Hamburg. Mitten in der Stadt wurde ihre Tante von einem Lkw überfahren. Nun macht sie der Stadt Vorwürfe. Was die Polizei bei dem Unfall vermutet.
- 71-Jährige wurde von Lkw am Baumwall erfasst und starb
- Ihre Nichte wendet sich nun mit emotionalem Appell an den Verkehrssenator
- Video zeigt, wie Autofahrer Radfahrstreifen ignoriert
Es war bereits das neunte Mal in diesem Jahr, dass eine Radfahrerin oder ein Radfahrer in Hamburg ums Leben gekommen ist. Aber den Tod der 71 Jahre alten Reinhild Simonsen, die am Freitag vergangener Woche von einem Lkw am Baumwall erfasst und getötet wurde, wollen ihre Angehörigen nicht nur für sich allein in stiller Trauer verarbeiten. Nach dem tödlichen Unfall ihrer Tante, die vor ihrer Pensionierung als Medizinisch-Technische Assistentin arbeitete, wendet sich ihre Nichte Jutta Simonsen nun mit einem emotionalen Appell über das Abendblatt an Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne).
In einer Mail an das Abendblatt, die sie aber auch an den „Sehr geehrten Herrn Tjarks“ richtet, schreibt die Nichte: „Die Berichterstattung zum Unfallhergang ließ zunächst vermuten, dass es sich bei der Fahrradfahrerin um eine Dame handelt, die aufgrund ihres Alters zu unüberlegtem Handeln neigen könnte. Nun hat sich durch die weiteren Ermittlungen herausgestellt, dass der Lkw rechtswidrig über den Fahrradstreifen gekreuzt ist.“
Tote Radfahrerin: Emotionaler Appell der Nichte an Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks
Und weiter: „Die Tatsache, dass es ausgerechnet meine Tante getroffen hat – eine außergewöhnlich sportliche Frau, Marathonläuferin, passionierte Seglerin, eine Frau, die gewohnt war, ihre Wege mit dem Fahrrad zurückzulegen, dazu vom Wesen her ruhig, besonnen und praktisch –, macht sehr deutlich, dass an dem Zusammenleben der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer dringend etwas geändert werden muss.“
Ihre Tante sei auch nicht mit einem E-Bike in hohem Tempo unterwegs gewesen, so Jutta Simonsen weiter. „Ich bin selbst in den letzten zwei Jahrzehnten viel beruflich in der Gegend mit dem Fahrrad unterwegs gewesen und muss sagen, dass ich mich auf dem Fahrradschutzstreifen bei dem dicht an einem vorbeirasenden Verkehr in permanenter Lebensgefahr gefühlt habe.“
Tödlicher Unfall am Baumwall: Eine Baustelle erschwert die Orientierung
Hinzu komme, dass die aktuellen Baustellen „die Orientierung für alle nicht einfacher“ machten. „Es flitzen dort auch viele Eltern mit Kindern in ihren Lasten-E-Bikes entlang, dicht an riesigen Lkw und viel zu schnell fahrenden Autos“, so Simonsen weiter.
„Ich bitte Sie darum, bei allem Positiven, das Sie getan haben, um das Fahrradfahren in Hamburg attraktiver zu machen, die Fahrradfahrer besser zu schützen.“ Etwa „durch Anpassen des Tempos für die dicht an Fahrradstreifen vorbeifahrenden Autos, durch Kantsteine zwischen Autos und Fahrrädern, sodass die Fahrradstreifen nicht beliebig überfahren werden können“ oder „durch bessere Kennzeichnung der Fahrwege für alle Beteiligten“. Nur so könnten auch bei Baustellen alle Verkehrsteilnehmer wissen, wie sie zu fahren hätten. Egal, ob mit dem Auto, mit dem Lkw oder mit dem Fahrrad. Zudem, so Jutta Simonsen, sollte der Lkw-Verkehr in der Innenstadt reduziert werden.
Sprecher des Verkehrssenators spricht Angehörigen sein Mitgefühl aus
Bei alledem muss man jedoch wissen, dass für die Verkehrssicherheit inklusive der Beschilderung die Innenbehörde bzw. die Polizei zuständig ist und nicht die Verkehrsbehörde. Diese plant allerdings die Radwege.
„Wir sind tief betroffen vom tragischen Unfall, und unser Mitgefühl gehört den Angehörigen des Unfallopfers“, sagte Dennis Krämer, der Sprecher des grünen Verkehrssenators Anjes Tjarks, dem Abendblatt. „Jedes Unfallopfer im Straßenverkehr ist eines zu viel. Es ist das starke Bestreben der Stadt, dort, wo möglich, Rad- und Kfz-Verkehr baulich voneinander zu trennen oder auch Fahrradstraßen mit Tempo 30 einzurichten, um die Verkehrssicherheit für alle Verkehrsteilnehmenden zu erhöhen.“
Tote Radfahrerin: Schuldfrage ist noch nicht abschließend geklärt
„Dies tun wir fortlaufend und sukzessive in der gesamten Stadt und befinden uns stetig im Austausch dazu mit der in Hamburg für die Verkehrssicherheit zuständige Polizei“, so Krämer weiter. „Derzeit laufen noch die Untersuchungen und Zeugenbefragungen der Straßenverkehrsbehörden der Polizei. Diese sollen dabei helfen, den genauen Unfallhergang und die Umstände des Unfalls zu rekonstruieren. Diese Ermittlung gilt es abzuwarten.“
Die Schuldfrage bei dem tragischen Unfall ist wohl tatsächlich noch nicht abschließend geklärt. Es könnte bei dem Verfahren nach Abendblatt-Informationen am Ende auch auf eine Teilschuld beider Beteiligter hinauslaufen. Zugleich hat sich die Unfallkommission den Bereich rund um den Unfallort auch mit Blick auf die dortige Baustelle angeschaut, um zu sehen, ob hier noch etwas in Sachen Sicherheit verbessert werden kann.
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Von den neun in diesem Jahr bereits in Hamburg getöteten Radfahrern sind zwei durch Unfälle mit Lkw und einer mit einem Transporter ums Leben gekommen. Bei allen drei Unfällen ging es mehr oder weniger um das Abbiegen der motorisierten Fahrzeuge. In einem Fall kollidierten zwei Radfahrer, in einem weiteren war ein Radfahrer allein beteiligt und starb nach einem Sturz. Auch zwei tödliche Radfahrerunfälle mit Beteiligung von Pkw passierten beim Abbiegen.
Elf tote Radfahrer im vergangenen, schon neun in diesem Jahr
Im vergangenen Jahr kamen elf Radfahrer in Hamburg ums Leben, fünf davon wurden von abbiegenden Lastkraftwagen erfasst, einer von einem Reisebus. Zwei Radfahrer starben ohne Fremdeinwirkung nach Stürzen.
Einer der getöteten Radfahrer starb, nachdem er betrunken Kunststücke auf einer Rampe auf einem Firmengelände vollführt hatte. In einem Fall fuhr ein Rennradfahrer in ein parkendes Auto.