Hamburg. Hamburgs Altbürgermeister im Gespräch. Er spricht über die Wahlen im Osten, das Erstarken der Populisten und die Konsequenzen für Berlin.

Jede Woche stellt sich der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi den Fragen des stellvertretenden Abendblatt-Chefredakteurs Matthias Iken.

Matthias Iken: Sachsen und Thüringen haben gewählt, den Ampel-Parteien eine bittere Niederlage beschert und die Ränder gestärkt. Wie erklären Sie dieses Ergebnis?

Klaus von Dohnanyi: Die bedrückenden Wahlergebnisse in beiden Ländern kamen ja nicht überraschend, und Sachsen ist nur wegen des tapferen Ministerpräsidenten Kretschmer (CDU) mit einem blauen Auge davongekommen. In beiden Ländern zeigte die AfD, unbeeindruckt von öffentlicher Ausgrenzung, ihre große Stärke. Sind aber Migration und Zuwanderung der wirkliche Kern des Problems? Hätten wir keine Zuwanderung, kein Migrationsproblem, würden dann die radikalen Populisten verschwinden? Oder würde die AfD dann ein anderes Thema nutzen, um den latenten nationalen Unwillen der Menschen zu mobilisieren? Ein Blick zurück in die Geschichte des rechtsradikalen Populismus (der später auch zum Faschismus wurde) zeigt jedenfalls: Es war verletzter Nationalstolz, es war das Gefühl eines nationalen Bedeutungsverlustes, der die Faschisten hervorbrachte und nährte, denn diese waren zunächst und in erster Linie immer extreme Nationalisten. Und heute? Wir erleben weltweit einen wachsenden Nationalismus, ausgelöst in erster Linie von Sicherheitsüberlegungen und westlicher Furcht vor internationalen wirtschaftlichen Abhängigkeiten. Das ist nicht unser „Interesse“, wir folgen aber europäisch gehorsam. Mit Angst ist Freiheit allerdings noch nie erfolgreich verteidigt worden. Und so wird gegenwärtig die offene Weltwirtschaft zerstört: Wer jeden Tag neue Sanktionen und Schutzzölle erdenkt, der ist kein Verteidiger der Freiheit, sondern ein ängstlicher Vorbereiter von Wirtschaftskrieg – und Krieg! Das lehrt die Geschichte.

Klaus von Dohnanyi: „Vernunft braucht Wahrheit“

Iken: Sie haben sich sehr früh für Sahra Wagenknecht starkgemacht. Bezogen auf das Ergebnis für SPD und BSW – war das ein Fehler?

Dohnanyi: Das glaube ich nicht. Gäbe es das BSW jetzt nicht in den Landtagen von Thüringen und Sachsen, wäre vielleicht die CDU jeweils etwas stärker, nicht aber die SPD, und es würde eben nicht für eine Regierung reichen. Und so wie es die Wanderungsbewegung zwischen den Parteien zeigt, wäre die AfD ohne das BSW noch etwas stärker geworden – und doch würde es für die jeweils stärkste Fraktion, die CDU, wohl auch mit der SPD nicht reichen. Die Umfragen vor der Wahl hatten mir klar gezeigt, dass nur das BSW die Chance für eine Regierung der Vernunft bieten würde, und diese Vernunft traue ich eben dem BSW zu: Denn Vernunft braucht Wahrheit, und ohne diese Wahrheit werden wir keinen vernünftigen Frieden für Europa bekommen – und folglich auch keine erfolgreiche Wirtschaft bewahren.

„Wie sich das BSW mit SPD und den Linken vertragen könnte, ist schwer vorauszusehen“

Iken: Welche Koalitionen halten Sie denn in Sachsen und Thüringen für erstrebenswert?

Dohnanyi: Das zu beurteilen traue ich mir nicht zu, denn dafür bedarf es auch einer Kenntnis der an einer Koalition beteiligten Personen. Ich vermute allerdings, dass am BSW kein Weg vorbeiführen wird. Die beiden Damen des BSW, die am Wahlabend jeweils für ihre Seite sprachen, machten mir jedenfalls einen selbstständigen, kompetenten und verträglichen Eindruck; gute Voraussetzungen für einen Koalitionspartner. Wie sich das BSW allerdings mit SPD und den Linken vertragen könnte, ist schwer vorauszusehen. Es wird bei allen Partnern darauf ankommen, wie sie auf die zentrale Frage nach unseren nationalen Interessen antworten können und werden.

Iken: Welche Konsequenzen sollte die Bundesregierung aus dem Wahlergebnis ziehen?

Mehr zum Thema

Dohnanyi: Das ist heute Ihre schwierigste Frage. Für alle Teile Deutschlands gilt: Wir wissen nicht so recht, wer wir sind: Immer noch die Sünder von vorgestern? Oder das Land, das seine Vergangenheit nicht leugnet, heute aber auch seinen Stolz nicht? Dann müsste Deutschland seine Interessen mutiger vertreten, das Migrationspro­blem nach eigenem Recht angehen, seine Abhängigkeit von den USA oder einem vorlauten Herrn Selen­skyj drastisch reduzieren. Und mutig das sein, was wir sind: immer noch der zuverlässigste Vertreter der europäischen Interessen; kein Teil der USA, sondern diesen ein verlässlicher Partner, den man aber auch nach seiner Meinung fragt. Wir sind wir und nicht Michigan! Versuchen wir es doch mal: Die AfD hätte dann viel weniger Raum für ihren Populismus!