Hamburg. Die Situation in der Einrichtung läuft immer weiter aus dem Ruder. Personal fehlt, Polizei ist Dauergast. Das schlägt die Opposition vor.
Die Lage im Kinder- und Jugendnotdienst (KJND) in der Hamburger Feuerbergstraße spitzt sich immer weiter zu. Darauf jedenfalls deuten neue Zahlen hin, die der Senat jetzt in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion vorgelegt hat. Zuletzt hatte der KJND immer wieder für negative Schlagzeilen gesorgt. So soll ein elfjähriger unbegleiteter Flüchtlingsjunge von hier aus immer wieder losgezogen sein, um Einbrüche zu begehen, um die 70 Taten werden ihm mittlerweile zugeordnet. Kürzlich randalierten drei Mädchen aus dem KJND in der Notaufnahme des Altonaer Kinderkrankenhauses. Die jetzt vom Senat präsentierten Zahlen zeigen, wie dramatisch die Lage an der Feuerbergstraße mittlerweile ist.
Demnach hat es in der Unterbringung, in der es 102 offizielle Plätze gibt, in der aber zumeist deutlich mehr Kinder und Jugendliche untergebracht sind, seit Jahresbeginn mehr als 300 schwere Vorkommnisse gegeben. 79-mal registrierten die Betreuer Fälle von Körperverletzung, 35-mal Sachbeschädigung, außerdem zählten sie 34 Bedrohungen und zwölf Beleidigungen und sechs Einbrüche. 29 Fälle von Drogenmissbrauch und elf von Alkoholmissbrauch wurden protokolliert, 13 Diebstähle und sieben Überfälle, 26 Übergriffe auf Betreuer, und 16mal liefen Kinder oder Jugendliche aus der Einrichtung weg.
Feuerbergstraße: Acht Fälle von Selbstverletzung, fünf Suizidversuche seit Jahresbeginn
Dass es den Untergebrachten selbst oft nicht gut geht, zeigen die acht registrierten Fälle von Selbstverletzung. Schockierend: Seit Jahresbeginn gab es in der Einrichtung zudem bereits fünf Suizidversuche. Bei mindestens 240 der Vorkommnisse mussten die Betreuer die Polizei rufen. Aus Datenschutzgründen gibt der Senat nicht alle Vorkommnisse und auch nicht alle Zahlen zur Unterbringung an. Klar scheint aber, dass die Einrichtung weiterhin überbelegt ist. Zudem sind hier, anders als vorgesehen, mittlerweile auch Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren untergebracht.
Auch für viele Mitarbeiter scheint die Situation an der Feuerbergstraße mittlerweile extrem belastend zu sein. Vier von ihnen sind dauerkrank, zudem gibt es bis zu drei Überlastungsanzeigen, die genaue Zahl nennt der Senat aus Datenschutzgründen nicht. Neun Stellen für den KJND sind derzeit laut Senat ausgeschrieben, aber es gibt bisher keine einzige Bewerbung. Fast 13 Vollzeitstellen sind unbesetzt.
Linke: „Die Lage in der Feuerbergstraße ist dramatisch“
Die Antwort des Senats zeige eine dramatische Lage, heißt es aus der Linksfraktion. „Die Anzahl der gewaltvollen und grenzüberschreitenden Vorkommnisse bemisst sich seit Anfang dieses Jahres auf rund 350, davon waren mehr als zwei Drittel mit Polizeieinsatz. Neben den vielen Körperverletzungen gab es in diesem Jahr bereits fünf Suizidversuche“, so die Linke. „Die Einrichtung in der Feuerbergstraße ist überbelegt, manche Kinder bleiben länger als ein Jahr im KJND, und derzeit sind dort sogar einige Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren untergebracht. Hinzu kommt die desolate Personallage.“
Das „Schweigen des Senats“ mache sie „fassungslos“, sagte die familienpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sabine Boeddinghaus. „Die Lage ist katastrophal – und sie wird das auch bleiben, wenn nicht endlich etwas passiert! Statt dieser Masseneinrichtung brauchen wir eine dezentrale und eine dezentrale Jugendhilfe, direkt im Sozialraum der Kinder“, so Boeddinghaus. „Es gibt genug fundierte Konzepte aus der Fachwelt zu der Frage, wie das gelingen kann. Warum hört der Senat den Expertinnen und Experten denn nicht zu? Bei diesen alarmierenden Zahlen frage ich mich, was im KJND noch alles passieren muss, damit sich etwas verändert.“
KJND gibt es bereits seit mehr als 40 Jahren. Mittlerweile bringt er viele Flüchtlingskinder unter
Den KJND gibt es seit mittlerweile mehr als 40 Jahren. In den Einrichtungen des KJND an der Feuerbergstraße werden Kinder und Jugendliche in Notfällen vorübergehend aufgenommen, die zum Beispiel aufgrund von persönlichen Problemen, Überforderung der Eltern, Kriminalität oder Misshandlungen nicht in ihren Familien bleiben können. Seit Langem aber ist der KJND auch durch die Aufnahme vieler minderjähriger Flüchtlinge so belastet, dass immer wieder vor einem „Kollaps“ der Einrichtung gewarnt wird und Experten eine Neustrukturierung des Dienstes fordern. Zuletzt waren die Einrichtungen des KJND immer wieder so überlaufen, dass auch eine Turn- und Mehrzweckhalle zur Unterbringung genutzt werden musste.
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Ein Problem für die Einrichtung sind sogenannte Systemsprenger, also Kinder, die aus stark belasteten Familien kommen und bereits schlimme Erfahrungen gemacht haben, die keine Grenzen akzeptieren und sich nicht an Regeln halten. „Diese Kinder kommen in den KJND, werden dann in andere Einrichtungen der Träger der freien Jugendhilfe weitergeleitet und kommen doch vielfach wieder zurück“, hatte Petra Lotzkat, Staatsrätin in der Sozialbehörde, dem Abendblatt kürzlich gesagt. Der Grund: Diese Kinder passten häufig nicht in die bestehenden Gruppen oder Konzepte; die Einrichtungen kämen nicht mit ihnen zurecht und schickten sie zurück.
Kinder und Jugendliche mit Problemen: Es fehlen Immobilien und Personal für neue Einrichtungen
Die Zahl an Einrichtungen für diese belasteten Kinder und Jugendlichen in Hamburg reiche einfach nicht, heißt es. Geld, um selbst Einrichtungen zu schaffen, habe die Stadt Hamburg zwar, „aber es fehlen geeignete Immobilien und Personal“, so die Sozialstaatsrätin. Ebenso geht es den freien Jugendhilfe-Trägern. Sie finden oftmals nicht die Räumlichkeiten und die Fachkräfte, um ihr Angebot ausweiten zu können.