Hamburg. Hamburger ohne Fahrerlaubnis und viel zu schnell unterwegs. Auto sogar in Gegenverkehr gelenkt. Angeklagter: „Das war unverantwortlich.“

In wilder Flucht ging es durch die Stadt. Über Kilometer drückte Andreas P. (Name geändert), aufs Tempo, steuerte seinen Wagen über rote Ampeln, rechts an einem Linienbus vorbei über den Fußgängerweg – und sogar in den Gegenverkehr. Alles, um einem Streifenwagen zu entkommen, der ihm wegen eines Fahrvergehens folgte. „Wie in einem Videospiel“ fasst die Staatsanwältin im Prozess vor dem Amtsgericht später die extrem rasante und überaus gefährliche Fahrt zusammen, die von einer Kamera aus dem verfolgenden Polizeifahrzeug aufgezeichnet worden war. Und die Richterin wird im Urteil an die Adresse des rasenden Hamburgers sagen: „Man ist sprachlos, wie wahnsinnig Sie gefahren sind.“

Auch der Angeklagte Andreas P., jener Mann am Steuer des Wagens, der teilweise mit mehr als 120 Kilometer pro Stunde durch Hamburg preschte und nahezu alle Verkehrsregeln missachtete, die man sich vorstellen kann, ist selber erschüttert. „Ich möchte mich entschuldigen für mein unverantwortliches Verhalten und dafür, dass ich Leute in Gefahr gebracht habe“, sagt der 32-Jährige.

Prozess Hamburg: Angeklagter spricht von „unverantwortlichem Fahren“

Unter anderem wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens, Fahren ohne Führerschein sowie wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr muss sich Andreas P. vor dem Schöffengericht verantworten. Es war ein Mittwochnachmittag im März vergangenen Jahres, als der 32-Jährige laut Anklage mit einem Mietwagen den Friedrich-Ebert-Damm mit überhöhter Geschwindigkeit befuhr, das Fahrzeug weiter stadtauswärts lenkte und dabei mehrere rote Ampeln missachtete.

Begonnen hatte seine abenteuerliche Fahrt den Ermittlungen zufolge, als die Besatzung eines Polizeifahrzeugs auf den Audi aufmerksam wurde, weil dieser zu schnell fuhr. Als sie ihm mit optischen Signalen und dann auch unter Einsatz des Martinshorns zu verstehen gaben, dass er anhalten solle, soll der 32-Jährige, der keine Fahrerlaubnis hatte, erst recht aufs Tempo gedrückt haben. An einigen Kreuzungen, die er trotz roter Ampel überfuhr, und nachdem er den Mietwagen auf die Gegenfahrbahn lenkte, kam es laut Anklage zu Beinahe-Unfällen. Dabei hätten andere Verkehrsteilnehmer abrupt abbremsen müssen, um Zusammenstöße zu verhindern.

Autofahrer steuerte seinen Wagen sogar in den Gegenverkehr

Schließlich, nach einer knapp 5,5 Kilometer langen Flucht durch die Stadt, sei die wilde Fahrt von Andreas P. schließlich abrupt geendet – nachdem er mit mehr als Tempo 70 entgegen der Fahrtrichtung durch eine Einbahnstraße fuhr. Plötzlich habe er dort ohne ersichtlichen Grund abgebremst, woraufhin der ihn verfolgende Funkstreifenwagen auf seinen Mietwagen auffuhr, heißt es weiter. Diesen Moment soll er ausgenutzt haben, um seine Flucht zu Fuß fortzusetzen, kam aber nicht weit, bis er festgenommen wurde. Bei der Kollision erlitt eine im Streifenwagen sitzende Polizeibeamtin demnach leichte Verletzungen. Der Schaden an dem Mietwagen sowie dem Polizeifahrzeug soll sich auf insgesamt rund 50.000 Euro belaufen. Rund drei Monate später ist Andreas P. laut Staatsanwaltschaft erneut mit einem Mietwagen unterwegs gewesen – und wieder, ohne im Besitz eines Führerscheins zu sein.

Schon als die Anklage gegen den Hamburger verlesen und die halsbrecherische Fahrt in Worten dargestellt werden, ahnt man, wie knapp es an manchen Kreuzungen und bei einigen Manövern war – und nur mit viel Glück nicht zum Crash gekommen ist. Doch als im Prozess die Videoaufzeichnungen aus dem verfolgenden Polizeifahrzeug abgespielt werden, zeigt sich noch deutlicher, wie waghalsig Andreas P. unterwegs war, dass er verbotenerweise einen U-Turn machte und an anderer Stelle mit stark überhöhter Geschwindigkeit seinen Wagen auf die Gegenfahrbahn steuerte. „Ich konnte nicht klar denken“, sagt der Angeklagte über seine über mehr als fünf Kilometer dauernde Raserei.

Angeklagter: „Ich war wie ferngesteuert“

Als er den Streifenwagen wahrgenommen habe, habe er befürchtet, Ärger zu bekommen. Denn einen Führerschein hatte Andreas P. noch nicht. „Ich war kurz vor der Prüfung und hatte Angst, alles aufs Spiel zu setzen.“ Aus einem „Impuls“ heraus habe er „wie ferngesteuert nur noch Gas gegeben“. Im Nachhinein sei ihm bewusst geworden, „dass ich nicht nur mich, sondern auch alle anderen in Gefahr gebracht habe“. Er sei „dankbar, dass nichts wirklich Schlimmes passiert ist“.

Eine wirkliche Erklärung dafür, dass er im Bewusstsein Auto fuhr, ohne bisher eine Führerscheinprüfung bestanden zu haben, hat Andreas P. nicht. Über eine App und mit den Personalien eines Bekannten habe er sich für jenen Tag einen Mietwagen beschafft und sei losgefahren. Auch dafür, dass er rund drei Monate später erneut am Steuer saß, hat er keine Erklärung. „Ich wollte zu einem Kumpel fahren. Aber das ist natürlich keine Entschuldigung“, sagt der Angeklagte kleinlaut.

Polizisten waren über die Fahrweise schockiert

Der Polizeibeamte, der dem flüchtenden Wagen hinterherfuhr, berichtet als Zeuge davon, dass wiederholt andere Autos vor dem Mietwagen von Andreas P. hätten ausweichen müssen. Zuletzt, in einer Einbahnstraße, die der 32-Jährige in der falschen Richtung befuhr, habe der Hamburger plötzlich gebremst, sodass der Polizeiwagen auf ihn auffuhr. In diesem Moment habe er sich entschieden, so der Zeuge, mit dem Polizeifahrzeug den Wagen des Rasers gegen einen Ampelmast zu schieben, damit er wirklich stehen bleibt. „Ich dachte, ich muss das irgendwie beenden.“

Diese Verfolgungsfahrt sei eine „Sache, die man nicht vergisst“, erzählt der Polizist. „Ich war danach fertig, musste mich erst mal setzen.“ Und eine Kollegin von ihm, die mit im Auto saß, erzählt, sie sei „schockiert“ über die „rücksichtslose und verantwortungslose Fahrweise“ von Andreas P. gewesen. „Es war sehr viel Glück, dass es nicht zum Unfall kam.“ Die Staatsanwältin formuliert es in ihrem Plädoyer so: „Andere hatten sehr viele Schutzengel.“

Staatsanwältin: „Andere hatten sehr viele Schutzengel“

Die Strafe, die Andreas P. erwartet, ist nicht die erste Verurteilung in seinem Leben. Der 32-Jährige ist mehrfach unter anderem wegen Diebstahls vorbestraft, eine dreijährige Gefängnisstrafe wegen schwerer räuberischer Erpressung hat er verbüßt. Ein sehr schwieriges Elternhaus, mehrere Jahre im Heim und „falsche Freunde“ hätten ihn als Jugendlichen dazu gebracht, „auf die schiefe Bahn zu geraten“, erzählt der Angeklagte. Seit vier Jahren indes hat der 32-Jährige keine Straftaten mehr begangen, hat einen festen Job und eine feste Beziehung.

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Wie es mit beidem weitergeht, muss sich zeigen. Denn das Urteil des Schöffengerichts für den Hamburger lautet auf ein Jahr und neun Monate Freiheitsstrafe. Und „Bewährung kann es nicht geben“, stellt die Vorsitzende in der Urteilsbegründung klar. Andreas P. habe mit seiner Fahrweise eine „große Gefahr für alle anderen und sich selber“ geschaffen. Es sei ein großes Glück, dass kein schlimmer Unfall geschehen ist, bei dem es Todesopfer hätte geben können. Und drei Monate später habe er sich erneut ohne Führerschein hinters Steuer gesetzt. „Sie haben sich als verantwortungslos erwiesen. Solche Leute möchten wir nicht auf der Straße haben.“