Hamburg. Der Vorstandsvorsitzende Eberhard Sautter im Abendblatt-Gespräch über private Krankenversicherung, Corona-Folgen und einen speziellen Verein.

Man kann schon sagen, dass Eberhard Sautter ein Gespür für den Puls der Zeit hat. Der Vorstandsvorsitzende der Hamburger Versicherung HanseMerkur hat früh ein Auge auf ein Start-up geworfen, das in Wandsbek ein Mini-Gerät entwickelt hat, mit dem jeder Herzpatient zu Hause über mehrere Tage ein Langzeit-EKG schreiben und von Kardiologen auswerten lassen kann. Warum das wichtig ist? In der lückenlosen Aufzeichnung des Elektrokardiogramms über Tage und Nächte sieht man Unregelmäßigkeiten, die Vorboten von Herzinfarkt oder Schlaganfall sein können. Der Ritmo von dpv-Analytics wird einfach auf die Brust geklebt – ohne Kabel, ohne Rekorder am Gürtel.

Warum das für die HanseMerkur wichtig ist? Sie konnte ihren Versicherten das mit Preisen ausgezeichnete Gerät zur Gesundheitsvorsorge ganz früh anbieten. Man weiß nicht erst seit der Corona-Pandemie mit den deutschen Superstars von Biontech, wie wichtig und geschäftsträchtig solche Innovationen sind. Im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt sagte Sautter: „Für moderne Medizin ist es nicht einfach, jenseits von Arzneimitteln und hochpreisiger Medizintechnik in den Gesundheitsmarkt zu kommen. Das machen keine Pharma-Konzerne, keine Krankenhäuser. Über unsere vorhandenen Kunden können wir das anbieten. Als Privatversicherer dürfen wir Innovationen früher anbieten als die gesetzliche Krankenversicherung.“

HanseMerkur: Private Krankenversicherung, Immobilien – und HSV

Sautter glaubt, dass die bestehende Zweigliedrigkeit im deutschen Gesundheitssystem Positives habe: Vom Engagement der Privaten „profitieren auch die gesetzlich Versicherten, wenn Behandlungen oder Produkte in ihren Leistungskatalog übernommen werden“.

Das ist nur ein winziger Ausschnitt aus dem HanseMerkur-Kosmos in der Krankenversicherung und ein ebenso kleiner aus dem gesamten hanseatischen Unternehmen. Der Hamburger Platzhirsch wächst bundesweit. Die klassische Kranken- oder Zusatzversicherung steht beinahe gleichberechtigt neben Geschäftsfeldern wie Immobilien oder dem in Hamburg gleichfalls viel beachteten Engagement beim HSV. Dass die HanseMerkur so hamburgisch daherkommt, hat buchstäblich wie sprichwörtlich viel mit den Perspektiven des Hauses zu tun.

Immobilien Hamburg – wie ein hanseatischer Versicherer mitmischt

Aus der Unternehmenszentrale am Dammtor schaut man von oben auf die Alster, Richtung Harvestehude oder City und HafenCity. Da drehen sich einige Baukräne, andere nicht. Beamte – und Hamburg ist eine gewichtige Beamtenstadt – machen etwa die Hälfte der Krankenversicherten aus. Das Immobiliengeschäft ist so bedeutend, dass die Bilanz der HanseMerkur Grundvermögen (HMG) separat ausgewiesen wird: Die „Assets“, also Vermögenswerte, belaufen sich auf rund sieben Milliarden Euro bei einem Gewinn vor Steuern von zuletzt 19,6 Millionen Euro (2023). Und wer ein solcher „Player“ auf dem Immobilienmarkt ist, sieht nach der Signa-Pleite von René Benko, dass neue Türen für einen Einstieg aufgehen. Spruchreif ist hier allerdings noch nichts.

Das Unternehmen wuchs in den vergangenen Jahren etwa fünfmal stärker als die Branche. Die HanseMerkur ist ein stiller Boomer. 134,7 Millionen Euro betrug das Gesamtergebnis 2023. Die Kurve mit den Eigenkapital-Zahlen geht weiter nach oben. Hauptsponsor beim HSV zu werden und noch Anteile am Verein selbst zu erwerben, mag ein Orchideenfach in der Versicherungswelt sein. Zu finanzieren war es mit dieser wirtschaftlichen Stärke vergleichsweise leicht.

Umstrittener Krebs-Scan: „Reaktionen der Versicherten positiv“

In der öffentlichen Wahrnehmung hat sich die HanseMerkur zuletzt jedoch möglicherweise etwas verhoben. Sie bot eine Krebs-Früherkennung an, die unter Fachleuten umstritten ist. Diese Zusatzversicherung für zunächst gut 19 Euro im Monat sah regelmäßige Bluttests vor, um Tumoren im Anfangsstadium zu erkennen und zu behandeln. Experten bezweifelten die Wirksamkeit der Tests. Sautter jedoch sagt: „Wir sind nach wie vor überzeugt von Krebs-Scan. Wer Krebs bekämpfen will, muss Tumoren frühzeitig detektieren. Die Reaktionen von unseren Versicherten auf Krebs-Scan sind positiv.“

Ihn treiben neben der unmittelbaren Gesundheitsversorgung von Versicherten die großen Themen um: Was wäre eine sinnvolle Pflegereform? Wie geht es mit den Krankenhäusern weiter? Und warum leisten sich die Deutschen so viele Krankheitstage im internationalen Vergleich? Sautter sagt: „In der Pflegeversicherung gab es eine gigantische Ausweitung der Leistungen. Bei der Einführung 1995 war sie als Teilkasko gedacht, jetzt ist sie auf dem Weg zu einer Vollkaskoversicherung. Die Leidtragenden heute sind die bis 40-Jährigen, die maximal einzahlen, aber nicht wissen, was sie später einmal herausbekommen.“ Die Generationengerechtigkeit ist abseits aller Versicherungs-Mathematik in einer alternder Gesellschaft eine Gretchenfrage.

Was die Krankenhausreform mit der Deutschen Bahn zu tun hat

Die Politik drückt sich ein bisschen um sie herum – wie bei der Krankenhausreform. Die verfahrene Lage zwischen Bund und Ländern ist nach dem Ampel-Aus nicht besser geworden. Aktuell ist es so, dass vor allem der Gesetzlichen Krankenversicherung und damit ihren Versicherten hohe Kosten für den Umbau der Krankenhauslandschaft aufgebürdet werden sollen. Karl Lauterbach lässt grüßen. Die Privaten sollen „freiwillig“ zahlen. „Die Krankenhausreform des Bundes und der Länder ist eine staatliche Aufgabe – keine von gesetzlicher oder privater Krankenversicherung“, sagt Sautter. „Die Bundesländer sind ohnehin für die Infrastruktur der Kliniken verantwortlich. Wenn der Bund da jetzt mitbestimmen will, dann ist die öffentliche Hand bei der Finanzierung gefragt. Ähnlich ist es doch auch bei der Bahn und ihren Gleisnetzen.“ Heißt: Das müssten alle mitfinanzieren, über Steuern. Für den Schienenausbau zahlen am Ende ja auch die Autofahrer, für die Autobahn die Autolosen.

Die HanseMerkur ist Hauptsponsor des HSV sowie Anteilseigner am Verein.
Die HanseMerkur ist Hauptsponsor des HSV sowie Anteilseigner am Verein. © Witters | Valeria Witters

In Sorge um die Produktivität der deutschen Volkswirtschaft schaut der Vorstandschef auf die Entwicklung bei den Krankheitstagen der Arbeitnehmer. „Es wirkt wie ein Nachholfaktor aus der Corona-Pandemie, dass die Zahlen zur Arbeitsunfähigkeit bei Beschäftigten in Deutschland seit 2022 um rund 50 Prozent auf durchschnittlich 15 Tage gestiegen sind. In vielen anderen europäischen Ländern ist dies nicht der Fall.“

Krankenstand nach Corona-Pandemie überdurchschnittlich hoch

Die Bereitschaft sei gewachsen, frühzeitig zum Arzt oder ins Krankenhaus zu gehen. „Das Krankschreiben wird auch durch die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erleichtert. Man muss nicht einmal einen Arzt sehen.“ Die Debatte um Nach-Corona-Müdigkeit oder „Blaumachen“ ist heikel. Sautter sieht die Zahlen und verweist auf die hohen Kosten. Der Krankenstand hat offenbar viel mit Sozialpsychologie zu tun.

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Am Ende ist diese Gemengelage nicht weit entfernt von der Seele einer Mannschaft, ihres Vereins und des gigantischen Anhangs. Der Einstieg beim HSV in turbulenten Zeiten erst als Hauptsponsor, dann als Anteilseigner passt zur Hamburg-Note des Unternehmens. Die Versicherung erwarb fünf Prozent der Anteile vom umstrittenen und in einem Affären-Sumpf zurückgetretenen Vorstand Thomas Wüstefeld.

„Was der Verein braucht, ist Ruhe im Umfeld. Das ist eine wichtige Voraussetzung für sportlichen Erfolg – gepaart mit einer Mannschaft, die klassische Werte wie Ehrgeiz, Disziplin und Fleiß verkörpert.“ Eberhard Sautter sagt das sehr nüchtern. Einmischen wird sich der Trikotpartner nicht. Eine Idee vom Weg des HSV hat er dennoch: „Der HSV gehört mit seinem großen Potenzial dauerhaft in die Erste Bundesliga.“