Hamburg. Nach plötzlichen Todesfällen muss die Polizei mithilfe des Kriseninterventionsteams Angehörige informieren. Eine Extremsituation – auch für Helfer.
- Der unerwartete Tod eines nahen Angehörigen kann das Leben von Hinterbliebenen für immer verändern
- Polizei und Kriseninterventionsteam überbringen in Hamburg oft gemeinsam die Todesnachricht
- Was die Helfer dabei erleben, wie sie Angehörige in diesen Extremsituationen unterstützen und warum die Arbeit des KIT so wichtig ist
Eben war noch alles gut. Der Partner hat sich auf den Weg zur Arbeit gemacht, davor gab es einen kurzen Abschied, mit einem Kuss und einer Umarmung. „Bis später, Schatz“, heißt es. Doch es gibt kein Später, kein Wiedersehen, kein Lebenszeichen, nie mehr. Der Hamburger kommt nicht zurück. Er ist umgekommen, ganz plötzlich bei einem Verkehrsunfall. Ein schwerer Schicksalsschlag.
Und die Angehörigen? Sie ahnen noch nicht, dass nichts mehr ist wie vorher. Dass sie einen Verlust erlitten haben, der sie in ein tiefes Loch stürzen und ihr Leben für immer verändern wird. Wie soll man ihnen das beibringen? Und wie kann man ihnen helfen, etwas auszuhalten, das eigentlich unerträglich ist?
Im Fernsehkrimi klingelt in dieser Situation die Kommissarin oder der Kommissar an der Tür. Sie bitten darum, hereinkommen zu dürfen und empfehlen, dass man sich setzen möge. Dann teilen sie mit, dass etwas Schlimmes passiert ist. Die Angehörigen reagieren schockiert, ungläubig, sie weinen oder sie bleiben stumm vor Entsetzen. Und dann werden sie meist allein gelassen mit ihrer Trauer. Am Boden zerstört, fassungslos, hilflos.
Polizei und Kriseninterventionsteam in Hamburg: Erste Hilfe für die Seele
Auch im „richtigen Leben“ muss die Polizei immer wieder nach Verkehrsunfällen, nach Gewaltverbrechen oder Arbeitsunfällen Todesnachrichten überbringen. „Doch anders als ihre ,Kollegen‘ im Fernsehen lässt die Polizei die Hinterbliebenen nicht mit deren Problemen allein“, betont Malte Stüben, Leiter beim Kriseninterventionsteam (KIT) des Deutschen Roten Kreuzes Hamburg-Harburg. „In Hamburg läuft es im Sinne der Betroffenen. Hier ist man für die Menschen da, begleitet und betreut sie, hilft ihnen in diesen sehr schweren Stunden.“
Und diese Hilfe erfolgt im Team von Polizei und den Helfern vom KIT. Letztere leisten „psychosoziale Akuthilfe“ für Menschen, denen durch einen Schicksalsschlag wie einen Unglücksfall oder ein Gewaltverbrechen ein geliebter Angehöriger entrissen wurde. Es ist sozusagen „Erste Hilfe für die Seele“. Alarmiert wird das Team durch die Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste oder durch das Institut für Rechtsmedizin. Die ehrenamtlichen KIT-Mitarbeiter begleiten in vielen Fällen die Polizeibeamten, die die Todesnachricht überbringen müssen.
Gute Zusammenarbeit: KIT Hamburg lobt Polizisten als „hoch empathisch“
Dabei würdigt Stüben ausdrücklich die „sinnhafte und gute Zusammenarbeit mit der Polizei. Die Beamten halten die ganze Wucht der Reaktion des Gegenübers aus, wenn sie die Todesnachricht überbracht haben. Das ist eine extreme Situation, meist hoch belastend. In der Summe sind die Polizeibeamten extrem gut darin, die schockierten und trauernden Menschen im ersten Moment aufzufangen.“ Nach der Erfahrung des KIT-Einsatzleiters sind die Polizisten „hoch empathisch“.
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Umgekehrt erfährt das KIT-Team ebenfalls große Wertschätzung von der Polizei. „Man kann als Polizeibeamter nach dem Überbringen einer Todesnachricht nicht so lange bleiben, wie man es gern hätte, um sich über Stunden um schockierte und trauernde Angehörige zu kümmern“, sagt Stefanie Bauch, Hauptkommissarin an der Wache in Bergedorf.
Die Polizisten müssten Berichte schreiben, es seien erste Ermittlungen anzustoßen, den Abtransport des Verstorbenen durch den Bestatter zu organisieren. „Da ist es sehr schön, dass wir jemanden haben, der sich um die Angehörigen kümmert, der die Situation mit aushält und hilfreiche Unterstützung bieten kann. Da fällt einem eine Last vom Herzen. Man verabschiedet sich und weiß, dass die Hinterbliebenen in guten Händen sind.“ So vermittele das KIT unter anderem weiterführende Hilfen oder Beratungsgruppen.
„Schön, jemanden zu haben, der sich um die Angehörigen kümmert“
Stüben erzählt beispielsweise von einem Einsatz bei einem Ehepaar, das sich „60 Jahre lang Tisch und Bett geteilt hat. Der, der unter anderem sich um Medikamente gekümmert hat, ist verstorben, der andere bleibt hilflos zurück. Wir begleiten dann die Person und sagen, wo sie Hilfe bekommen kann.“
Für das KIT, das spendenfinanziert arbeitet, gab es im vergangenen Jahre 662 Alarmierungen. Dabei wurden 1985 Personen betreut, darunter 256 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Im Bezirk Bergedorf mit seinen rund 130.000 Einwohnern gebe es viele Einsätze, in denen das Kriseninterventionsteam angefordert werde, sagt Polizeioberkommissar Urs Otto vom Kommissariat 43 in Bergedorf. „Wenn bei jemandem an der Tür Polizisten in Uniform klingeln, geht bei den Leuten, vor denen wir stehen, der Puls nach oben“, erzählt Urs Otto. „Die Anspannung ist vorhanden.“ Die Polizei schildere den Angehörigen dann in wenigen Sätzen, was passiert ist, also beispielsweise, dass es einen tödlichen Verkehrsunfall gegeben habe.
Erfahrungen der Polizei Hamburg und des Kriseninterventionsteams
„Viele Angehörige bringen in solchen Situationen keinen Ton raus“, sagt der Polizeioberkommissar. „Oder sie fangen an zu weinen oder zu schreien, schlagen auf Gegenstände ein. Und sie hinterfragen, ob sie wirklich gemeint sind. Sie wollen nicht wahrhaben, was passiert ist.“ Die Hinterbliebenen stünden häufig so unter Schock, dass sie nicht mehr aufnahmefähig seien für das, was ihnen erzählt wird.
Dabei sei es in erster Linie Aufgabe der Polizei, Informationen zu beschaffen, die für das Todesermittlungsverfahren von Bedeutung sind, etwa, wann der Verstorbene an jenem Tag das Haus verlassen habe, ob es Vorerkrankungen gebe. „Wir sind ausgebildet im Agieren und Maßnahmentreffen“, betont Urs Otto. „Das sind unsere ureigensten Aufgaben.“ Das Betreuen der häufig schockierten und zutiefst verstörten Angehörigen könne man als Polizist „nur bedingt leisten. Wir versuchen immer, uns an die jeweilige Situation anzupassen. Das lernt man nicht bei der Landespolizeischule, sondern durch Erfahrung.“
Heftige Reaktionen wie schreien, weinen und Türenschlagen
Auch komme es vor, ergänzt Ottos Kollegin Bauch, dass ein Angehöriger, nachdem er vom Tod eines seiner Liebsten erfahren hat, zum Fenster gehe und dieses öffne. Das sei ein Moment, in dem alles passieren könne. Will derjenige einfach nur frische Luft schnappen? Oder will er springen?
Eine Situation vor einigen Jahren sei beispielsweise für die Polizei besonders fordernd gewesen, erzählen Polizeioberkommissar Otto und seine Kollegin Bauch. Da ging es um eine Frau, die wegen Atemwegsproblemen erstversorgt wurde und dann im Rettungswagen verstarb. Die Polizei habe erfahren, dass wahrscheinlich noch Angehörige in der Wohnung sind. Weil zu befürchten war, dass die Familienmitglieder aus der Wohnung kommen und nachfragen könnten, wieso der Rettungswagen mit der Mutter nicht endlich ins Krankenhaus fährt, hätten sie sich entschieden, den Hinterbliebenen die Todesnachricht zu überbringen, ohne vorher auf die Helfer des KIT zu warten.
Hilfe für Betroffene: Zu realisieren, was passiert ist, „braucht manchmal Zeit“
Die Reaktionen der Familie seien heftig gewesen. „Türen wurden zugeschlagen, Regale zertrümmert, die Angehörigen haben geschrien und geweint“, erinnert sich Otto. „Da war sehr viel an plötzlicher Energie, die wir auszuhalten hatten. Auf die Wucht der Emotionen ist man nicht vorbereitet.“ Häufig entstünden ebenfalls Nachfragen, wenn die Polizei sich im Rahmen der Geschehnisse bereits um andere Dinge kümmern müsse und die ehrenamtlichen Helfer vom KIT noch bei den Betroffenen sind, ergänzt Bauch.
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Also schildern die KIT-Mitarbeiter, die die Polizei zu Angehörigen begleiteten, etwas später erneut, was passiert ist. „Damit das Gehirn des Betroffenen die Möglichkeit hat, die Informationen zu verarbeiten“, erzählt Malte Stüben. „Wir helfen dem Menschen zu realisieren, was er gerade gehört hat. Mit aller Tragweite. Das braucht manchmal Zeit.“
Wenn die Angehörigen den Schicksalsschlag nicht wahrhaben wollen
Üblicherweise treffen sich Polizei und die KIT-Helfer vorher an der nahegelegenen Wache und fahren gemeinsam zu der Wohnadresse der Betroffenen, wo die Polizisten dann die Todesnachricht überbringen. „Manche können in der Schocksituation das Gesagte nicht annehmen“, erklärt Stüben. „Die Nachricht ist für sie zu erschütternd.“ „Das kann nicht sein!“, sei eine Reaktion, die die Polizisten und die Helfer vom KIT häufiger hören. Dann werde von Angehörigen behauptet, dass eine Verwechslung vorliegen müsse.
Stüben erinnert beispielhaft an den tödlichen Zusammenbruch einer Jugendlichen, bei der Vorerkrankungen vorlagen. Als die Mutter wenig später von der Polizei darüber informiert wurde, dass die Tochter gestorben sei, habe diese das abgestritten. „Das ist nicht meine Tochter.“ Auch nach dem Hinweis, dass Polizisten bei der Toten den Rucksack der Jugendlichen und darin ihren Personalausweis gefunden hätten, habe die Mutter das nicht akzeptieren wollen und gesagt: „Der Rucksack wurde ihr geklaut.“ „Die Mutter hat immer wieder ,Ausreden‘ gesucht, warum die Tote nicht ihre Tochter sein könne. Die Wahrheit war für sie schlicht nicht zu ertragen.“
Auch für die Helfer des Kriseninterventionsteams Hamburg ist es jedes Mal eine Extremsituation
Es sei stets wichtig, so Stüben, „den Betroffenen, deren Leben ja schlagartig aus den Fugen gerät, das Gefühl zu vermitteln, dass da jemand zuhört und die Situation mit aushält. Oder man schweigt gemeinsam.“ Das Überbringen einer Todesnachricht sei auch für die Helfer des KIT belastend, erzählt Stüben. „Da gewöhnt man sich nicht dran. Das ist jedes Mal eine Extremsituation. Das hinterlässt auch einen Schatten bei uns.“
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Es gebe immer wieder Geschehnisse, bei denen mehrere Helfer des KIT gebraucht werden, beispielsweise nach tödlichen Verkehrsunfällen, erzählt Stübens Kollegin Mia Hauser. Dann fahre ein Team zu den Hinterbliebenen, denen die Todesnachricht überbracht werden müsse. Und mindestens zwei Helfer würden am Unglücksort bleiben, an dem unter Umständen auch Augenzeugen betreut werden müssten, die unter Schock stehen.
Hamburg: Polizist ist der Überbringer der „schlimmsten Nachricht“
Mia Hauser, eine der zurzeit 65 Helferinnen und Helfer des KIT, hat wie Malte Stüben die Erfahrung gemacht, dass Betreuung und der Umgang der Betroffenen in jedem Fall unterschiedlich sei, angepasst an die Reaktion der Angehörigen. „Aber etwas Wesentliches ist immer: Man muss den Betroffenen Zeit geben zu realisieren, was passiert ist, und auf die unterschiedlichen Emotionen eingehen. Wichtig ist auch: Was braucht es an weiterführender Hilfe? Welche Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen sind jetzt die richtigen? Da geben wir, immer angepasst an das jeweilige Schicksal, Empfehlungen.“
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Hauser lobt ausdrücklich den einfühlsamen Umgang der Polizisten, wenn diese eine Todesnachricht überbringen. Es sei „enorm, dass die Beamten die Betroffenen so empathisch betreuen, bis das KIT dazukommt.“ Häufig bekämen sie Rückmeldungen von den Angehörigen, die sehr dankbar seien, wie aufmerksam und zugewandt die Polizei gewesen sei. Es gelinge den Beamten, mit den Betroffenen empathisch umzugehen, findet auch Stüben. „Die Polizei ist der Überbringer der schlimmsten Nachricht, die man bekommen kann. Hierfür ein großes Kompliment, wie sie das meistern.“
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