Hamburg. Hamburgs Altbürgermeister im Gespräch. Er erwartet, dass mit dem Erfolg des BSW das Thema Krieg in der Bundespolitik anders diskutiert wird.
Jede Woche stellt sich der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi den Fragen des stellvertretenden Abendblatt-Chefredakteurs Matthias Iken.
Matthias Iken: Im Osten zeichnen sich Ergebnisse bei den Landtagswahlen ab, die bis vor Kurzem undenkbar schienen. AfD und BSW stehen vor großen Erfolgen. Warum tickt der Osten so anders?
Klaus von Dohnanyi: Schon seit Jahren gibt es in den sogenannten „neuen“ Ländern rechtsradikale, populistische Bewegungen, wie zum Beispiel die „Pegida“ in Sachsen, die man als Vorläufer der AfD bezeichnen kann. So undenkbar waren hohe AfD-Ergebnisse also nicht. Dabei sind die beiden ostdeutschen Länder, in denen Anfang September Wahlen anstehen, in dieser Beziehung ziemlich unterschiedlich: In Thüringen besteht eine AfD mit überwiegend radikalisiertem Nationalismus (Höcke), in Sachsen geht es der AfD eher um ein allgemeines politisch-soziales Unwohlsein. Aber in allen Landesteilen der ehemaligen DDR fällt heute eine stärkere Neigung der Wähler zu populistischen Parteien auf, insbesondere zur AfD: Warum ist das so? Oft wird behauptet: Weil man in den ostdeutschen Ländern eben weniger „demokratisch“ sei, Demokratie noch nicht lange genug „geübt“ habe. Das scheint mir etwas zu einfach, denn auch im Westen gewinnt die AfD. Überzeugender wäre vielleicht: Weil den sogenannten „neuen“ Ländern jene Identität fehlt, die im Westen über viele Jahre als selbstbewusstes „Wirtschaftswunder“ entstand. Nun schwindet auch dieses westliche Selbstbewusstsein, gleichzeitig nimmt die AfD zu. Eine Entwicklung, die wir auch in anderen europäischen Staaten beobachten können.
„Mindestens die Hälfte der Wähler wären für eine andere Ukrainepolitik“
Iken: Sind Regierungen ohne das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) überhaupt noch möglich?
Dohnanyi: Bisher hat das BSW überhaupt erst einmal bewiesen, dass es großräumig Stimmen mit Gewicht sammeln kann: in den Wahlen zum Europäischen Parlament. Insofern werden erst die Wahlen in Sachsen und Thüringen ein zuverlässigerer Gradmesser für eine mögliche längerfristige Bedeutung der neuen Partei sein. Sollten sich die heutigen Umfragen in Thüringen und Sachsen am Wahlabend bestätigen, wird es kaum möglich sein, bei Koalitionsverhandlungen am BSW vorbeizukommen, wenn man weiterhin die AfD außen vor lassen will. Und hier wäre aus meiner Sicht auch die wirkliche Bedeutung der neuen Partei BSW: endlich auch in den ostdeutschen Ländern eine Lage herzustellen, in der populäre Themen ohne Hilfe der AfD vorangebracht werden können. Zum Beispiel: Mindestens die Hälfte der Wähler auf Landes- und Bundesebene wären für eine andere Ukrainepolitik und Verhandlungen mit Russland (wie übrigens auch die Mehrheit in den USA), diese Position wird in Deutschland im Parlament (anders als in den USA) aber nur durch die nationalistische AfD vertreten. Ein demokratisch sehr unproduktiver Zustand, denn den etablierten Parteien fehlt es hier offensichtlich an Wahrhaftigkeit und an mutigem Realitätsbezug. Es wird deswegen wirklich Zeit, dass diese so nahe liegende Frage mindestens über den Bundesrat die politische Ebene Berlin erreicht.
Klaus von Dohnanyi: Sympathiewerte sind wichtig für eine Stadt
Iken: Das BSW macht eine andere Ukrainepolitik zu einer Vorbedingung. In der Außenpolitik sind aber die Länder gar nicht entscheidend.
Dohnanyi: Aber der Bundesrat kann sehr wohl auf die Außen- und Sicherheitspolitik Einfluss nehmen. Die Frage des BSW, zum Beispiel, ob Deutschland auch diplomatisch auf die Sicherheitspolitik Einfluss nehmen sollte oder nur eine Rüstungsantwort befürwortet, halte ich für sehr wichtig. Gegenwärtig konzentrieren wir uns nur auf eine Sicherheit durch Bewaffnung, und was das bringt, sehen wir doch schon an der Ukraine. Ich kann nur immer wieder auf die Worte von Helmut Schmidt verweisen: „Wir wollen nicht erneut als zerstörtes Land befreit werden.“ Also: Auf welcher politischen Ebene die diplomatische Alternative unserer Sicherheitspolitik befürwortet wird, das ist mir ziemlich egal: Hauptsache, sie wird wieder Teil der Sicherheitsdebatte, auch gegenüber Russland. Und da ist das BSW hilfreich!
Iken: Sie glaube, die Wahlen im Osten können die Ukrainepolitik verändern?
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Dohnanyi: Ich glaube schon. Wenn die Debatte erst mal eröffnet ist, wird es weitergehen. Ob der Anstoß aus dem Osten oder dem Westen kommt, ist ziemlich gleichgültig: Oder müssen wir auch hier erst wieder auf die USA warten?