Hamburg. Exklusiv: Der 60 Jahre Arzt und Kulturmanager will für die Bürgerschaft kandidieren. Warum Parteichef Dennis Thering ihn vorschlägt.

Es gibt kaum einen aktiven Hamburger Christdemokraten mit mehr politischer Erfahrung als Dietrich Wersich: Der 60 Jahre alte Arzt war Bezirks- und Bürgerschaftsabgeordneter, Staatsrat, Senator und kurzzeitig Zweiter Bürgermeister, Oppositionschef, Bürgermeisterkandidat und Erster Vizepräsident der Bürgerschaft. Wegen des 11,2-Prozent-Debakels der CDU bei der Wahl 2020 verpasste Wersich den Wiedereinzug in die Bürgerschaft. Danach zog sich der Vorsitzende der CDU Eppendorf aus den vorderen Reihen der Politik zurück. Jetzt steht der Kaufmännische Geschäftsführer der Hamburger Kammerspiele vor einem politischen Comeback. Wersich will erneut für die Bürgerschaft kandidieren – auf einem der vorderen Plätze der Landesliste.

„Der CDU-Landesvorsitzende Dennis Thering hat mich gefragt, ob ich sein Team als Person verstärke, die weiß, wie Regieren geht und die einen Ruf in der Stadt hat“, sagt Wersich im exklusiven Gespräch mit dem Abendblatt. „Ich glaube fest daran, dass Hamburg frischen Wind gebrauchen kann, mit der CDU in der Regierung. Dafür braucht man junge, hungrige neue Leute, aber man braucht auch erfahrene Leute, die die Brücke von der Oppositions- zur Regierungspartei bauen können. Am besten ist es natürlich, wenn diejenigen den Schritt auch schon einmal erlebt und gemacht haben“, sagt Wersich. Bei der Bürgerschaftswahl am 2. März 2025 wird die CDU 14 Jahre in der Opposition sitzen. Regierungserfahrung ist kein prägendes Kennzeichen der Partei mehr: Kein CDU-Senatsmitglied aus der Zeit des Ersten Bürgermeisters Ole von Beust (2001–2010) ist mehr politisch aktiv – außer Wersich.

Dietrich Wersich will nur auf der CDU-Landesliste kandidieren, nicht im Wahlkreis

„Die Botschaft der CDU an die Wählerinnen und Wähler muss für mich sein: Wir wollen und wir können Regierungsbeteiligung“, sagt Wersich. „Wollen ist ja immer unbestritten, aber ich möchte mit meiner Kandidatur unterstreichen, dass wir es auch können.“ Dem designierten Spitzenkandidaten Thering sei ein „gemischtes Team“, das auch Regierungserfahrung einschließt, wichtig. Dass das bedeute, dass er zurück auf die Senatsbank wolle, weist Wersich mit einem Lachen zurück. „Das steht gar nicht zur Debatte. Ich sehe mich mit meiner Erfahrung vor allem als jemand, der aus einer Oppositionskraft wieder eine Regierungskraft machen kann. Das geht vermutlich mit der Formulierung von Programmen und Koalitionsverhandlungen los“, sagt der frühere Sozial- und kurzzeitige Schulsenator.

Es wird eine Kandidatur ohne Netz und doppelten Boden sein. Wersich verzichtet auf eine Bewerbung im Wahlkreis, er will ausschließlich auf der Landesliste antreten. „Ich habe nie im Wahlkreis kandidiert. Ich habe mich immer hamburgweit gesehen und will auch hamburgweit wählbar sein. Absicherung über eine Wahlkreiskandidatur ist nicht meine Kategorie“, sagt der Christdemokrat selbstbewusst. Am 20. August wird der CDU-Landesvorstand einen Vorschlag für die Landesliste zur Bürgerschaftswahl beschließen. Es wird damit gerechnet, dass Wersich unter den ersten zehn Kandidierenden sein wird. Vor fünf Jahren war er auf Platz sechs angetreten. Das letzte Wort hat die Landesvertreterversammlung, die am 7. September über die Liste abstimmt.

Der Arzt und Kulturmanager musste bittere innerparteiliche Niederlagen einstecken

Der kulturell engagierte Arzt ist in seiner Partei zwar angesehen, aber dennoch musste er mehrfach bittere Niederlagen einstecken. Nachdem er als Spitzenkandidat 2015 mit 15,9 Prozent das bis dahin schlechteste Ergebnis der CDU bei einer Bürgerschaftswahl eingefahren hatte, musste er den Fraktionsvorsitz abgeben. Im Mai 2015 verlor Wersich als Amtsinhaber und Vertreter des liberalen Flügels gegen den heutigen Bundestagsabgeordneten Christoph Ploß die Kampfkandidatur um den Vorsitz des einflussreichen CDU-Kreisverbandes Hamburg-Nord. Und im November 2016 war es Ploß, der Wersichs Versuch, auf die Bundesebene zu wechseln, vereitelte. Der konservativ ausgerichtete, damals 30 Jahre alte Newcomer setzte sich bei der Bundestags-Kandidatur für den Wahlkreis Hamburg-Nord/Alstertal durch.

Empfindsamere Gemüter hätten der Partei vielleicht aus Enttäuschung den Rücken gekehrt. „Letztlich gilt da nur radikale Akzeptanz. Die Mitglieder haben entschieden. Ich habe das gut überstanden. Verletzungen sind da gar nicht geblieben“, sagt Wersich, der nach wie vor auch viel Unterstützung in der CDU für sich verspürt. Ein anderer Exponent des liberalen Flügels der Partei hat die entgegengesetzte Konsequenz gezogen: Marcus Weinberg, Ex-Bundestagsabgeordneter und Spitzenkandidat bei der Bürgerschaftswahl 2020, hat die Partei nach 38 Jahren verlassen.

Wersich: „Parteien in der Opposition neigen zu einer gewissen Radikalisierung und Popularisierung“

„Ich respektiere seine Entscheidung und bin ihm dankbar, was er für die CDU in Jahrzehnten getan hat. Im Moment finde ich allerdings, es hätten eher Mitglieder von SPD, Grünen und FDP Grund, mit ihrer Partei zu hadern und auszutreten. Ich komme zu einem komplett anderen Schluss als Marcus Weinberg“, so Wersich. Weinberg wirft der CDU und auch Parteichef Dennis Thering unter anderem vor, auf „Populismus und Polarisierung“ zu setzen.

Aus Wersichs Sicht ist das zugespitzte politische Agieren notwendige Folge der Oppositionsrolle. „Jede Partei neigt in der Opposition dazu, die Dinge etwas leicht zu nehmen, vielleicht sogar leichtfertig. Sie neigt auch zu einer gewissen Radikalisierung und Popularisierung, weil sie nur das Wort hat, um durchzudringen, und nicht die Taten in Form von Regierungshandeln“, sagt der frühere Sozialsenator.

Dennis Thering: „Dietrich Wersich hat die soziale Handschrift der CDU in der Stadt durchgesetzt“

Eine konservative Wende und ein dauerhaftes Zurückdrängen der eher liberalen Kräfte in der Hamburger CDU sieht Wersich anders als Weinberg nicht. „Wenn die einen oder die anderen mal in der Führung etwas mehr zu sagen haben, ändert sich nicht gleich die ganze Partei. Uns ist es sehr ernst mit dem Gedanken der Volkspartei, die eine Vielfalt mehrerer Strömungen bedeutet und daraus eine gemeinsame Politik formuliert“, sagt Wersich. Letztlich sei das ein Abbild der Entwicklung der Gesellschaft. Es sei eben so: Eine Zeitlang hätten auch „die Ikonen des liberalen Flügels wie Ole von Beust oder heute noch Daniel Günther in Schleswig-Holstein die Fackel getragen“. Und er traut Thering als Spitzenkandidat zu, die innerparteiliche Balance zwischen den Flügeln zu wahren.

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„Ich freue mich sehr, mit Dietrich Wersich eine regierungserfahrene und kompetente Persönlichkeit in meinem Team für die Bürgerschaftswahl 2025 zu haben“, sagt Thering. Wersich habe „die erfolgreiche Senatspolitik unter Ole von Beust über viele Jahre an entscheidender Stelle mitgeprägt“ und sei über die Parteigrenzen hinweg anerkannt. „Ich schätze ihn als Ratgeber sehr. Als Sozialsenator hat Dietrich Wersich die soziale Handschrift der CDU in der Stadt durchgesetzt und das Leben für viele Menschen in Hamburg besser gemacht“, sagt Thering.