Hamburg. Ein Kriseninterventionsteam stand den Angehörigen und Zeugen in der Nacht nach der Bluttat zur Seite. So erlebten sie den Vorfall.
Acht Todesopfer, viele Verletzte und unzählige weitere Betroffene: Der Amoklauf im Gebäude der Zeugen Jehovas hat unsagbar viel Leid verursacht. Vom Kriseninterventionsteam (KIT) des Deutschen Roten Kreuzes Hamburg-Harburg waren nach der Bluttat 20 Helfer im Einsatz, um erste psychosoziale Akuthilfe zu leisten, um Verletzten psychisch beizustehen, um Angehörige zu unterstützen, um schockierte Augenzeugen zu betreuen. „Es war sehr schnell absehbar, dass es ein Großeinsatz mit mehreren Toten und Verletzten sein würde“, sagt Malte Stüben, Leiter des KIT. Stüben war einer jener Helfer, die viele Stunden lang vor Ort waren. „In der Dramatik der Umstände und der Tragweite mit mehreren Toten war das auch für uns ein besonders schwerer Einsatz“, erzählt der 46-Jährige.
Die Helfer vom KIT, alles Ehrenamtliche, sind zur Stelle, wenn Menschen in ihren schwersten Stunden Unterstützung brauchen. Die insgesamt 55 Frauen und Männer leisten „psychosoziale Akuthilfe“ und tun, was auch immer zu tun ist, um das schlimmste Leid abzufedern. Nach dem Amoklauf in Alsterdorf betreuten Stüben und sein Team insgesamt 80 Betroffene, unter anderem Leichtverletzte und Angehörige.
Nach Amoklauf in Hamburg: Viele Angehörige litten unter der Ungewissheit
„Eine Besonderheit war“, so Stüben, „dass es schnell klar war, dass es mehrere Tote gab — aber nicht gesichert war, um wen es sich handelt. Viele Menschen versuchten nun, ihre Verwandten, von denen sie annahmen, dass diese in der Kirche waren, zu erreichen. Wenn das nicht gleich gelingt, ist das für die Vermissenden ganz dramatisch.
Mit jeder Minute steigt die Sorge, dass ihre Liebsten nicht mehr leben.“ Das sei für die Angehörigen eine „gefühlt unfassbar lange Zeit der Ungewissheit“, erzählt der Leiter des KIT. „Diese Zeit gilt es gemeinsam auszuhalten. Wir leiden selber nicht mit“, erläutert Stüben. „Aber es lässt uns natürlich nicht kalt. Wir fühlen da selber mit.“
Schockierende Nachrichten nimmt jeder Mensch anders auf
Wenn später die Identität der Todesopfer geklärt ist, sind die KIT-Helfer dabei, wenn den Familien die entsetzliche Botschaft überbracht wird. Und je nachdem, wie Angehörige nach einem Todesfall reagieren, ob sie schreien, ob sie weinen oder starr vor Schock sind, so agieren auch die KIT-Helfer individuell.
„Es ist wichtig, den Betroffenen, deren Leben ja schlagartig aus den Fugen gerät, das Gefühl zu vermitteln, dass da jemand zuhört und die Situation mit aushält“, erzählt Malte Stüben. „Oder man schweigt gemeinsam.“ Die Betroffenen würden „so lange betreut, bis das soziale Netz aus Familienangehörigen, Freunden oder weiterführenden Hilfen greift“.
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Fünf Verletzte liegen nach der Tat in Asklepios Kliniken
Unterdessen wurden und werden in den Hamburger Asklepios Kliniken im Zusammenhang mit der Amoktat insgesamt fünf leicht beziehungsweise schwer verletzte Patienten behandelt. Das bestätigte Asklepios-Sprecher Mathias Eberenz. Die Patienten seien vorab von der Leitstelle der Feuerwehr angekündigt worden.
Die Notaufnahmeleitungen kontaktierten bei einem zu erwartenden größeren Patientenaufkommen unverzüglich die Klinikleitungen, beschreibt Eberenz die Notfallkette. Die Klinikleitung sorge unter anderem dafür, dass je nach Lage zusätzliches Personal aus der Rufbereitschaft in die Klinik kommt. „Das hat auch gestern gut funktioniert“, sagt Eberenz.
Ärzte dürfen nicht gegen Verfügungen der Patienten verstoßen
Zeugen Jehovas lehnen Bluttransfusionen prinzipiell ab, was für ihre medizinische Behandlung kritisch sein kann. „Grundsätzlich wird immer im Sinne und gemäß dem Wunsch des Patienten behandelt. Ärzte sind daher verpflichtet, Patientenverfügungen zu respektieren“, sagt Eberenz. Oft gehe es dabei um lebensverlängernde Maßnahmen wie eine künstliche Beatmung oder um Bluttransfusionen, die abgelehnt werden.
„Gibt es keine Verfügung und kann ein Patient nicht explizit gefragt werden, zum Beispiel, weil er nicht bei Bewusstsein ist, muss der Arzt zum Wohle des Patienten handeln. Wenn sich Ärzte aus Gewissensgründen über eine Patientenverfügung oder den klar dokumentieren Willen des Patienten hinwegsetzen, müssen sie sich der juristischen Folgen bewusst sein.“