Hamburg. Corona erfasste sehr schnell auch Hamburg. Wie Rechtsmediziner aus der Hansestadt als „Detektive in Weiß“ dem Virus auf die Spur kamen.

Er hat sehr viele Menschen auf dem Gewissen. Doch dieser Serienkiller ist nicht als Axtmörder unterwegs; es handelt sich um keine Giftmischerin oder einen Auftragsmörder, der mit Schusswaffen Menschen niederstreckt. Dieser Killer schleicht sich lautlos an, attackiert, ohne dass man ihn vorher wahrnehmen konnte. Heimtückisch.

Corona: Dieser Feind, der so winzig ist, dass nicht einmal ein Mikroskop ihn sichtbar machen kann, hatte gleichwohl gigantische Macht. „Er hat das menschliche Leben auf der ganzen Erde beeinflusst und zu etlichen Todesfällen geführt“, sagt Rechtsmediziner Klaus Püschel in „Dem Tod auf der Spur“, dem Crime-Podcast des Hamburger Abendblatts mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Es ist wichtig, über die Gefahren zu sprechen, die mit Corona einhergehen. Ich möchte aber auch darüber reden, wie wir uns vor dieser Bedrohung schützen können. Und was mir ganz wichtig ist: Wie wir damit umgehen, ohne unser Leben zu sehr einzuschränken.“

True Crime-Podcast: Corona – es gibt bis heute Todesfälle wegen dieser Viren

Corona ist bis heute, gut ein Jahr nach dem offiziellen Ende der Pandemie, weiter unter uns. „Aus der Pandemie ist eine Endemie geworden“, sagt Püschel. Das bedeutet, dass der Erreger immer wieder auftritt, mal in bestimmten Regionen und häufig saisonal verstärkt. „Der kommt in der Bevölkerung einfach so vor, zum Beispiel wie das Grippevirus, und es gibt bis heute weiterhin Todesfälle wegen dieser Viren.“

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Der True-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Rechtsmediziner Klaus Püschel und Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher © Hamburger Abendblatt | Hamburger Abendblatt

Zu Beginn jener Zeit, als Corona in unser Leben eindrang, also Ende des Jahres 2019, fühlten wir uns in Hamburg und in ganz Deutschland noch sicher. Die Gefahr schien sehr weit weg, tief in China, fast am anderen Ende der Welt. Eine beruhigende Distanz, so nahmen wir das wahr. Also keine Panik!

True-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“: Hamburger erster Mensch, der in Deutschland an Corona starb

Doch dieses scheinbar so weit entfernte Schreckgespenst ist anders. Seine Arme reichen weit, seine verheerende Wirkung kennt keine Grenzen. Rasend schnell breitet es sich aus, dringt vor nach Europa, kommt immer näher. Sein Name: Covid-19 oder Sars-CoV-2 oder schlicht Neues Coronavirus. Bald werden Tausende Betroffene in Norditalien gemeldet, dasselbe hört man aus weiteren europäischen Ländern. Und dann gibt es auch hier in Deutschland zahlreiche Tote. Das Virus ist überall. Schließlich werden allabendlich neue Todeszahlen in den Nachrichten verkündet.

„Und schließlich kam Corona auch nach Hamburg“, sagt Mittelacher. „Ich erinnere mich noch sehr genau an den ersten Fall, in dem es in der Hansestadt zu einem bedauerlichen Todesfall kam. Getroffen hatte es einen Feuerwehrmann, der als der erste Deutsche überhaupt gilt, der an Corona starb.“

Erst dachte der Patient, er habe sich eine Erkältung eingefangen

Erkrankt war der 59-Jährige während eines Ägypten-Urlaubs im Frühjahr 2020. Die Reise, die sich der Hamburger Thorsten G. (Name geändert) und seine Frau schon seit vielen Jahren erträumt hatten, wurde für das Ehepaar zum Albtraum. Die ersten Krankheitssymptome zeigten sich bei Thorsten G. am 28. Februar, als sich die Touristen bereits viele berühmte ägyptische Stätten wie das Tal der Könige und Luxor angesehen hatten.

Thorsten G. klagte zunächst über Schwindel und Flimmern vor den Augen. Dann kamen, so erzählte es Sabine G. (Name geändert) später dem Abendblatt, Schüttelfrost und Husten dazu und möglicherweise Fieber. Das Paar ging davon aus, Thorsten G. habe sich eine Erkältung eingefangen.

Ein Hotelarzt verabreichte Thorsten G. Hustensaft, eine Infusion und ein Antibiotikum. Aber der Zustand des Feuerwehrmanns verschlechterte sich. Der 59-Jährige bekam hohes Fieber und Husten, wurde in eine Privatklinik geschickt, wo unter anderem seine Lunge geröntgt wurde.

Thorsten G. kam, nachdem er im Ägypten-Urlaub unter anderem an hohem Fieber litt, in ein Krankenhaus und später auf die Intensivstation.
Thorsten G. kam, nachdem er im Ägypten-Urlaub unter anderem an hohem Fieber litt, in ein Krankenhaus und später auf die Intensivstation. © Falk | Falk

Schließlich wurde er in eine andere Klinik verlegt und kam dort auf die Quarantänestation. Dennoch war Thorsten G. zuversichtlich, dass er bald wieder gesund sein würde. Er insistierte, dass seine Frau den gebuchten Rückflug nach Deutschland antreten solle. Er wollte später nachkommen. „Seine letzten Worte waren: ,Wir sehen uns dann übermorgen“, erzählte Sabine G. später.

„Meine ganze Welt ist zusammengebrochen“, sagt die Witwe im Abendblatt-Podcast

„Also kein Pathos beim Abschied, kein Drama, wieso auch?“, überlegt Mittelacher. „Das Ehepaar wäre nie auf die Idee gekommen, dass es ein Abschied für immer sein würde.“ „Aber so war es leider“, sagt Püschel. „Am 8. März 2020 bekam Sabine G. die Todesnachricht.“ Als die 59-Jährige hörte, ihr Mann sei verstorben, sei das für sie unfassbar gewesen, erzählte die Hamburgerin. Sie habe unter Schock gestanden. „Meine ganze Welt ist zusammengebrochen.“

Ihren verstorbenen Mann von Ägypten nach Hause zu holen, gestaltete sich für Sabine G. wenig später als ein aufwendiger bürokratischer Akt. Am 20. März war es schließlich so weit. Der Leichnam wurde ins Hamburger Institut für Rechtsmedizin überführt. „Ich wollte eine Obduktion, um zu wissen, woran er gestorben ist“, erzählte die Witwe des Feuerwehrmanns. „Das wäre auch im Sinn meines Mannes gewesen.“

„Ich wollte eine Obduktion, um zu wissen, woran er gestorben ist“

„Durch die Virologen des UKE ist ein Nachweis des Coronavirus gelungen, mit relativ hoher Aktivität“, berichtet Püschel über die dann erfolgten Untersuchungen. „Wir haben zudem eine für die Virusinfektion typische Entzündung der Atemwege und des Lungengewebes festgestellt. Der Mann ist eindeutig an Covid-19 gestorben.“ Zudem seien durch die Obduktion bei dem Verstorbenen Vorerkrankungen festgestellt worden. Unter anderem hatte der Hamburger ein vorgeschädigtes Herz.

Püschel setzte damals durch, dass alle Menschen in Hamburg, die vermeintlich an Corona verstorben waren, obduziert werden. Ziel war, Erkenntnisse zu gewinnen, die bei einer Bekämpfung beziehungsweise Eindämmung des Virus helfen sollten, also von den Toten für die Lebenden zu lernen. „Es gibt Bedrohungen, denen wir nicht entkommen können. Sie sind schneller als wir, sie ergreifen, durchdringen uns. Sie töten uns — wenn wir nicht mit kühlem Kopf reagieren, analysieren, weiterdenken und uns schützen“, so Püschel.

„Also gerade deshalb: Keine Panik! Ich bin Wissenschaftler, und daher will ich wissen: Wie kam es dazu, dass diese Menschen gestorben sind? Sind manche Menschen gefährdeter als andere? Ich möchte alles über die Erkrankungen erfahren und wie sie einen tödlichen Verlauf nehmen konnten.“

Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel: „Von den Toten lernen wir für die Lebenden.“

Nur indem nach etwaigen Vorerkrankungen geforscht werde, „können wir abschätzen, wer durch das Virus besonders gefährdet ist. Wir brauchen präzise Analysen, damit Therapien und Impfstoffe entwickelt werden können. Und nur wenn wir auch exakt die Übertragungswege verstehen, können wir herausfinden, welche geeigneten Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind. “

„Wir brauchen präzise Analysen, damit Therapien und Impfstoffe entwickelt werden können. Und nur wenn wir auch exakt die Übertragungswege verstehen, können wir herausfinden, welche geeigneten Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind.“

Klaus Püschel
Gerichtsmediziner

Man könne sich eine Obduktion in etwa so vorstellen: „Ich bin dann ein Detektiv in Weiß, ein Ermittler, der mit Skalpell und Mikroskop arbeitet. Damit will ich jeden kleinsten Hinweis aufspüren, was dem Menschen zugesetzt hat. Als Rechtsmediziner erkenne ich die Spuren, die dieses mikroskopisch kleine Virus an einem Körper hinterlassen hat. Anhand dieser Spuren fahnden wir Rechtsmediziner nach diesem Serienkiller. Wir deuten seine Handschrift, seinen Modus operandi.“

Weitreichende Erkenntnisse aus den Obduktionen: Fast alle Opfer hatten Vorerkrankungen

Später wurde in Hamburg über die rund 750 Obduktionen der ersten Zeit eine Statistik vorgelegt. „Fast alle Verstorbenen hatten durch fortgeschrittene innere Erkrankungen vorgeschädigte Organe und gehörten beispielsweise auch als starke Raucher oder durch Übergewicht zu einer Risikogruppe.“ Andere hätten an Arteriosklerose oder Bluthochdruck gelitten, seien an Krebs erkrankt gewesen oder hätten ein durch andere Einflüsse geschwächtes Immunsystem gehabt, so Püschel. Insgesamt seien die Verstorbenen zudem ganz überwiegend im fortgeschrittenen Alter gewesen.

„Wir haben tatsächlich durch die Untersuchung der Toten, später auch durch die Untersuchung der Todesfälle im Zusammenhang mit Impfungen, herausgefunden, wie sich das Virus im Körper ausbreitet“, erklärt der Rechtsmediziner weiter. „Und wie wir die Behandlungsstrategien auszurichten haben, um mit dem Virus fertig zu werden.“

Impfstoffe schützen vor schweren Verläufen von Corona

Schon nach relativ kurzer Zeit sei klar gewesen, dass im Körper an vielen Stellen Blutgerinnsel entstehen und dass diese Blutgerinnsel tatsächlich gefährlich werden, insbesondere wenn sie sich in der Lunge festsetzen. „Deswegen hat man sehr schnell auf der Intensivstation die Gabe von Medikamenten intensiviert, die sozusagen zu einer Blutverdünnung führen.“ Schließlich seien zudem sehr schnell Impfstoffe entwickelt worden, die gut vor schweren Verläufen von Corona schützten.

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„Corona ist nicht zu Ende“, ist gleichwohl Püschels Fazit. „Wir müssen davon ausgehen, dass, ähnlich wie bei Grippe, vor allen Dingen im Herbst und Winter die Infektionen wieder stark zunehmen.“ Es gelte aber, aus der Corona-Pandemie noch weitere Lehren zu ziehen. „Viele wirklich sehr negative Entscheidungen aus der Zeit der Corona-Pandemie haben wir nicht ausreichend überdacht“ meint Püschel.

„Corona ist nicht zu Ende. Wir müssen davon ausgehen, dass, ähnlich wie bei Grippe, vor allen Dingen im Herbst und Winter die Infektionen wieder stark zunehmen.“

Klaus Püschel, Gerichtsmediziner
im True Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ des Hamburger Abendblatts

„Ich nenne nur die verschiedenen Lockdown-Maßnahmen. Für mich besonders negativ sind die Auswirkungen für die Kinder.“ Wichtig sei auch, Corona-Impfungen regelmäßig aufzufrischen. „Das Impfen ist ein wichtiger Aspekt, häufig entscheidend, um Infektionskrankheiten tatsächlich niederzuhalten und schlimme Auswirkungen zu vermeiden.“

Allerdings: „Nach der Pandemie ist vor der Pandemie“, warnt Püschel. „Die früheren Fehler müssen dringend aufgearbeitet werden, damit wir besser vorbereitet sind.“