Hamburg. Bad Bramstedter unterstützte „abstruse“ Vorhaben: Sturz der Bundesregierung, Entführung von Lauterbach bei Talkshow, Brief an Putin.

Ein alter, geschwächter Mann betritt am Freitagvormittag den Gerichtssaal. Gemeinsam mit weiteren Verschwörern aus der Reichsbürger-Szene hat er einen Umsturz der Bundesregierung zu einem „Reich“ nach Vorbild der Verfassung von 1871 geplant. Das Hanseatische Oberlandesgericht verurteilt den 67-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Die Richterin bezeichnet Teile des Planes als „dermaßen abstrus, dass man nur den Kopf schütteln kann“.

Der Angeklagte wird für die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, in Tateinheit mit Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und den unerlaubten Besitz einer Waffe und Munition in Hamburg verurteilt. Er wurde im November 2023 im schleswig-holsteinischen Bad Bramstedt festgenommen und saß seitdem in Untersuchungshaft. Der Mann soll die sogenannte „Kaiserreichsgruppe“ unterstützt und Mitglieder für den Umsturz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung angeworben haben. 277 sogenannte Abgeordnete, „Mannsbilder mit Russlandnachweis“ wurden gesucht.

Prozess Hamburg: Zwei Jahre auf Bewährung für Reichsbürger

Bereits am ersten Verhandlungstag hatte der Angeklagte die Vorwürfe eingeräumt und eine Erklärung dazu abgegeben. Nach seinen Worten habe man „100 Tonnen Waffen“ beschaffen wollen. Bei ihm selbst wurden ein Revolver und mehr als 100 Schuss Munition gefunden. Der Angeklagte soll die Waffe bis zum Herbst 2023 ohne waffenrechtliche Erlaubnis besessen haben.

Der Beschuldigte hat sich auf Telegram in einschlägigen Chatgruppen herumgetrieben und Kontakt zu den in Koblenz angeklagten Reichsbürgern („Vereinte Patrioten“) gefunden. Mit weiteren Verschwörern hat er geplant, mit einem Schiff in russische Hoheitsgewässer einzudringen und so Kontakt zu Präsident Wladimir Putin aufzunehmen. Die Gruppe hatte bereits einen Brief an Putin geschrieben und in Stockholm an den russischen Botschafter übergeben. Man erhoffte sich von Russland die Anerkennung durch einen ausländischen Staat.

Entführung von Karl Lauterbach vor laufenden Kameras geplant

Zu den weiteren Plänen der Gruppe gehörte laut der Richterin, Sprengstoffanschläge auf die Energieversorgung zu verüben, um die Sicherheitsbehörden zu schwächen und einen Blackout zu verursachen. Weiterhin sollte die Bevölkerung von Rundfunk und Presse abgeschnitten werden. Dadurch sollte ein „Umdenken von unten“ erzielt werden. „Tatsächlich hätte das wohl eher ein Chaos und Plünderungen zur Folge gehabt“, sagt die Richterin.

Auch eine Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) während einer Talkshow war geplant. Dabei wären Morde an seinen Leibwächtern in Kauf genommen worden. Laut dem Angeklagten hätte es sich nicht um eine geplante Entführung, sondern um eine „Verhaftung“ gehandelt. Dafür habe es sogar bereits einen Haftbefehl gegeben. In einem Gefängnis hätte Lauterbach danach auf eine Gerichtsverhandlung warten müssen.

Laut Richterin „halbherziger“ Versuch, die Umsturzpläne dem Verfassungsschutz zu melden

Der Angeklagte begründete zu Beginn des Prozesses seine Motivation damit, nach den Corona-Maßnahmen aufgrund fehlender sozialer Kontakte viel Zeit gehabt zu haben und frustriert gewesen zu sein. Aus diesem Grund habe er über Telegram Kontakt zu Gleichgesinnten gesucht. Sein Ziel sei die Wiederherstellung von Preußen gewesen.

Der Angeklagte hat sich selbst an den Hamburger Verfassungsschutz gewandt, als er bei einem persönlichen Treffen von den radikaleren Plänen der Gruppe erfuhr. Auf seine Forderung, mit einem höherrangigen Beamten zu sprechen, sei jedoch nicht reagiert worden. Die Richterin spricht von einem „halbherzigen“ Vorgehen. „Sie hätten jederzeit auch eine Polizeidienststelle aufsuchen können“, sagt sie zum Angeklagten.

Nach acht Monaten Untersuchungshaft kehrt der 67-Jährige zu seiner Familie zurück

Die Aussagen des Angeklagten seien insgesamt glaubhaft gewesen. Die Richterin äußerte jedoch Zweifel daran, dass sich der Mann tatsächlich von der Gruppe distanziert hat. So sei er auch nach der Verhaftung von Mitverschwörern weiterhin in Chatgruppen aktiv gewesen. Im Juli 2023, kurz vor einer Reise, sagte er, er bedauere es, seine Kumpanen in diesem „Scheißsystem“ zurückzulassen. Auch dass er sich gegen den Plan eines herbeigeführten Blackouts ausgesprochen hat, könne nicht nachvollzogen werden.

Zugutegehalten wurde dem Angeklagten, dass er frühzeitig ein umfassendes Geständnis abgelegt hat, so die Richterin. Er habe sich bereits acht Monate in Untersuchungshaft befunden und zugestimmt, an einem Aussteigerprogramm mitzuwirken. Dies wurde strafmildernd berücksichtigt.

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Die Hamburger Staatsanwaltschaft hatte am Montag eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten beantragt. Die Verteidigung plädierte auf eine Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt. Laut der Richterin könne der 67-Jährige zu seiner Familie zurückkehren, die nichts mit der Ideologie der Reichsbürger zu tun habe. Er könne froh sein, dass er Frau und Kinder habe, die weiter zu ihm hielten.