Hamburg. Senat beschließt neues Konzept für mehr Wohnraum, Einzelhandel und Grün. Auch Tempolimits könnten kommen. Um diese Straßen geht es.

Hamburg wächst und braucht immer mehr Fläche für Wohnungsbau, für den Verkehr, aber auch für städtisches Grün. Nachdem weite Teile der bisher verfügbaren Räume bereits für neuen Wohnungsbau genutzt wurden, will die Stadt nun einen ganz besonderen Bereich für die künftige Entwicklung in den Blick nehmen: die Flächen rund um die zwölf Magistralen, die größten Ausfallstraßen, die (bis auf den Ring 2) sternförmig aus dem Zentrum in alle Himmelsrichtungen führen.

Dort sollen künftig zusätzliche Wohnungen und Gewerbe entstehen. Am Dienstag dieser Woche will der Senat eine Drucksache und den „Masterplan Magistralen 2040+ – Die Lebensadern der Stadt gestalten“ beschließen, die dem Abendblatt bereits vorliegen und die die Pläne für die Magistralen zumindest grob beschreiben. Bereits im Jahr 2019 hatte die Stadt das Thema in einem Bauforum, einer Art offenen Experimentierwerkstatt, auf die Agenda gesetzt. Dort wurden bereits zahlreiche Ideen gesammelt, die über die Jahre weiterentwickelt und nun von mehreren Planungsbüros in einen umfassenden Plan gegossen wurden.

Wohnen in Hamburg: „Neue Flächen an den Magistralen gewinnen“

„Ein Schwerpunkt der Stadtentwicklung des Senats in den kommenden Jahrzehnten sind Hamburgs Magistralen“, schreibt Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) in seinem Vorwort zum Masterplan. „Zwölf Hauptverkehrsachsen verbinden die innere Stadt mit den äußeren Quartieren und der angrenzenden Metropolregion. Sie bieten eine gute Verkehrsinfrastruktur, Wohnraum, Gewerbeflächen und vielfältig nutzbare öffentliche Räume, die neu strukturiert und für die weitere Modernisierung Hamburgs genutzt werden sollen.“

Die Magistralen sollten „in Zukunft über ihre verkehrliche Bedeutung hinaus zu attraktiven urbanen Räumen weiterentwickelt werden“, so Tschentscher. „Der Masterplan zeigt ihre Potenziale, beschreibt Zukunftsbilder und benennt konkrete Maßnahmen, um diese zu erreichen. Er verfolgt damit die Strategie, Hamburgs historisch gewachsene Struktur zu erhalten, die Infrastruktur aber effizienter zu nutzen und neue Flächen für Wohnen, Gewerbe und das öffentliche Leben zu gewinnen.“

Verkehr Hamburg: Das sind die zwöf Magistralen, um die es geht

Da der Senat das Ganze offenbar als wegweisend für Hamburgs Zukunft sieht, fliegt er es entsprechend hoch ein. Mit dem Masterplan werde ein „Paradigmenwechsel eingeleitet, um die Magistralenräume neu zu interpretieren: als Lebensadern, neue Orte des Wohnens und Arbeitens in bestehenden Quartieren, als Reallabore für neue Formen der städtischen Produktion, Schwerpunkträume für Klimaanpassung und Klimaschutz sowie nicht zuletzt als Orte einer gelebten Mobilitätswende“, heißt es in dem rund 200 Seiten starken Papier. Neben der Stadt „als steuernder Instanz“ sei dabei „auch das Mitwirken von Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft gefragt“.

Die zwölf Magistralen, um die es geht, sind folgende:

  • M1: Budapester Straße – Wedeler Landstraße (B431)
  • M2: Bahrenfelder Chaussee – Luruper Hauptstraße
  • M3: Kieler Straße (B 4) – Holsteiner Chaussee
  • M4: Edmund-Siemers-Allee – Schleswiger Damm
  • M5: Alsterkrugchaussee – Langenhorner Chaussee
  • M6: An der Alster – Bergstedter Chaussee
  • M7: Steindamm – Meiendorfer Straße
  • M8: Amsinckstraße – Holtenklinker Straße (B5)
  • M9: WilstorferStraße – Hittfelder Straße (B4)
  • M10: Hannoversche Straße – Cuxhavener Straße (B73)
  • M11: Ring 2
  • M12: Amsinckstraße – Hannoversche Straße

Diese großen Straßen seien „Räume von gesamtstädtischer Bedeutung, denn sie sammeln und verteilen vor allem den motorisierten Verkehr, entlasten damit die Quartiere und sind für die Versorgung der Stadt essenziell“, heißt es in dem Masterplan. „Gleichzeitig wohnen hier bereits knapp 550.000 Hamburgerinnen und Hamburger, und sie sind Arbeitsort für viele weitere Menschen. Hier konzentrieren sich Einzelhandel und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Lebens. Somit spielen die Magistralen im Alltag vieler Bürgerinnen und Bürger eine wesentliche Rolle.“

Hamburg: Durch vordere Bebauung sollen hintere Quartiere vor Lärm geschützt werden

An vielen Stellen seien die zwölf großen Hauptstraßen, deren Gesamtstrecke sich auf 160 Kilometer summiert, bisher „unterdimensioniert und lückenhaft bebaut“, so der Masterplan. Daher böten sie „ein hohes Potenzial für eine behutsame Nachverdichtung der bestehenden Stadtstrukturen, auch in zweiter und dritter Bebauungsreihe“.

Eine Zahl, wie viele Wohnungen hier entstehen könnten, nennt der Plan nicht. Dies wäre unseriös, hieß es von den Machern. Klar ist aber, dass an den Magistralen „die Schaffung geförderter und preisgedämpfter Wohnungen sowie der Wohnungsbau für vordringlich wohnungssuchende Haushalte konsequent verfolgt werden“ sollen.  

Natürlich sind die Hauptstraßen bisher besonders stark von Verkehr und damit auch von Lärm und Abgasen belastet, was die Planer durchaus vor Probleme stellt. Durch den Lärm ergäben sich „städtebauliche Einschränkungen“, heißt es dazu im Masterplan. „Für eine städtebauliche Qualifizierung und gesündere Wohnverhältnisse sind die Belastungen abschnittsbezogen mit aktiven und passiven Schutzmaßnahmen zu reduzieren.“

Auch ein Tempolimit könnte die Lärmbelastung mindern

So soll etwa eine „straßenbegleitende Bebauung mit parallel ausgerichteten Baukörpern“ als „Lärm- und Emissionsschutz für die dahinter liegenden Quartiere“ dienen. „Insbesondere eine qualitäts- und maßvolle Nachverdichtung der Wohnbebauung durch eine Erhöhung der Geschosse entlang der Magistrale wirkt sich lärmmindernd für die rückwärtigen Bereiche aus“, so die Planer. Denn der Masterplan bezieht sich eben nicht nur auf die Bebauung direkt an den großen Straßen, sondern auch auf bis zu zwei weitere Bebauungsreihen dahinter. Insgesamt umfasst er laut Senat eine Fläche von rund 80 Quadratkilometern.

Dabei setzt man im Rathaus darauf, dass Lärm und Abgase künftig zum einen durch die technische Entwicklung gemindert werden. „Der steigende Anteil von batterieelektrischen Antrieben bei Pkw und der verstärkte Einsatz von alternativen Antrieben bei Nutzfahrzeugen tragen teilweise dazu bei, die Lärm- und Luftschadstoffbelastung im Magistralennetz zu reduzieren“, heißt es im Masterplan. Zum anderen baut die Stadt wohl auch zumindest teilweise auf ein strengeres Tempolimit, jedenfalls auf einigen Strecken auf den Magistralen. Denn im mit zahlreichen Bildern und Grafiken versehenen Masterplan heißt es: „Einen größeren Effekt, insbesondere in Hinsicht auf die Verminderung der Lärmwerte, hätte eine Geschwindigkeitsreduzierung.“

Automatisierung des Verkehrs kann neuen Platz für Rad- und Fußwege schaffen

Die Planer gehen zudem von gravierenden Veränderungen beim Verkehr aus. Zum einen verfolgt der Senat bekanntlich das Ziel, das bis 2030 mindestens 80 Prozent des Verkehrs mit Bussen und Bahnen, dem Fahrrad oder zu Fuß abgewickelt werden, der Anteil des Autoverkehrs also zurückgeht. Zum anderen weisen die Planer auf die „erwartbar zunehmende Fahrzeugautomatisierung“ hin.

Langfristig sei es etwa „denkbar, dass automatisierte Shuttles Menschen von A nach B befördern und die Nutzung privater Pkw verringern“. Der Bedarf an Parkplätzen sinke, dafür steige der Bedarf an Halteplätzen zum sicheren Ein- und Aussteigen. „Automatisierte Fahrzeuge können in kürzeren Abständen fahren – im bestehenden Straßennetz kann also mehr Verkehr abgewickelt werden. Wird diese zusätzliche Kapazität nicht benötigt, können Fahrspuren umgewidmet werden.“ So entstünde auch mehr Platz für Radwege..

Verkehr Hamburg: Auch Klimaveränderungen sollen bei der Planung stets mitgedacht werden

Zugleich müsse die Stadt bei der Umgestaltung der Magistralenräume auch die bereits beginnenden Klimaveränderungen im Blick haben, etwa Zeiten starker Hitze. „Um die Hitzebelastung an den betreffenden Tagen zu verringern, gilt es, in Zukunft vor allem, die Straßenräume tagsüber durch Beschattung kühl zu halten“, heißt es in dem Plan. „Bauliche Elemente wie Sonnensegel oder Markisen sowie der in den Straßenraum fallende Gebäudeschatten sind geeignete Maßnahmen. Am wirksamsten sind Straßenbäume aufgrund zusätzlicher Kühlungseffekte durch Verdunstung. Auch Fassadenbegrünungen und weitere Pflanzflächen mit geeigneter Pflanzenauswahl tragen so zur Kühlung und auch Biodiversität bei.“ Außerdem brauche es zur Aufnahme des zunehmenden Starkregens genug entsiegelte Flächen.

Insgesamt geht es den Planern also darum, die bisher vor allem als laute Verkehrsadern wahrgenommenen Straßen zu einer Kette von lebenswerten Quartieren umzugestalten. Dazu haben sie an den zwölf Magistralen zunächst neun bereits bestehende „Raumtypen“ identifiziert. Und sie haben für jede der zwölf Magistralen eine Art „Geschichte“ , bzw. ein Motto herausgearbeitet. So ist für sie die Magistrale 2 (M2) zwischen Bahrenfelder Chaussee und Luruper Hauptstraße ein „Grüner Wissensboulevard – zwischen neuen und gewachsenen Stadtquartieren“. Der M4 (Edmund-Siemers-Allee – Schleswiger Damm) nennen sie „Die Grindel-Grün-Achse – Mobilität in neue Bahnen lenken“. Und die M9 (Hannoversche Straße – Hittfelder Straße (B4)) bekommt den Titel „Landschaftlicher Stadteingang – vom Süden in die Stadt“.

Das sind die „Modellräume“, in denen die Planung als Erstes startet

Dabei haben die Planer auch bereits für jede der Magistralen „Schwerpunkträume“ und „Räume mit städtebaulichem Entwicklungspotenzial“ identifiziert und in Karten eingezeichnet. Zudem wurden zehn „Modellräume“ festgelegt, in denen der Masterplan als Erstes umgesetzt werden soll:

  • Luruper Hauptstraße/Zentrum (M2)
  • Eimsbütteler Marktplatz (M3)
  • Schnelsen (M3)
  • Grindelallee (M4)
  • Deelböge (M5)
  • Gewerbegebiet am Flughafen (M5)
  • Zentrum Wandsbek (M7)
  • Eiffestraße (M8)
  • Zentrum Bergedorf (M8)
  • Trelder Weg (M9).

Dabei wird sehr deutlich, dass es nicht um ein kurzfristiges Vorhaben geht. „Die städtebauliche Reparatur dieser gewachsenen Stadträume ist eine ‚Generationenaufgabe‘, die der Senat mit dem Masterplan ,Magistralen‘ nun angeht“, heißt es in dem Papier. „Die Aufstellung von Bebauungsplänen liegt bei den Bezirken. Für die Bezirksämter ist der Masterplan ,Magistralen‘ als strategischer Rahmen für die verschiedenen Projekte und Maßnahmen zugrunde zu legen und gemäß den lokalen Möglichkeiten und Notwendigkeiten räumlich und inhaltlich zu konkretisieren.“

Grindel, Spaldingstraße, Stein-Hardenberg-Straße: Diese drei Beispiele hebt der Masterplan heraus

Als ein Beispiel für denkbare Umgestaltungen hebt der Plan in einer Kurzfassung etwa die Grindelallee hervor. Dort müsse „aufgrund des Baus der U5 in den Bereichen der zukünftigen Haltestellen die Straßendecke aufgebrochen werden“, so die Planer. „In diesem Zuge kann der Straßenraum neu aufgeteilt werden, denn durch die neue U-Bahn-Verbindung kann ein Teil des Verkehrs auf die Schiene verlagert werden.“ Der Verkehrsraum könne hier „mit mehr Grün und breiteren Radwegen umgestaltet werden“, heißt es im Masterplan. „Breite Gehwege und sichere Querungsmöglichkeiten sowie Schatten spendende Bäume können die Grindelallee zu einem Ort zum Verweilen, Durchfahren, Arbeiten, Einkaufen und Lernen machen.“

So sieht der Masterplan die künftige Grindelallee
So sieht der Masterplan die künftige Grindelallee © Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen | Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen

Ein weiteres näher ausgeführtes Beispiel ist die Spaldingstraße in der Nähe des Bahnknotens Berliner Tor. Dort erkenne man „wie auf kleiner Fläche viel Wohn- und Arbeitsraum entstehen kann“. Weil die Flächen bereits versiegelt sind, geschieht dies flächenschonend. „Durch die neue bauliche Fassung haben die Stadträume eine ganz andere Wirkung, die der Metropole Hamburg gerecht wird. Gleichzeitig kann durch die Neuordnung des Straßenraums mehr Platz für Straßenbäume, Beete, Rad- und Gehwege sowie Ladezonen geschaffen werden.“

Für die Stein-Hardenberg-Straße in Tonndorf zeigt eine Visualisierung, „wie Gewerbe um kompakte und energieeffiziente Gebäude ergänzt wird und gleichzeitig grüne Bezüge über die Magistrale hinweg geschaffen werden können“.

So blickt der Masterplan „Magistralen 2040“ auf die künftige Stein-Hardenberg-Straße.
So blickt der Masterplan „Magistralen 2040“ auf die künftige Stein-Hardenberg-Straße. © Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen | Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen

Wichtig ist dem Senat, alle Beteiligten in die Planungen einzubeziehen. „Komplexe städtebauliche Aufgaben erfordern eine Vielzahl von Akteurinnen und Akteuren: Fachbehörden, Bezirksämter, Politik, Stadtgesellschaft und Privatwirtschaft“, heißt es in dem Masterplan.

„Auch eine zunehmende Vielfalt von Stakeholderinnen, Stakeholdern und Initiativen engagiert sich und nimmt Einfluss auf stadtplanerische Entscheidungen, städtebauliche und soziale Gestaltungsprozesse: Gewerbetreibende, Unternehmerinnen und Unternehmer, Kreative und Kulturschaffende, aber auch soziale Einrichtungen, Privateigentümerinnen und -eigentümer sowie zivilgesellschaftliche Initiativen mit verschiedensten Interessen.“ Ihr Zusammenspiel bestimme „maßgeblich den Projekterfolg und hat je nach Aufgabe unterschiedliche Schwerpunkte“.

Hamburg: Bald sollen die Pläne der Öffentlichkeit vorgestellt werden

Federführend bei dem Thema ist die Stadtentwicklungsbehörde von Senatorin Karen Pein (SPD), die bereits eine Lenkungsgruppe eingesetzt hat. Darin sind die Bezirksämter vertreten, die Senatskanzlei, die Behörden für Verkehr, Umwelt, Wirtschaft und Inneres sowie der Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG). Die Gruppe soll die gemeinsame Arbeit an dem Thema koordinieren, Konflikte lösen und die Umsetzung überwachen.

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Zur öffentlichen Vorstellung des Masterplans plant die Stadtentwicklungsbehörde laut Drucksache „im zweiten Halbjahr 2024 eine Veranstaltung im Format der Stadtwerkstatt durchzuführen und den Internetauftritt weiterzuentwickeln“. Eine „weiterführende Öffentlichkeitsbeteiligung“ befinde sich noch „in der Konzeptionsphase“. Der Masterplan Magistralen solle, so steht es in der Senatsdrucksache, „mittelfristig, in ca. 5 bis 10 Jahren, evaluiert und ggf. fortgeschrieben werden“.