Hamburg. Hamburgs Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi fordert eine Konzentration auf Frieden und wirtschaftlich-soziale Sicherheit.

Jede Woche stellt sich der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi den Fragen des stellvertretenden Abendblatt-Chefredakteurs Matthias Iken.

Matthias Iken: In Brandenburg hat Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen. Kann er ein Vorbild sein, wie sich die AfD zurückdrängen lässt?

Klaus von Dohnanyi: Ministerpräsident Woidke ist in vielerlei Beziehung ein Vorbild: Seine Sachlichkeit, seine klare Sprache, die erkennbare Führungsstärke, sein Mut und seine Volksverbundenheit machen ihn zu einer geborenen demokratischen Führungspersönlichkeit. Und: Ein Politiker muss bereit sein, in einer kritischen Situation alles auf eine Karte zu setzen – und wenn es das eigene Amt wäre. Das erfordert Charakter, und den hat Woidke in der kritischen Zuspitzung der Brandenburg-Wahl unter Beweis gestellt. Also: Vorbild allemal. Allerdings ist es auch ihm nicht gelungen, eine weitere Zunahme der AfD-Wählerschaft zu verhindern. Aber Woidke hat die SPD wieder aus ihrem Umfragetief geholt und gezeigt: Ja, die SPD kann auch in den „neuen“ Ländern noch gewinnen. Nicht ohne Grund hatte Woidke dabei die Bundes-SPD aus seinem Wahlkampf ausdrücklich vor die Tür gewiesen! Lässt sich also für die Bundestagswahl im nächsten Jahr folgern, dass die SPD eine andere Spitze brauchen wird? Nein! Aber Bundeskanzler Scholz muss Wege finden, um sich als Chef, als Bundeskanzler aus dem täglichen Gestrüpp des Koalitionsstreites abzuheben. Der Rücktritt des „Grünen“-Vorstandes könnte das erleichtern.

Klaus von Dohnanyi: „In Gefahr suchen die Menschen nach klarer und starker Führung“

Iken: Bislang sind alle Versuche gescheitert, die AfD kleinzuhalten. Was haben wir falsch gemacht?

Dohnanyi: Haben wir in Deutschland wirklich etwas besonders falsch gemacht? Oder ist, was für Deutschland die AfD darstellt, für Frankreich eben seit vielen Jahrzehnten die Partei von Frau Le Pen, für Italien heute die neofaschistische Partei von Frau Meloni, für die Niederlande die rechtsradikale Partei von Geert Wilders oder für die USA Donald Trumps Anhängerschaft in der Republikanischen Partei? Wir haben es heute weltweit mit vergleichbaren Tendenzen zu tun! Dafür gibt es viele Erklärungen. Ich denke, am überzeugendsten ist, dass die Demokratie eben eine sehr komplizierte und mühsame Form der politischen Führung ist, sich aber die Welt zugleich in einem tiefen ökologischen und politischen Umbruch befindet, und zwar seit Jahrzehnten.

Das schafft Unsicherheiten und fördert die Sehnsucht nach starker Führung. Max Weber, der große deutsche Politikwissenschaftler, sah das vor mehr als 100 Jahren voraus und erwartete für solche Zeiten charismatische, also das Volk begeisternde Führer. In der Gefahr suchen die Menschen nach klarer und starker Führung. Immer und überall. Wo ist sie heute?

„Ein überzeugendes und glaubwürdiges Zukunftsbild von Deutschland fehlt“

Iken: Manche wollen die AfD dadurch entzaubern, dass man ihr Verantwortung gibt. Aber darf man ausgerechnet jetzt, wo die AfD viel radikaler auftritt als noch vor einigen Jahren, auf diesem Wege Brandmauern niederreißen?

Dohnanyi: Mit dieser AfD, die bekennende Nazis in ihren Reihen duldet, kann es keine Zusammenarbeit geben. Aber wenn wir beachten, wie hoch der Anteil der jüngeren Generation bei den AfD-Wählern heute ist, übrigens auch in Brandenburg, dann können wir es nicht bei einer pauschalen Ablehnung belassen. Wir müssen verstehen, was diese Jugend sucht, und erkennen, was uns in deren Augen fehlt: Ich denke, es ist ein überzeugendes und glaubwürdiges Zukunftsbild von Deutschland. Und das kann niemals allein ausgefüllt werden durch eine ökologische Welt, durch „Green Deals“. Insofern ist auch der Rücktritt des Vorstandes der hier so einseitigen „Grünen“ hilfreich: Deutschland will, kann und muss mehr sein als nur ein Land ohne CO2!

Iken: Oder müssen wir am Ende akzeptieren, dass ein gewisser Prozentsatz wie in anderen Staaten rechtsextrem tickt und wählt?

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Dohnanyi: Ja, in Zeiten tiefer Umbrüche und großer Unsicherheit werden auch wir sicher für viele Jahre mit dieser aus Protest und Falschinformationen gespeisten AfD leben müssen. Aber wir können sie eindämmen: durch klare Führung, vertrauensstiftende Zukunftsziele und eine Politik, die sich auf das Wichtige konzentriert. Denn die Leute verlangen in Zeiten großer Umbrüche von der Politik eine Konzentration auf das Wesentliche. Und das sind in meinen Augen: Frieden und wirtschaftlich-soziale Sicherheit.