Hamburg. Politiker reden gern über die Freiheit und Vielfalt der Medien in Deutschland. Aber sie tun zu wenig dafür, sagt Philipp Welte.
Er hat mit 15 Jahren schon Texte von gestandenen Redakteuren besser gemacht, arbeitete sowohl für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk als auch für Deutschlands größte Tageszeitung. Inzwischen ist Philipp Welte als Vorstand bei Hubert Burda eine Institution und kämpft als Chef des Medienverbandes der freien Presse für deren Zukunft – und gegen das zunehmende Desinteresse der Politik daran. „In Deutschland gibt es 36.000 fest angestellte Redakteurinnen und Redakteure, und zwei Drittel von ihnen arbeiten für freie und unabhängige Verlage. Nicht etwa für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber leider habe ich das Gefühl, dass die Politik hierzulande nicht annähernd versteht, welche Relevanz der unabhängige, verantwortliche Journalismus der Verlage für die Stabilität unserer Demokratie und den Pluralismus einer offenen Gesellschaft hat“, sagt Welte im Podcast „Entscheider treffen Haider“ des Hamburger Abendblatts.
Die Politik verhalte sich gegenüber der freien Presse respektlos
Das sei das Dilemma zwischen „den Sonntagsreden und der Montagswirklichkeit“. Politiker hätten etwa zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes begeistert über die Presse- und Meinungsfreiheit gesprochen, um kurz danach die lange versprochene Förderung der unabhängigen periodischen Presse in Deutschland heimlich, still und leise zu kassieren. „Das ist eine unfassbare Respektlosigkeit vor der Institution der freien Presse. Die Politik interessiert sich kein bisschen dafür, wie die Zukunft dieser freien Presse aussieht“, sagt Welte. Als der Hamburger Verlag Gruner + Jahr verschwand, habe es zwar viele tränenreiche Beileidsbekundungen aus der Politik gegeben: „Aber mit den wirklichen Problemen, den eigentlichen Ursachen hat sich niemand beschäftigt. Politisch ist nichts passiert.“
Dass viele Politikerinnen und Politiker sich nicht sonderlich für den Fortbestand der freien Presse engagierten, habe einen einfachen Grund: „Es ist für sie deutlich weniger anstrengend, ihre Botschaften über soziale Medien zu verbreiten, als sich mit Journalisten auseinanderzusetzen, die unbequeme Nachfragen stellen und nachhaken“, so Philipp Welte. „TikTok fragt nicht nach, das ist eine lupenreine Manipulationsmaschine, die unter der Ägide des chinesischen Staates aufgebaut worden ist. Solche Medien werden niemals die Wirklichkeit in Politik und Medien wiedergeben. Genau das zu tun ist die Aufgabe der freien Presse, und die ist ausgerechnet jetzt in einer kritischen Phase unserer Demokratie so bedroht wie nie.“
ARD und ZDF nähmen der freien Presse „die Luft zum Atmen“
Denn das sei die Realität: „Die einzigartig vielfältige Verlagslandschaft in Deutschland wird heute zerrieben zwischen zwei Blöcken.“ Der eine bestehe aus den US-amerikanischen und chinesischen Technologiegiganten, die die digitalen Märkte dominieren und die dieses Jahr über die Hälfte der weltweiten Werbeeinnahmen unter sich aufteilen würden. „Den anderen Block bildet in Deutschland der öffentlich-rechtliche Medienkomplex, der mit neun Milliarden Euro an Gebühren ausgestattet ist. Er drückt mit seiner gigantischen ökonomischen Macht und presseidentischen Produkten in alle digitalen Kanäle und nimmt den privaten Unternehmen dort die Luft zum Atmen“, sagt Welte.
Deshalb müsse das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem reformiert werden. „Die sogenannte Grundversorgung kann nicht darin bestehen, dass alle digitalen Kanäle mit vermeintlich kostenlosen Angeboten geflutet werden und den freien Medien damit in den digitalen Zukunftsmärkten jeglicher Spielraum genommen wird. Ich erwarte von der Politik und das ganz konkret von den Ländern, dass sie eine ganz konkrete Diskussion darüber führen, was eigentlich genau der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Medien ist“, so Welte weiter.
- Medienunternehmen sorgen sich um die Demokratie
- Drohungen gegen Politik und Medien gehen uns alle an
- „Ohne Lokaljournalisten bekommen wir wahnsinnige Probleme“
Die Politik müsse verstehen lernen, dass der Journalismus der Verlage etwas anderes sei als der Journalismus von ARD und ZDF und dass dieser unabhängige Journalismus in seinem ökonomischen Fundament bedroht sei. Das Problem aus Weltes Sicht: „Zwischen Politik und öffentlich-rechtlichem Journalismus gibt es eine symbiotische Beziehung. Man lebt sehr gut miteinander, auch wenn man sich hin und wieder in irgendwelchen Talkshows bitterböse anguckt.“