Hamburg. Nachbarn fassen ihre Sorgen in einem Brandbrief zusammen. Drogenproblematik hat sich in Wohngebiet verschoben. Das plant der Bezirkschef.
- Anwohnerin in St. Georg sorgt mit einem Brandbrief für ein Krisentreffen der Behörden
- Immer mehr Junkies, Alkoholiker und Obdachlose auch im Wohngebiet
- Randständige verrichten ihr Geschäft offen und ungebiert zu jeder Zeit
Mehr Alkoholiker und andere Drogenkranke, mehr Obdachlose, Müll und Exkremente: In St. Georg hat sich die Situation für Anwohner in den vergangenen Wochen und Monaten verschärft. Zuletzt hatten der Bürgerverein, der Quartiersmanager, aber auch Gastronomen von der Politik Lösungen für die wachsenden Probleme gefordert. Nun hat eine Anwohnerin mit einem Brandbrief ein Krisentreffen im zuständigen Polizeikommissariat 11 ausgelöst. Und auch der Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte macht klare Ansagen.
„Den ganzen Tag und auch die Nächte durch, versammeln sich Gruppen von Drogenabhängigen direkt vor unseren Wohnhäusern und lagern auf dem Fußweg, hinter oder zwischen parkenden Autos“, schrieb die Designerin und Künstlerin Birgit Gerstmeier-Halgmann, die am Kirchenweg lebt, an Polizei und Behörden. „Mit offenem Fenster, wie man es im Sommer gerne hätte, kann in unserer Straße niemand unserer zahlreichen Nachbarinnen und Nachbarn schlafen, denn es gibt regelmäßig lautes Palavern, auch Schreiereien. Bedürftige kommen mit riesigen Säcken voll Kleidungsstücken an, machen auf der Straße Anprobe und lassen den Großteil der Sachen einfach liegen, oder benutzen sie als Klopapier.“
St. Georg: Drogen, Gewalt, Müll! Läuft die Lage aus dem Ruder?
Überall lägen Müll, Glas und Kartonagen herum, „Pinkeln und das größere Geschäft findet hier quasi offen, ungeniert zu jeder Zeit statt.“ Es könne doch nicht sein, dass sich eine „gefühlt stetig wachsende Zahl von Drogensüchtigen in unserem Umfeld quasi rund um die Uhr (auch morgens vor Kita- und Schulbeginn) ungeniert und vor allem ungestört hier aufhalten können“, so die Anwohnerin, die im Viertel auch unter ihrem Künstlernamen Meret Steen bekannt ist. „Wie sieht es mit dem einzuhaltenden Mindestabstand zu Kindergärten und Schulen aus? Welcher Weg wird kleinen Kindern, die sich ja teilweise auch allein zurechtfinden müssen und unbegleitet sind, zugemutet? Wo bleibt der Schutz der Kinder, der Öffentlichkeit überhaupt?“
Vor einigen Jahren habe der Leiter der ansässigen Kindertagesstätte für eine Begrünung der Kita-Backsteinmauer gesorgt. Inzwischen sei die Mauer „zweifach durch Drahtgestell zum Sicherheitstrakt, gefängnisanmutend, erhöht worden“, so Gerstmeier-Halgmann. „Die Situation scheint mir völlig aus dem Ruder zu laufen. Obwohl das Thema in diesem Jahr, begründeterweise, schon zweimal im Stadtteilbeirat behandelt worden ist, gibt es für uns Anwohnerinnen und Anwohner letztlich keinerlei positive Perspektive, geschweige denn auch nur einen Ansatz von Abhilfe.“
Man könne mittlerweile „den Eindruck gewinnen, das Umfeld passt sich eher der Drogensituation an (Erhöhung der Kitamauer, oder die Idee der Stadtreinigung, das Grün der Anpflanzungen abzumähen, damit sich dort niemand verstecken kann) und die Bewohner werden ob der extremen Zustände selber krank.“
Drogen und Verwahrlosung: Auch der Bürgerverein schlägt seit Längerem Alarm
Der Vorsitzende des Bürgervereins zu St. Georg und SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Markus Schreiber pflichtet der Anwohnerin zumindest teilweise bei. „Im Grundsatz schreibt Frau Gerstmeier-Halgmann leider die Wahrheit“, sagte Schreiber dem Abendblatt. „Die Drogen- und Alkoholszene hat sich vom Hauptbahnhof in den Wohnstadtteil St. Georg verschoben. Die Idee des Bürgervereins St. Georg ist eine Ausweitung des Alkoholkonsumverbotes in Richtung Hansaplatz kombiniert mit einem Trinkraum, in dem mitgebrachter (billiger) Alkohol konsumiert werden kann. Diesen Trinkraum könnte man neben dem Drob Inn in der Repsoldstraße 27 unterbringen, ein großes Bürohaus, das die Stadt gerade erworben hat. Dort sollen auch Ruheräume u.a. für die Drogenabhängigen eingerichtet werden, was ihnen helfen würde und sie so aus dem öffentlichen Raum heraushalten könnte.“
Aufgrund der Anwohnerbeschwerde hat es vor einigen Tagen offenbar eine Art Krisentreffen in der zuständigen Polizeiwache 11 gegeben, bei dem laut Birgit Gerstmeier-Halgmann auch ein Vertreter der Sozialbehörde anwesend war. Laut Gerstmeier-Halgmann verlief das Gespräch allerdings „desillusionierend“. Der Tenor sei gewesen, „dass man alles im rechtlichen Rahmen ausschöpfen würde, um Herr der Lage zu bleiben“. Es sei aber auch berichtet worden, dass bedürftige Personen aus anderen Gemeinden nach Hamburg-St. Georg geschickt würden, weil es hier besonders viele Hilfsangebote gebe, das führe zu einem weiteren Anwachsen der Belastung.
Bezirksamtsleiter Mitte: „Das größte Problem sind die Cracksüchtigen“
„Man müsste die Konzepte umfänglich neu überdenken, ohne in eine autoritäre, rigide Sozialpolitik zu verfallen“, so die Anwohnerin aus dem Kirchenweg. „Die Behördenvertreter werden versuchen müssen, allen gerecht zu werden, auch der Wohnbevölkerung vor Ort, die ja letztlich den Stadtteil trägt.“
Auch der Bezirksamtsleiter von Hamburg Mitte, Ralf Neubauer (SPD), ist sich der Probleme längst bewusst. „Wir beobachten die Situation in St. Georg schon seit Längerem sehr aufmerksam“, sagte er dem Abendblatt. „Es gibt dabei sicherlich auch Verlagerungseffekte vom Hauptbahnhof in den Stadtteil, das größte Problem sind nach unserer Wahrnehmung aber vor allem Cracksüchtige, die sich nun auch in bislang eher weniger betroffenen Straßenzügen aufhalten.“
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Die „massive Verelendung von Menschen durch den Konsum dieser Droge“ sei mittlerweile ein Problem vieler Großstädte, leider auch in Hamburg, so Neubauer. „Meine große Hoffnung ist, dass sich die Situation in St. Georg durch das Vorhaben der Sozialbehörde in der Repsoldstraße konzentriert Hilfsangebote wie Notschlafplätze, medizinische Versorgung und Tagesaufenthalt anzubieten, wieder deutlich entspannt. Daran wird derzeit intensiv gearbeitet.“
Allein in diesem Jahr habe man mehrfach Rundgänge mit Anwohnern und Gewerbetreibenden in St. Georg durchgeführt, um Problemlagen vor Ort zu identifizieren und gegensteuern zu können, hieß es aus dem Bezirksamt Mitte. Themen seien vor allem Sicherheit und Sauberkeit gewesen. Dabei habe man auch festgestellt, dass die Beleuchtung in einigen Straßenzügen während der Abendstunden unzureichend sei und dies ein Gefühl der Unsicherheit hervorrufe. Mittlerweile seien „neue zusätzliche Lichtmasten installiert worden, unter anderem am Kleinen Pulverteich, am Steindamm und in der Stralsunder Straße“. Zudem habe man in 43 Lampen moderne LED eingesetzt, die deutlich heller seien.
Hansaplatz und Umfeld: Auch Passanten und Gewerbetreibende sorgen für Vermüllung
Ein „deutlich sichtbares Problem im Stadtteil ist auch der Umgang mit Müll“, heißt es aus dem Bezirksamt. „Das ist aber keineswegs nur ein von Suchtkranken verursachtes Thema. Das Bezirksamt hat daher seit Februar dieses Jahres die Gewerbetreibenden kontaktiert und kontinuierlich kontrolliert. Häufig wird Müll kurzzeitig auf der Straße zwischengelagert und durch Windstöße verteilt. Zudem lassen Passanten immer wieder Abfälle fallen und nutzen die vorhandenen roten Abfallkörbe kaum.“
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In diesem Zusammenhang hätten das Bezirksamt und die Waste Watcher der Stadtreinigung „diverse Male Kontrollen durchgeführt und auch Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet“. Zusätzlich seien „weitere Müllbehälter aufgestellt, regelmäßige Reinigungen deutlich ausgeweitet sowie Sonderreinigungen durchgeführt“ worden. Insbesondere der Hansaplatz und der Steindamm seien seit den verstärkten Kontrollen deutlich sauberer, und die Vermüllung habe spürbar abgenommen.