Hamburg. 300 Kilometer an Strecken vor allem entlang von Bahntrassen geplant. Was den Bau von Radschnellwegen im Norden ernsthaft behindert.
In Hamburg und vor allem in der Metropolregion, die Teile Niedersachsens, Schleswig-Holsteins und Mecklenburgs umfasst, gibt es eine verwirrend hohe Zahl von Namen für den deutschen „Radweg“. Denn Radweg ist nicht gleich Radweg. Er kommt daher als Fahrradstraße, Veloroute, Fahrradautobahn oder Radschnellweg. Hinter die Tempovariante haben Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) und sein Minister-Kollege aus Kiel, Claus Ruhe Madsen (CDU), jetzt sprachlich noch ein „Plus“ gesetzt. Was an Radschnellwegen sich in Zukunft sternförmig aus allen Himmelsrichtungen gen Hamburg erstrecken wird, sollte also einen „Mehr“-Wert haben.
Bei einem Treffen am Montag an der Außenalster versicherten Tjarks, Madsen und Vertreter der Metropolregion, dass sie am ganz großen Rad drehen: 300 Kilometer Radschnellwege sollen insgesamt in den kommenden Jahren entstehen, 108 Kilometer davon in Hamburg. Radroute plus, hieß es an einer Stelle der Präsentation. Das seien keine touristischen Pfade, sondern möglichst kreuzungsfreie, ampelarme Zweirad-Highways. Für Hunderttausende tägliche Pendler sollen sie sogar eine neue „Identität stiften“. Tjarks sagte, es gehe darum, „unterbrechungsfrei“ hohe Geschwindigkeiten zu fahren. Man solle nicht hemmungslos rasen, aber da jedes zweite gekaufte Fahrrad inzwischen ein E-Bike sei, habe das Rad mittlerweile Konkurrenzpotenzial zum Auto. „Eine höhere Qualität der Radwege“, sagte auch Madsen, „kann dazu führen, dass mehr Menschen umsteigen.“
Verkehr Hamburg: Wo neue Radschnellwege entstehen
Dabei sollen die neuen Trassen möglichst entlang von Bahnstrecken des Regionalverkehrs und der S-Bahn führen. Dadurch wird ein Wechsel zwischen den Verkehrsträgern einfacher. Nicht in jedem Bundesland spielt auch immer das Wetter mit. Wichtige Achsen aus und nach Hamburg sind die S-Bahn-Routen nach Pinneberg oder Stade und Bergedorf oder der Verlauf der U1 Richtung Norderstedt. Mit den Städten und Gemeinden in Schleswig-Holstein gibt es sogenannte „Trassenbündnisse“.
Was so gemeinschaftlich klingt, offenbart erst die größten Realisierungsprobleme der Radrouten plus. Jede Gemeinde muss und darf mitreden. Schon eine Strecke von Hamburg über Pinneberg und Tornesch nach Elmshorn zu bauen, wird offenbar ein diplomatischer Akt. Das Geld soll vom Land und vom Bund kommen. Und als hätte das alles nicht schon ausreichend Gerangel-Potenzial, kann Verkehrsminister Madsen die Herausforderungen für die Zweirad-Enthusiasten noch toppen: Er räumte ein, dass es gerade nicht einmal ausreichend Planer für die Pläne gebe. Und eine gute Vorbereitung schaffe solche lästigen Hindernisse, wie mögliche Klagen gegen Radschnellwege oder Privatgrundstücke, die im Weg liegen, rasch beiseite. „Man braucht Baurecht“, sagte Madsen. Dann kann es ganz schnell gehen. Wie viele Jahre also noch vergehen, bis alle Radwege nach Hamburg führen, ist offen.
Radschnellwege aus und nach Hamburg: Nutzen-Kosten-Faktor besser als bei der U5
In Hamburg jedoch regiert Dampfradler Tjarks. Er sieht die Finanzierung aus Bundesmitteln rosig. Der Nutzen-Kosten-Faktor bei den Radschnellwegen liege bei 2,3 bis 3,7. Das heißt für Otto Normalstrampler: Ein eingesetzter Euro bringt 2,30 bis 3,70 Euro an volkswirtschaftlichem Nutzen. Das ist die Kennziffer für Haushaltspolitiker. Zum Vergleich: Die geplante U-Bahn-Linie U5 in Hamburg hat hier einen Nutzen-Kosten-Faktor von 1,23. Schon das berechtigt zu einer Milliardenspritze aus Berlin. Beim Nord-Radwegenetz wird man mit mehreren Hundert Millionen an Kosten rechnen müssen. Madsen sprach als Daumenregel von zwei bis zweieinhalb Millionen Euro pro Kilometer.
Doch das hängt von der Beschaffenheit der Strecke ab, und einige Kilometer liegen ja bereits. Wobei Tjarks erneut Optimismus versprühte. Er beschrieb den künftigen Radschnellweg vom Hamburger Rathaus über den (gerade deshalb erneut aufgerissenen) Jungfernstieg, Neuen Jungfernstieg Richtung US-Generalkonsulat (Radschnellweg bald direkt davor), zum Leinpfad, „an der CDU-Zentrale vorbei“ (Tjarks), Richtung Bebelallee und Rathenaustraße (demnächst Fahrradstraße). In Klein Borstel kann bis Ochsenzoll eine alte Bahntrasse genutzt werden.
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Und was die Verbindung aus dem Hamburger Süden angehe, so Tjarks, gehe man jetzt sechs Radfahrbrücken an, um schneller und kreuzungsfrei aus Harburg über Wilhelmsburg in die City zu radeln. Am Ende soll alles so aussehen wie derzeit am Inselpark in Wilhelmsburg oder am Pergolenviertel in Winterhude. Dort wurden gut ausgeschilderte und zum Teil gut beleuchtete Radschnellwege geschaffen.
Madsen sagte: „Die überlasteten Verkehrssysteme in der Metropolregion Hamburg werden durch die neuen Radrouten plus entlastet.“ Die Landrätin Kreis Pinneberg, Elfi Heesch, sagte: „Trotzdem ist klar, dass hier viele Interessen berücksichtigt werden müssen.“ Katrin Schmieder, die Oberbürgermeisterin von Norderstedt, sagte, dass die Mobilität nicht an der Stadtgrenze aufhöre. Die Umland-Verantwortlichen schauen bisweilen in Sorge auf die Kieler Verkehrspolitik. Minister Madsen stand zuletzt im Fokus, weil genau auf den Strecken aus dem Nordwesten nach Hamburg – und eben parallel zu den künftigen Radschnellwegen – die Frequenzen der Bahnverbindungen ausgedünnt wurden.