbeit angeboten werden, um den gewachsenen Belastungen der Schülerinnen und Schüler besser begegnen zu können. In einem ersten Schritt bekommen 66 Gymnasien und 56 Grundschulen zusätzliche Stellen. Beeinträchtigungen der psychosozialen Gesundheit und des allgemeinen Wohlbefindens können die Lern- und Entwicklungschancen der Kinder und Jugendlichen schmälern oder gar gefährden. Das Vorhaben sei eine Reaktion auf diese „komplexen Herausforderung“, vor denen Schülern, Lehrern und Eltern derzeit stünden, erklärt Senatorin Bekeris.
Hamburg will Schülern mit psychischen Problemen mehr Hilfe bieten
Laut einer repräsentativen Umfrage im Rahmen des aktuellen „Deutschen Schulbarometers 2024“, das die Robert-Bosch-Stiftung am Dienstag dieser Woche vorgestellt hat, zeigen bundesweit zwölf Prozent der Kinder zwischen acht und 17 Jahren psychische Auffälligkeiten, weitere neun Prozent bewegen sich im Grenzbereich. Der Bedarf an professioneller Hilfe ist also offensichtlich erheblich. „Es ist genau das, was wir brauchen, um alle zu entlasten“, sagt Bekeris.
Schulsozialarbeit gleicht an den staatlichen Schulen in Hamburg bislang eher einem Flickenteppich: An den 64 Stadtteilschulen gehören Sozialpädagogen und Sozialarbeiter bereits fest zu den multiprofessionellen Teams, an einigen wenigen Grundschulen ebenfalls. Senatorin Bekeris entgegnet: „Alle, die sich länger mit Schulpolitik und Stellen beschäftigen, wissen, dass das ein ordentlicher Kraftakt ist.“
Abhängig von der Größe der Schule, der Schulform und dem Sozialindex werden den Standorten zwischen 0,5 und 2,5 Stellen zugewiesen. Bekeris kündigte an, dass vom 1. Februar 2025 an zunächst alle 56 Grundschulen mit dem niedrigen Sozialindex 1 oder 2 mit 35 Stellen zusätzlich ausgestattet werden, sodass an diesen Schulen künftig 41,8 Stellen für die Sozialpädagogen und Sozialarbeiter zur Verfügung stehen. An den 66 Gymnasien, an denen es bislang gar keine Schulsozialarbeit gab, sollen vom nächsten Schuljahr an 44 Stellen zur Verfügung stehen. Schließlich wird die Ausstattung der 64 Stadtteilschulen noch einmal erhöht: um insgesamt 23 auf dann 107,6 Stellen.
„Startchancen-Programm“: 90 Hamburger Schulen bekommen seit Oktober schon Ressourcen
Alle 90 Schulen, die am Startchancen-Programm des Bundes teilnehmen, erhalten bereits seit Oktober zusätzliche Ressourcen, die auch aus Bundesmitteln finanziert werden. Insgesamt kosten die 102 zusätzlichen Stellen, die aus dem Hamburger Haushalt bestritten werden, 7,2 Millionen Euro pro Jahr. „Im Zuge der Weiterentwicklung des Hamburger Bildungswesens wollen wir mit der flächendeckenden Einführung der Schulsozialarbeit in multiprofessionellen Teams auf die komplexen Herausforderungen und Belastungen reagieren, vor denen Kinder und Jugendliche heute stehen“, sagte die Schulsenatorin.
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Sozialarbeiter sollen nicht einfach nur im Klassenzimmer auf Einsatz warten
Das sind die Aufgaben der Sozialpädagogen und Sozialarbeiter:
- Einzelfallberatung: Unterstützung von Schülerinnen und Schülern bei familiären, schulischen oder psychosozialen Herausforderungen.
- Beratung von Sorgeberechtigten und dem schulischen Personal: Begleitung und Austausch zu erzieherischen Fragestellungen und im Umgang mit individuellen Problemlagen.
- Gruppenarbeit: Durchführung von Trainings und Workshops zur Förderung sozialer Kompetenzen sowie zur Auseinandersetzung mit altersgerechten Themen.
- Krisenintervention: Professionelle Hilfe bei akuten Konflikten und Krisensituationen im schulischen Alltag.
- Präventionsarbeit: Planung und Umsetzung von Projekten zu relevanten Themen wie Mobbingprävention, Suchtverhalten oder Gewaltprävention.
- Kinder- und Jugendschutz: Wahrnehmung der Funktion als Ansprechperson bei Verdachtsfällen auf Kindeswohlgefährdung sowie Einleitung entsprechender Maßnahmen.
- Vernetzung und Kooperation: Aufbau und Pflege von Zusammenarbeit mit relevanten Institutionen wie den ReBBZ (Regionale Bildungs- und Beratungszentren), dem ASD (Allgemeiner Sozialer Dienst) und weiteren Einrichtungen im sozialen Umfeld der Schule.
Wie genau die Sozialarbeiter in den Schulen eingesetzt werden, ist noch unklar. Schließlich würden die Schulen dies individuell handhaben, erklärt Bekeris. Sie könne sich aber auf ihre persönliche Erfahrung beziehen: Eine ihr bekannte Sozialarbeiterin sei in einzelnen Klassenräumen mit eingesetzt worden, habe jedoch auch ihr eigenes Büro sowie Sprechzeiten gehabt. „Und sie war über ein Handy immer erreichbar.“ Nicht praktikabel: „Im Lehrerzimmer zu warten, bis es einen Einsatz gibt, dafür ist an den Schulen immer zu viel los.“
Hamburger Schulsenatorin Bekeris rechnet mit „Pull-Effekt“
Die zahlreichen neuen Stellen zu besetzen, ist kein leichtes Unterfangen, denn der Fachkräftemangel ist auch unter den Sozialarbeitern spürbar. Schulsenatorin Bekeris ist klar, dass Sozialarbeiter ein „begehrtes Gut“ darstellen. Trotzdem sei die Schule an sich als Arbeitsumfeld attraktiv: arbeiten während der Schulzeit, Ferien und unbefristete Verträge. Mit dem umfangreichen Projekt sei auch Hamburg als Standort für Sozialpädagogen aus anderen Bundesländer interessant. Gegebenenfalls gebe es einen „Pull-Effekt“, so Bekeris.
Rahmenkonzept soll flächendeckende Einführung unterstützen
Keine Neuerung im Schulbereich ohne einen pädagogischen Leitfaden: Derzeit entwickelt die Schulbehörde unter der wissenschaftlichen Begleitung der Universität Oldenburg ein Rahmenkonzept für die Schulsozialarbeit, das zum 1. Februar 2025 in Kraft treten soll. Das Konzept soll nicht nur die Aufgabenfelder der Sozialpädagogen und Sozialarbeiter beschreiben, sondern auch deren Vernetzung innerhalb der Schulen und mit außerschulischen Kooperationspartnern. Eine erhoffte Wirkung der flächendeckenden Einführung der Schulsozialarbeit: Lehrer können sich mehr auf die pädagogische Arbeit konzentrieren. „Es entlastet sie, zu wissen, dass es jemanden gibt, der sich genauso um die Belange der Schüler sorgt“, sagt die Schulsenatorin.
Zudem berichtet Bekeris von den bisherigen, „ausschließlich positiven Reaktionen“ der Schulen. Die Rückmeldungen würden bestätigen, „dass wir eine gute Ressource zur Verfügung stellen und Lehrer und Schüler gestärkt werden“.