Hamburg. Nach 27 Jahren kandidiert er nicht mehr für die Bürgerschaft. Warum er nie im Senat saß, Opfer eines Skandals wurde und einst für die CDU warb.
Er hat es seiner Partei nicht immer leicht gemacht. Und seine Partei hat es ihm nicht immer leicht gemacht: Mathias Petersen war das Opfer des Stimmenklaus, eines der größten Skandale der Hamburger SPD, in dessen Verlauf er um die Chance gebracht wurde, Erster Bürgermeister zu werden. Andererseits lag Petersen wiederholt quer zur Parteilinie und beharrte auf seiner Position, wie zuletzt mit seiner klaren Ablehnung des vom rot-grünen Senat eingefädelten Teilverkaufs des städtischen Hafenunternehmens HHLA an die weltgrößte Reederei MSC. Im exklusiven Gespräch mit dem Abendblatt erklärt Petersen, dass er bei der Wahl im März 2025 nach dann knapp 28 Jahren als Abgeordneter nicht erneut für die Bürgerschaft kandidieren wird. Und er zieht Bilanz eines auch an emotionalen Höhen und Tiefen reichen Politikerlebens.
Der Altonaer ist als Vorsitzender des mächtigen Haushaltsausschusses und des Cum-Ex-Untersuchungsausschusses fraglos eines der politischen Schwergewichte in der Bürgerschaft. Petersen war SPD-Landesvorsitzender und zählte über viele Jahre zur Führungsspitze seiner Partei, hat aber nie ein exekutives Amt im Stadtstaat bekleidet. Das Angebot des damaligen Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz, 2011 als Gesundheitssenator in die Landesregierung einzutreten, schlug er aus. So blieb Petersen ein leidenschaftlicher Parlamentarier, der es als seine wichtigste Aufgabe ansieht, den Senat zu kontrollieren, auch wenn dort seine Parteifreunde und -freundinnen sitzen. Viele Freunde im eigenen Lager macht man sich auf diesem Weg nicht unbedingt.
SPD Hamburg: Mathias Petersen ist einer der drei dienstältesten Bürgerschaftsabgeordneten
Der heute 69 Jahre alte Hausarzt wird als einer der dienstältesten Bürgerschaftsabgeordneten im März 2025 aufhören. So lange wie er gehören nur Ralf Niedmers (CDU) und Farid Müller (Grüne) dem Hohen Haus ununterbrochen an. „Für mich war schon zu Beginn der Legislaturperiode 2020 klar, dass dies meine letzte sein würde“, sagt Petersen am Küchentisch seiner Altonaer Wohnung bei einer Tasse Kaffee. Es sei schon viel Arbeit mit zwei Ausschuss-Vorsitzen, künftig wolle er sich „nur noch um meinen Beruf, meine Kinder und Enkelkinder“ kümmern.
Dann sagt der Sozialdemokrat einen Satz, der aufhorchen lässt. „Es ist zunehmend das Gefühl hinzugekommen, dass ich gar nichts bewegen kann.“ Jedenfalls bei den großen Themen nicht, fügt er hinzu, und schon ist er bei MSC und der HHLA. „Als Landesvorsitzender habe ich mit den Hafenarbeitern auf der Straße gestanden und denen gesagt, die SPD wird die HHLA nie verkaufen“, erzählt Petersen. Das war Mitte der Nullerjahre, als der damalige CDU-Senat den Hafenbetreiber zum Teil an die Deutsche Bahn verkaufen wollte. Ein Vorhaben, das nach massiven Protesten der Hafenarbeiter und nicht zuletzt auch der SPD krachend scheiterte.
Petersen, für den der Hafen eine politische Herzensangelegenheit ist, fühlt sich an die Aussagen von einst gebunden. Und die intensive Beschäftigung mit dem vom Senat ausgehandelten MSC-Vertrag hat seine Ablehnung eher noch bestärkt. „Man konnte darüber gar nicht mehr richtig diskutieren. Wir haben zwar viele Ausschusssitzungen gehabt, aber das Ergebnis stand ja fest“, kritisiert Petersen die parlamentarische und parteiinterne Beratung. Ihm fehlt die offene Debatte über mögliche Alternativen wie zum Beispiel eine MSC-Beteiligung lediglich an einem Hafenterminal. „Ich halte die jetzige Entscheidung für einen schweren Fehler. Man kann auch als Vorsitzender des Haushaltsausschusses zwar dagegen stimmen, aber das wird durchgezogen.“ Da stelle sich ihm schon die Frage: „Was soll ich da noch?“
Petersen hat häufig an der Parteibasis mehr Unterstützung gefunden als in den SPD-Gremien
Manche werden Petersens unbeugsame Haltung als Prinzipientreue feiern, andere seine Beharrlichkeit als Starrsinn kritisieren. Zu Letzteren zählen vermutlich auch manche Sozialdemokraten, die in ihm vor allem einen Störenfried sehen. Geradezu beispielhaft zeigt der Streit um den MSC-Deal das Grundmodell von Petersens politischer Karriere auf: Er stand mit seinen Positionen und Aktivitäten immer mal wieder gegen die Mehrheitsmeinung der etablierten Kräfte in der SPD. Dabei waren der Ehrgeiz und das Zutrauen zu höchsten Ämtern bei Petersen, der 1982 in die Partei eintrat, früh entwickelt. Und er hat mehrfach Mut zum persönlichen Risiko bewiesen, indem er „freihändig“ und gegen den Favoriten des Parteivorstands für Spitzenposten kandidierte.
Es begann 2003, als er auf einem Landesparteitag bei der Nominierung des Bürgermeisterkandidaten gegen den langjährigen Senator Thomas Mirow, den Vorschlag des Landesvorstands, antrat. Petersen verlor zwar, erreichte aber mit 40 Prozent der Delegiertenstimmen mehr als einen Achtungserfolg. Auch das ist ein Kennzeichen des Politikers Petersen, das ihm in der Folge manchen Erfolg bescheren sollte: Er kam und kommt an der Basis an, hatte dort einen viel stärkeren Rückhalt als in den Gremien der Partei.
Der „Arzt aus Altona“ holte beim SPD-Sieg 2011 nach Olaf Scholz das zweitbeste Stimmenergebnis
Mit seiner offenen und unverkrampften Art, seinem hanseatisch-gediegenen Auftreten und nicht zuletzt seinem Beruf als niedergelassener Hausarzt spricht er auch bürgerliche Wählerschichten jenseits des klassischen SPD-Spektrums an. Ein Beispiel: Beim SPD-Erdrutschsieg 2011 holte er nach Olaf Scholz das zweitbeste Personenstimmergebnis und wurde so trotz seines unsicheren Listenplatzes 20 direkt in die Bürgerschaft gewählt. Mit der Mischung aus eher unabhängigem und daher untypischem Funktionär und bürgernahem Politiker sollte er früh seine Rolle gefunden haben. Der „Arzt aus Altona“, eine auch von den Medien gern verwendete Beschreibung, wurde in den folgenden Jahren das Markenzeichen des Politikers.
Zwar wählten die Delegierten des SPD-Landesparteitages im Juni 2004 Petersen mit 84 Prozent zum neuen Parteivorsitzenden. Nach der bitteren Niederlage der Sozialdemokraten bei der Bürgerschaftswahl im Februar des Jahres, bei der Ole von Beust die absolute Mehrheit für die CDU holte, war ein Neuanfang nötig. Aber: Petersen konnte sich damals nur als Parteichef durchsetzen, nachdem er sich vorher bei einer erstmals durchgeführten, aber unverbindlichen Mitgliederbefragung gegen den langjährigen Europaabgeordneten Knut Fleckenstein, den Kandidaten der Parteispitze, klar durchgesetzt hatte. Mithilfe der Basis, der „einfachen“ Parteimitglieder, war Petersen gegen den Willen der Parteigranden an die Spitze des Landesverbands gelangt.
Putschversuch: Fünf der sieben mächtigen SPD-Kreisvorsitzenden stellten sich gegen den Parteichef
„Es war nicht so einfach, unter dieser Voraussetzung die Partei zusammenzuhalten, zumal die Zeiten damals für die SPD in der Opposition schwierig waren. Aber mein Ziel, Erster Bürgermeister zu werden, habe ich nicht aus den Augen verloren“, sagt Petersen heute rückblickend. Als Landesvorsitzender hatte er nun gewissermaßen ein erstes Zugriffsrecht auf die Spitzenkandidatur, und Petersen erklärte, das auch wahrnehmen zu wollen. Was nun folgte, hat die machtgewohnte Hamburger SPD an den Rand der Selbstzerstörung geführt und sich bis heute tief ins kollektive Gedächtnis der Partei eingegraben.
Ein ums andere Mal erregte Petersen mit Alleingängen den Unmut seiner Genossinnen und Genossen. So forderte er, Namen und Adressen von Sexualstraftätern im Internet zu veröffentlichen, was für Empörung in Teilen der SPD sorgte. Schließlich kam es zum Ausbruch eines offenen Machtkonflikts: Fünf der sieben einflussreichen SPD-Kreisvorsitzenden stellten sich in einer Art Putsch bei einem Treffen im Traditionslokal Old Commercial Room gegenüber dem Michel gegen Landeschef Petersen und wollten verhindern, dass er Bürgermeisterkandidat für die Wahl 2008 und damit Herausforderer des beliebten Amtsinhabers Ole von Beust würde.
Auch ein Misstrauensvotum konnte Petersen nicht von seiner Bürgermeisterkandidatur abbringen
Petersen blieb unbeugsam und hielt an seiner Kandidatur fest. Selbst ein Misstrauensvotum des Landesvorstands mit 13 zu zehn Stimmen konnte ihn nicht umstimmen. Der nächste Schritt der Eskalation: Seine Gegner, zu denen etwa der langjährige Bundestagsabgeordnete und damalige SPD-Mitte-Chef Johannes Kahrs und der frühere Schulsenator und damalige Bergedorfer SPD-Vorsitzende Ties Rabe gehörten, präsentierten eine Gegenkandidatin: Dorothee Stapelfeldt, damals stellvertretende Landesvorsitzende und spätere Wissenschafts- und Stadtentwicklungssenatorin.
Die beiden Lager einigten sich darauf, dass die SPD-Mitglieder die K-Frage entscheiden sollten. Nach einem wochenlangen parteiinternen Wahlkampf fand am 25. Februar 2007 eine Art Urwahl statt, zu der alle damals 11.500 SPD-Mitglieder aufgerufen waren. Die demokratische Basisentscheidung schien der letzte Ausweg aus dem erbitterten Machtkampf in einer völlig vergifteten Atmosphäre zu sein. Es kam komplett anders.
Fast 1000 Stimmzettel wurden aus der SPD-Urne geklaut – der oder die Täter nie ermittelt
Die Bekanntgabe des Ergebnisses in der SPD-Parteizentrale Kurt-Schumacher-Haus verzögerte sich um Stunden. „Wir haben die Auszählung abgebrochen, weil Briefwahlstimmen fehlten und für uns nicht erklärbar war, warum. Wir haben hier einen Vorgang, der – so, wie es jetzt aussieht – einen kriminellen Hintergrund hat“, sagte schließlich ein um Fassung ringender Parteichef Petersen in die Mikrofone und Kameras.
Das war geschehen: Bei der Auszählung der knapp 5500 Voten fiel schnell auf, dass Briefwahlstimmen fehlten. Weil alle Briefwahlumschläge aufbewahrt worden waren, war bekannt, dass exakt 1459 Sozialdemokraten auf diese Weise abgestimmt hatten. In der Briefwahlurne lagen aber nur 500 Stimmzettel, 959 fehlten also. Trotz Ermittlungen der Polizei, der Staatsschutz rückte noch in der Nacht an, ist nie ein Täter oder Täterin ermittelt worden. Die fragliche Urne war nicht beschädigt und nur mit einem einfachen Vorhängeschloss gesichert. Der Schlüssel wurde in einem Tresor aufbewahrt. Zu dem Raum hatten nur wenige Menschen Zugang. Der Kreis der Verdächtigen war also eng begrenzt. Es gab und gibt Gerüchte über das, was in der SPD-Zentrale geschehen ist, aber das ist eine andere Geschichte.
Eine nachträgliche Auszählung ergab, dass Petersen uneinholbar vor seiner Konkurrentin lag
Das Ausmaß des Chaos, das damals in der Partei herrschte, zeigt diese im Grunde absurde und widersinnige Entscheidung: Obwohl die offizielle Auszählung abgebrochen worden war, wurden die restlichen Stimmen noch in der Nacht auf Drängen von Petersen und Stapelfeldt dennoch ausgezählt. Das Gesamtergebnis: 2780 Voten für Petersen, 1730 für Stapelfeldt. Mit anderen Worten: Der Parteichef lag uneinholbar vorn, selbst wenn alle 959 „geklauten“ Stimmen für seine Herausforderin Stapelfeldt gewesen wären.
Der damalige SPD-Generalsekretär und heutige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil rückte aus Berlin an, um beide Kontrahenten zur Aufgabe zu bewegen und so einen Neustart zu ermöglichen. Petersen blieb über Tage stur bei seiner Linie und wollte nicht verzichten, auch in Kenntnis des „wahren“, aber nicht öffentlich kommunizierten Abstimmungsergebnisses. Nach zwei Nachtsitzungen zogen Petersen und Stapelfeldt schließlich um 4.20 Uhr die Reißleine und erklärten den Rücktritt von ihren Bewerbungen. Der Arzt aus Altona, der einmal mehr die Parteibasis an seiner Seite hatte, war um die Bürgermeisterkandidatur gebracht worden. Die Chance kam nie wieder.
Am Ende musste nach dem Stimmenklau-Skandal der gesamte Landesvorstand zurücktreten
Dabei wäre die Sache aus Petersens Sicht einfach zu lösen gewesen. „Der Landesvorstand hätte das Ergebnis der vorhandenen Stimmen nur akzeptieren müssen“, sagt der 69-Jährige am heimischen Küchentisch. Aber er sei eben nicht gewollt gewesen. „Bürgermeister dieser Stadt zu werden wäre für mich eine große Ehre gewesen und die beste Möglichkeit, Dinge umzusetzen. Das war ein Traum, klar, der dann halt nicht ging“, sagt Petersen heute mit kräftigem hanseatischen Understatement. Und ja, bei diesem Wunsch habe auch die Familiengeschichte eine gewisse Rolle gespielt.
Sein Großvater Rudolf Petersen war 1945 bis 1946 der erste, noch von den Briten ernannte Erste Bürgermeister. Dessen Bruder Carl hatte die Position bis 1933 inne, um nur zwei Beispiele zu nennen. Er stamme eben aus einer politischen Familie, das habe ihn früh geprägt. Sein Vater war Bürgervorsteher in Wentorf, wo Mathias Petersen aufwuchs. „Das hat übrigens dazu geführt, dass ich als Zwölfjähriger CDU-Plakate geklebt habe. Mein Vater war CDU-Mitglied“, erzählt er lachend. Später sei es dann vor allem Helmut Schmidt gewesen, dessen Politik ihn zur SPD gebracht habe.
Wenn ein Lebenstraum, das war es ja wohl, unter diesen Umständen platzt, drängt sich die Frage auf, wie viel Bitterkeit noch heute in ihm steckt. „Gar nichts“, erklärt Petersen. Und parteiinterne Feindschaften? Er räumt ein, dass es Sozialdemokraten gebe, mit denen er seit jenen dramatischen Tagen vor mehr als 17 Jahren nicht mehr spreche. Dann erinnert der Mediziner noch an den Spruch „Freund, Feind, Parteifreund“ und lächelt diese Steigerungsform der Animositäten auch schon wieder weg. Es wird nicht ganz klar, wie ernst er das wirklich meint. Mathias Petersen scheint seinen Frieden damit gemacht zu haben, dass es sehr einflussreiche Kräfte in der SPD gab, die ihn um die Chance brachten, Bürgermeister zu werden.
Mathias Petersen klebte schon als Zwölfjähriger in Wentorf Plakate – für die CDU!
Immerhin hat er ja weiter Politik gemacht – bis auf den heutigen Tag. Und dabei musste Petersen immer wieder den Genossen und Genossinnen in die Augen sehen, die ihn um seine Karriere gebracht hatten. „Aber die mussten mir auch in die Augen sehen. Ich war nicht weg, sondern blieb da“, erklärt er lachend und verblüffend gelassen. Entscheidende Voraussetzung dafür, dass er weiter für die SPD Politik gemacht hat, war die Tatsache, dass ihm parteintern umfassend Gerechtigkeit widerfahren ist.
Als Olaf Scholz 2009 erneut zum SPD-Landesvorsitzenden gewählt wurde, erklärte er die innerparteiliche Befriedung der nach wie vor traumatisierten Partei zum Ziel. „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie“, rief er den Delegierten in seiner Nominierungsrede zu. Das Motto scheint für den heutigen Bundeskanzler wieder sehr aktuell zu sein ... Zentraler Baustein: Scholz beauftragte das SPD-Urgestein Harald Muras aus Harburg, einen Bericht über die politischen Hintergründe des Stimmenklaus und den Umgang der Partei mit Petersen anzufertigen.
„Mathias Petersen ist Unrecht geschehen“, lautete das Urteil des abschließenden Berichts
„Mathias Petersen ist übel mitgespielt worden“, sagte Scholz bei der Vorstellung des Muras-Berichts. Der Harburger Rechtsanwalt kam zu dem Ergebnis, dass Petersen „Unrecht geschehen“ sei, in dem seine Bürgermeisterkandidatur „in unzulässiger Weise verhindert worden“ sei. Trotz des Stimmzettelklaus hätte der Landesvorstand Petersen zum Sieger erklären müssen. Muras‘ Fazit: Der Landesvorstand habe sich „nicht an die Regeln des politischen Anstands und der Ordnung in der Partei gehalten“. Der einzig denkbare Weg, Petersen loszuwerden, wäre ein ordentlicher Parteitag gewesen. „Die politische Führungselite hat versagt“, so Muras damals.
Weitere Konsequenzen wie ein Parteiordnungsverfahren wegen Satzungsverstoßes gegen einzelne Mitglieder gab es nicht. Petersen bot der Muras-Bericht ausreichend Genugtuung, und er hatte mit Scholz vereinbart, dass die politische Aufarbeitung des Harburgers den Schlusspunkt unter den Stimmenklau-Skandal setzen sollte. Viele seiner Widersacher dürften erleichtert gewesen sein. Seitdem gilt Mathias Petersen, auch das gehört zur Wahrheit, in der Hamburger SPD gewissermaßen als sakrosankt. Wann immer er gegen die Linie des SPD-geführten Senats öffentlich Position bezieht – ob beim G20-Treffen, dem Elbtower oder dem MSC-Deal – gibt es praktisch keine Kritik von Parteifreunden an ihm.
Das Angebot von Olaf Scholz, 2011 Gesundheitssenator zu werden, lehnte der Arzt ab
Petersen selbst war auf die Rolle des unabhängig-kritischen und mithin unbequemen Parteifreundes festgelegt. Da überrascht es letztlich nicht mehr, dass er 2011 nicht in den Scholz-Senat eintreten wollte. Er war auch nicht bereit, seinen Beruf als Arzt zumindest zeitweilig für das Amt aufzugeben. Als Gesundheitssenator wäre er, nebenbei bemerkt, zudem der Richtlinienkompetenz des Ersten Bürgermeisters unterworfen gewesen. Kurios: Weil Petersen verzichtete und damit ein Männerplatz frei geworden war, konnte Ties Rabe überhaupt erst Schulsenator werden. Jener Ties Rabe, den der Landesvorsitzende Petersen im September 2006 zu Beginn der turbulenten Phase als Landesgeschäftsführer gefeuert hatte.
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Das Gespräch am Küchentisch kehrt noch einmal an seinen Ausgangspunkt und die fehlende Debattenkultur zurück. Ja, sagt Petersen, es könne schon sein, dass früher auch inhaltlich heftiger gestritten worden sei. „In der SPD-Fraktion gab es das Kellerparlament des Mitte-Rechts-Lagers und den Övelgönner Kreis der Linken. Da wurde manchmal bis tief in die Nacht gestritten, aber am Ende gab es ein Ergebnis, das alle mitgetragen haben“, erinnert er sich.
SPD Hamburg: Petersen wünscht sich „mehr Eigenverantwortung und Mut“ der Abgeordneten
Es könne schon sein, dass es heute eine gewisse Ängstlichkeit gebe, Kritik am eigenen Senat, an der eigenen Regierung zu üben, weil die Sorge bestehe, dass das schnell in die Medien gelange und es dann heiße: „Die streiten sich nur.“ Die Ampel in Berlin als warnendes Beispiel. Aber Petersen ist sich nicht sicher, ob das nicht eventuell eine allgemeine Tendenz in der Politik ist und somit auch in anderen Parteien zu beobachten ist.
Er sage seinen Fraktionskollegen jedenfalls immer wieder, dass der Senat zum Beispiel nur einen Vorschlag für den Haushalt der Bürgerschaft unterbreite. „Wir als Fraktion beraten, verändern möglicherweise und beschließen den Haushalt gemeinsam mit unserem Koalitionspartner und sind dafür verantwortlich. Da waren die Diskussionen in der Fraktion früher schon einen Tick härter, wurde mehr über Veränderungen an der einen oder anderen Stelle gestritten“, sagt Petersen. „Es geht nicht nur darum, bei Abstimmungen die Hand zu heben. Ich denke manchmal, das Selbstverständnis der Abgeordneten gegenüber dem Senat sollte doch ein bisschen mit mehr von Eigenverantwortung und auch Mut gekennzeichnet sein. Das würde ich mir für die Zukunft wünschen“, sagt der leidenschaftliche Parlamentarier und empfiehlt sich selbst damit gewissermaßen als Vorbild.