Hamburg. Statt Papier und Pappe zu zerreißen und in Container zu stopfen, landet viel daneben. Waste Watcher der Stadtreinigung ziehen Bilanz.

Werbebroschüren, Pakete, Pizzakartons türmen sich meterhoch auf. Der gar nicht so schmale Gang zwischen den sechs Altpapier-Containern – komplett verstopft. Eine kleine Müllhalde ist an der Goebenstraße entstanden. Mit einem Flatterband – Aufschrift „Wir ermitteln“ – haben die Spezialisten der Stadtreinigung Hamburg (SRH) Mitte Dezember den „Tatort“ abgesperrt und gesichert. Kein Einzelfall: Zwar gibt es in Hamburg 2436 Altpapier-Container, 55 mehr als 2020. Doch nicht selten sehen sie, insbesondere in stark verdichteten Stadtteilen wie Eimsbüttel, so aus wie die an der Goebenstraße.

Die Jahresbilanz der Stadtreinigung ist so etwas wie ein Gradmesser dafür, wie sehr die Hamburger bei der Entsorgung ihres Mülls schludern. Kurzes Fazit: Es gibt Hoffnung. 13.902 Sauberkeitsverstöße und damit 2000 weniger als 2020 haben im Vorjahr die 30 Mülldetektive (Waste Watcher) in der Stadt erfasst, teilte die Stadtreinigung auf Abendblatt-Anfrage mit.

Bei 6294 handelte es sich um „wilde Müllablagerungen“, davon waren 5657 sogenannte Beistellungen an den Sammelcontainern, meist Altpapier. Heißt: Ihre Kartons, ihre Zeitschriften, Pakete oder sonstigen Unrat ließen die Verursacher neben den Behältern stehen, statt sie im Container oder an geeigneter Stelle zu entsorgen. 2020 waren noch etwa 10 Prozent mehr Verstöße dieser Art registriert worden.

Waste Watchers: Stadtreinigung Hamburg ermittelt

Auch wenn die Zahlen leicht schwanken, eine Konstante bleibt: die an Einfalt grenzende Berechenbarkeit der Müllsünder. Wer den XXL-Karton für den neuen Fernseher neben einem vollgestopften Container ablädt, aber den Adress-Aufkleber nicht entfernt, kann ebenso gut einen blinkenden Pfeil dort aufstellen. Dieses klassische Versäumnis der Verursacher macht es den Waste Watchern in den meisten Fällen sehr leicht. Adresse gesichert, Ordnungswidrigkeitsanzeige geschrieben, und schon wenige Tage später flattert der Strafzettel ins Haus.

Und hängt ein „Wir ermitteln“-Band zwischen den Container, so wie an der Goebenstraße, bedeutet das nichts anderes als: Hier gibt’s viel zu holen. „Dann gibt es eine Vielzahl von Beistellungen mit nachvollziehbaren Verursachern“, sagt SRH-Sprecher Kay Goetze. In etwas kniffligeren Fällen würden auch schon mal Anwohner befragt, ob sie verdächtige Beobachtungen rund um die Container gemacht hätten. Der Nachbar ist des Nachbars größter Wolf ...

Kommen die Mülldetektive den Verursachern auf die Schliche, was meist der Fall ist, wird’s teuer. So beträgt etwa das Verwarngeld für die „Beistellung eines nicht gefalteten Pappkartons“ mindestens 30 Euro. Für die fast 14.000 erfassten Verstöße verhängten die Waste Watcher im Vorjahr Buß- und Verwarngelder in Höhe von 559.419 Euro – 2020 waren es nur 426.000 Euro.

Auch die Corona-Pandemie sorgt für mehr Müll

Weniger Verstöße, mehr Bußgeld – wie kann das sein? „Wir passen die Schwerpunkte der Kontrollen dem aktuellen Litteringverhalten (achtloses Wegwerfen im öffentlichen Raum, Anm. d. Red) und den Auswirkungen auf die Umwelt an“, sagte ­Goetze. „In diesem Zusammenhang können sich trotz sinkender Feststellungen pro Jahr höhere Bußgelder ergeben. So liegt das Bußgeld eines illegal entsorgten Farbeimers deutlich über dem eines abgestellten Kartons.“

Stadtweit hat die SRH im Vorjahr 83.180 Tonnen Papier eingesammelt, fast 500 Tonnen weniger als 2020. Schon im ersten Corona-Jahr waren 2500 Tonnen weniger Papiermüll angefallen als 2019. An den Sammelcontainern waren es 18.050 Tonnen – und damit rund 300 Tonnen mehr als 2020.

Conny Nolzen, Reinhard Fiedler und sein Nachfolger als Sprecher der Stadtreinigung Kay Goetze (v.l.n.r.)
Conny Nolzen, Reinhard Fiedler und sein Nachfolger als Sprecher der Stadtreinigung Kay Goetze (v.l.n.r.) © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Ursache für die Müllberge neben den Containern ist aber nicht die Menge des Altpapiers, sondern der Umgang damit. So haben Bestellungen (größerer) Artikel über das Internet während der Corona-Pandemie stark zugenommen. Und wird mehr geordert, fällt mehr Verpackungsmaterial an. Damit auch alles hineinpasst in die Container, müsste nach Kräften zerrissen, gequetscht und gestaucht werden – ein Aufwand, der offenbar nicht dem Wunsch mancher Hamburger nach maximalem Entsorgungskomfort entspricht.

„Sein Altpapier einfach neben dem Container hinzustellen, das geht natürlich nicht“, sagt Goetze. „Im Zweifelsfall bringt man es eben später, nach der Container­leerung.“ Und nur die Wochenenden dafür zu nutzen sei auch nicht sinnvoll. Den Einwand, die Container würden nicht häufig genug geleert, lässt Götze nicht gelten. „An unserer Leerungs­frequenz hat sich in den vergangenen Jahren nichts geändert. Im Gegenteil: In der Pandemie sind zusätzlich 20 Sonderkolonnen außerhalb der Regelleerung im Einsatz.“

Stadtreinigung Hamburg: „Mach’s flach“

Durch die Dauerverstopfung vieler Papiercontainer und die wilde Ablage ringsherum sah sich die SRH im Frühjahr 2021 dazu genötigt, eine Kampagne mit dem Titel „Mach’s flach“ ins Leben zu rufen. Aktuell läuft zudem am Goldbekplatz ein Pilotprojekt mit Containern, die über extrabreite Schlitze zur Aufnahme sehr sperriger Kartons verfügen.

Wichtigster Grund für den leichten Rückgang bei den Altpapierverstößen dürfte allerdings der Umstand gewesen sein, dass es 2021 keinen „harten Lockdown“ gegeben habe, sagt Goetze. „Die Bürger und Bürgerinnen waren weniger zu Hause und haben wieder mehr in der Gastronomie konsumiert, das hat zu etwas weniger Verpackungsmaterial für bestelltes und geliefertes Essen geführt.“

Gestiegen sind hingegen in den vergangenen drei Jahren die städtischen Einnahmen durch die Sauberkeitsverstöße – und zwar um 443 Prozent. 2018 kassierten die Saubermänner- und frauen „nur“ 103.000 Euro. Regelmäßig am häufigsten müssen sie einschreiten, wenn Raucher ihre Kippen auf die Straße schnippen. 7421 solcher Fälle (2020: 9104) erfassten sie 2021. Im November wurde das Bußgeld dafür von 20 auf 40 Euro verdoppelt. Hinzu kamen 54 Fälle, in denen Bürger Müll auf die Straße warfen, zum Beispiel Kaffeebecher.

65-mal straften sie Hundehalter ab, weil sie die Haufen ihrer Vierbeiner nicht entfernt hatten. Verstöße gegen das Fütterungsverbot von Tauben wurden 50-mal geahndet, und 18-mal gab es Ärger wegen heißer Einweggrillschalen auf Grünflächen in den Parks. Mitunter führt die Intervention der Waste Watcher zu Diskussionen. Nicht umsonst sucht die SRH, wie es in einer aktuellen Stellenausschreibung heißt, Bewerber, „die auch unter Stress motiviert und freundlich bleiben“.