Hamburg. In Billstedt wurden Silvester 2022 insgesamt 182.000 Euro erbeutet. Mutmaßlicher Räuber war erst 18. Wie ein Opfer die Tat erlebte.
Es war eine Sache von wenigen Augenblicken. Ein blitzschneller, offenbar gezielter Überfall, ein Angriff – und schon waren die Täter mit ihrer Beute aus einem Geldtransporter auf der Flucht. Etwa 182.000 Euro haben die Verbrecher bei ihrem Raubüberfall in Hamburg Silvester 2022 geraubt. Und bis heute ist das Geld nicht wieder aufgetaucht.
Wer war für das Verbrechen verantwortlich? In einem Prozess vor dem Landgericht müssen sich seit Mittwoch zwei Männer verantworten, die laut Staatsanwaltschaft den Überfall verübt haben. Die Anklage wirft dem 24-Jährigen und seinem 20 Jahre alten mutmaßlichen Komplizen gemeinschaftlichen schweren Raub sowie gefährliche Körperverletzung vor. Wer als weiterer Verdächtiger für die Tat, an der drei Männer beteiligt gewesen sein sollen, infrage kommt, ist noch nicht ermittelt. Für Hinweise auf den dritten Täter ist nach wie vor eine Belohnung von 5000 Euro ausgesetzt.
Prozess Hamburg: „Das ist ein Überfall! Geld her!“, forderten die Täter
Laut Anklage war es früher Morgen, als die Täter zuschlugen. Der Geldtransport war demnach unterwegs, um Geld zu der Bank zu liefern beziehungsweise abzuholen. Und so soll der Überfall sich abgespielt haben: Als zwei Mitarbeiter aus dem Fahrzeug stiegen, die Kassetten mit den Scheinen entluden und zum Geldinstitut liefern wollten, liefen die maskierten Täter auf sie zu. „Das ist ein Überfall! Geld her!“ forderten die Räuber die Angestellten der Transportfirma auf. Einen Mitarbeiter bedrohten sie mit einer Schusswaffe und nahmen ihm dessen geladene Dienstwaffe ab. Außerdem sprühten sie den Opfern Reizgas ins Gesicht. Schließlich flohen sie mit vier Geldkassetten. Eine fünfte ließen sie zurück.
Wolfgang P. (Name geändert) hat noch genau in Erinnerung, wie ein vermummter Mann auf ihn zulief. Dunkle Kleidung, über dem Kopf eine Sturmhaube, die nur die Augen des Täters freiließ: So seien die Räuber auf die Mitarbeiter eines Geldtransport-Unternehmens zugerannt, erzählt der 60-Jährige in dem Prozess als Zeuge. „Es ging alles ganz schnell.“ Der Täter habe eine Schusswaffe in der Hand gehabt. „Die hielt er mir an den Kopf.“ Zwei weitere Täter seien auf seinen Kollegen zugestürmt. „Flossen hoch!“, hätten die Männer verlangt. „Ein paar Sekunden später hatte ich eine Ladung Reizgas im Gesicht.“
Zeuge des Geldtransporter-Überfalls: „Wir hatten ein mulmiges Gefühl“
Nun hätten die Räuber sich vier von den fünf Kassetten mit dem Geld geschnappt „und gingen damit stiften“. Einer seiner Kollegen habe die Polizei alarmiert, und der andere Mitarbeiter informierte über sein Diensthandy den Arbeitgeber.
Generell werden drei Mitarbeiter des Unternehmens bei solchen Fahrten mit dem Geldtransporter eingesetzt, berichtet der Zeuge weiter. Einer aus dem Trio, der Fahrer, bleibe üblicherweise im Wagen, während sich die anderen beiden um das Ausliefern der Geldkassetten kümmern. Die Bank, die sie an jenem Morgen als Erstes beliefern wollten, liege in einer Fußgängerzone. Von der Stelle, wo sie an jenem Tag den Wagen parken mussten, habe der Weg bis zur Bankfiliale noch etwa 50 bis 100 Meter betragen. Sie hätten ein „mulmiges Gefühl“ gehabt, sagt der Zeuge.
Fürs Öffnen der Geldkassetten braucht man einen Schlüssel - „oder Gewalt“
„Der Überfall begann, als wir schon kurz vor der Tür waren.“ Die Täter hätten es direkt auf die Geldkassetten abgesehen, die die Mitarbeiter auf eine Sackkarre geladen hatten. „Vier von fünf Kassetten wurden entwendet.“ In den Behältern werden jeweils 100-, 50-, 20- und 10-Euro-Scheine aufbewahrt, sodass sich unterschiedliche Gesamtsummen in den jeweiligen Kassetten ergeben. Zurück blieb offenbar der Behälter mit den 20-Euro-Scheinen. So ohne Weiteres seien diese Kassetten nicht zu öffnen. Man brauche einen Schlüssel. „Oder mit Gewalt“, sagt der Zeuge.
Wo die Beute seitdem verblieben ist, ist nicht bekannt. Auch wer den Raubüberfall begangen hat, blieb längere Zeit im Dunkeln. Am 17. Januar dieses Jahres, mehr als ein Jahr nach dem Verbrechen, wurden schließlich die beiden Männer festgenommen, die jetzt auf der Anklagebank sitzen. Vorausgegangen sei „gute und aufwendige polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungsarbeit“, sagt Oberstaatsanwältin Liddy Oechtering. Viele Puzzlestücke seien zusammengetragen worden, bis die Ermittler den Verdächtigen auf die Spur kamen. „Wir hatten verschiedene Personen im Visier.“ Man habe Hinweise „Stück für Stück zusammengetragen“. Und die ganze Beute? Es gebe Hinweise, dass die Verdächtigen „auf großem Fuß gelebt haben“.
Geldtransporter-Überfall in Hamburg: Weitere Vorwürfe gegen die Angeklagten
Außer wegen des Überfalls auf den Geldtransporter müssen sich die Angeklagten wegen weiterer Taten vor Gericht verantworten. Dem 20-Jährigen wird zudem ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz vorgeworfen, weil er in seinem Zimmer unbefugt einen Blister mit zehn Tabletten des Schmerzmittels Oxycodon aufbewahrt haben soll. Und der 24-Jährige hat laut Anklage zwölf Taten von Fahren ohne Fahrerlaubnis begangen. Er soll, ohne einen Führerschein zu haben, am Steuer eines Mercedes E 220d Coupé am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen haben. Ferner habe er bei einer weiteren Gelegenheit seinem zwölfjährigen Neffen das Fahrzeug auf einem öffentlichen Parkplatz überlassen und die Fahrt gefilmt.
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Weil einer der Angeklagten zur Tatzeit erst 18 Jahre alt war, wird der Prozess vor einer Jugendkammer des Landgerichts verhandelt. Das Gesetz sieht allein für den schweren Raub eine Mindeststrafe von fünf Jahren vor. Bei dem heute 20-Jährigen kommt in Betracht, dass das Jugendrecht angewendet wird. Hier steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund. Vorerst hat das Landgericht zwölf Verhandlungstage bis November terminiert.