Hamburg. Zuhörer fühlten sich „eingeschüchtert, verängstigt und bedroht“. Vortrag von Unternehmerin über Antisemitismus mehrfach unterbrochen.
Die Sorge von Menschen jüdischen Glaubens in Hamburg, dass sie sich an der größten Hochschule der Hansestadt nicht sicher fühlen können, bekommt neue Nahrung durch Vorfälle, die sich am frühen Mittwochabend an der Universität Hamburg zugetragen haben. Pro-palästinensische Aktivisten störten eine Vorlesung der israelischen Unternehmerin Jenny Havemann offenbar derart, dass sich etliche Zuhörende im Raum 221 des Hauptgebäudes „eingeschüchtert, verängstigt und bedroht“ fühlten – so schildert es die Geschäftsstelle des Hamburger Antisemitismusbeauftragten Stefan Hensel.
Am Donnerstagvormittag seien in der Geschäftsstelle „zahlreiche beunruhigende Anrufe“ zu den Vorfällen eingegangen. Den Berichten zufolge habe aufgrund der Störungen am Mittwochabend eine Gruppe junger Mädchen weinend den Hörsaal verlassen. „Der Vorfall unterstreicht auf alarmierende Weise die aktuelle Problematik, dass es an der Universität offenbar nicht möglich ist, eine Veranstaltung zum Thema Antisemitismus ohne Störungen und Einschüchterungsversuche durchzuführen“, sagt Hensel.
Universität Hamburg: Aktivisten stören Vorlesung über Antisemitismus
Was war passiert? Jenny Havemann, gebürtige Hamburgerin, mit ihrer Familie in Tel Aviv lebend, hatte im Rahmen einer Vortragsreise durch Deutschland auch ihre Heimatstadt besucht, um im Rahmen der Ringvorlesung „Judenfeindlichkeit, Antisemitismus, Antizionismus – aktualisierte Formen antijüdischer Gewalt“ an der Universität Hamburg zu sprechen. Sie thematisierte dabei insbesondere den Antisemitismus seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel und den Kampf dagegen aus jüdischer Perspektive.
Wie die Polizei auf Abendblatt-Anfrage bestätigte, versammelten sich kurz vor dem Beginn der Vorlesung gegen 18 Uhr vor dem Gebäude ESA Ost etwa 15 Menschen zu einer unangemeldeten pro-palästinensischen Demonstration. Sie schwenkten Fahnen und riefen Parolen. Weil die Gruppe sich friedlich verhalten habe und der selbst erklärte Leiter der Versammlung kooperativ gewesen sei, habe die Polizei das Ganze als Spontanversammlung bis etwa 19.15 Uhr laufen lassen, sagte eine Sprecherin.
Vorlesungs-Besucher erzählt: „Das hatte etwas von Spießrutenlaufen“
Die Aktivisten hätten allerdings recht nah am Eingang gestanden, heißt es von Gästen der Vorlesung, die an der Gruppe vorbei in das Gebäude gehen mussten. „Das hatte etwas von Spießrutenlaufen“, sagte ein Besucher, der anonym bleiben möchte, dem Abendblatt.
Er und eine weitere Besucherin der Vorlesung schildern übereinstimmend, was anschließend geschah: Offenbar hatten sich im Hörsaal mehrere Aktivisten verteilt. Bei sich trugen sie kleine Lautsprecherboxen, aus denen sie dann – einer nach dem anderen – etwas abspielten. Ob es sich dabei um Parolen handelte, sei kaum zu verstehen gewesen, erzählt die schon erwähnte Besucherin, die ebenfalls anonym bleiben möchte. „Es war in erster Linie laut und plärrend.“ Immer wieder habe die Veranstaltung unterbrochen werden müssen. Die von der Universität engagierten Sicherheitsleute hätten einen Störenden nach dem anderen aus dem Saal geführt.
„Schreckmoment“ im Publikum: Zwei Männer stehen auf und gehen nach vorne
Dann sei etwas geschehen, das für einen „Schreckmoment“ im Publikum gesorgt habe: In den Reihen seien zwei Männer mit Palästinensertüchern aufgestanden und langsam nach vorne gegangen. Dort hätten sie sich in der ersten Reihe neben einem weiteren Aktivisten niedergelassen – direkt vor dem Rednerpult. Einige im Publikum hätten gerufen: „Jenny, pass auf!“ Es sei eine ganz offensichtliche Drohgebärde gewesen, so die erwähnte Besucherin gegenüber dem Abendblatt.
Die Sicherheitsleute hätten sich dann nahe bei den drei Männern postiert. Diese seien sitzen geblieben. Die sich an den Vortrag anschließende Gesprächsrunde habe einer der Männer mit Zwischenrufen gestört. Als die Veranstaltung endete, seien einige Besucher gebeten worden, den Saal über einen Seiteneingang zu verlassen.
Polizei Hamburg hat eine Anzeige wegen Beleidigung erhalten
Die Polizei war mit 30 Beamtinnen und Beamten im Einsatz. Zu Gewalt sei es nach Wissen der Polizei nicht gekommen, sagte eine Sprecherin. Eine Anzeige wegen Beleidigung ging mit Stand Donnerstagmittag bei der Polizei ein.
Wenige Wochen zuvor hatte am 8. Mai eine Attacke an der Universität für Aufsehen gesorgt: Wie berichtet, war ein weibliches Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) von einer 26 Jahre alten Frau mit mutmaßlich islamistischem Hintergrund nach einer verbalen Auseinandersetzung gewürgt und dann unvermittelt mit einem Schlag gegen die Nase verletzt worden und zu Boden gegangen. Das Opfer kam in die Uni-Klinik Eppendorf. Der Vorfall ereignete sich im Anschluss an eine Veranstaltung im Rahmen der schon erwähnten Ringvorlesung über Antisemitismus.
Referentin Jenny Havemann: „Bedrohung für Jüdinnen und Juden ist immens“
Jenny Havemann hatte einen Tag vor ihrem Vortrag an der Universität auf ihrem X-Account (vormals Twitter) erklärt, eine Schule, an der sie sprechen sollte, habe Drohungen erhalten. „Ich habe Angst um mein Leben“, überschrieb die Unternehmerin ein Video, in dem sie sich eingehend äußert. Sie spüre und höre, „dass die Bedrohung für Jüdinnen und Juden in Deutschland immens“ sei. „Viele Freunde berichten, dass sie Angst haben – an Schulen, an Universitäten, auf der Straße“, sagt Havemann in dem Video. „Sie haben Angst, als Jüdinnen und Juden erkennt zu werden, beleidigt, bedroht oder angegriffen zu werden. Es ist wirklich unerträglich.“
Um eine Stellungnahme zu dem Vorfall gebeten, erklärte die Universität Hamburg am Donnerstag, sie bedauere die Störungen. Allerdings: „Zu keinem Zeitpunkt kam es zu Handgreiflichkeiten, körperlichen Übergriffen oder Gefahrsituationen für die Anwesenden und die Rednerin.“ Nennenswert seien „vereinzelte Störungsaktionen einer kleinen Gruppe politischer Aktivistinnen und Aktivisten aus dem pro-palästinensischen Umfeld“.
Die Vorlesungsgäste seien auf die verschiedenen Ausgänge im Haus hingewiesen worden, „um das Gebäude jederzeit verlassen zu können“, so die Hochschule. „Dank des Sicherheitspersonals und der sehr guten Koordination mit der Polizei konnte jederzeit sichergestellt werden, dass die Veranstaltung wie geplant stattfinden konnte und dass die Personen vor Ort – Studierende, Gäste und die Rednerin – sicher sind und an der Diskussion konstruktiv teilnehmen konnten.“
Attacke vom 8. Mai: Uni Hamburg spricht Hausverbot gegen die Angreiferin aus
Was den Vorfall vor wenigen Wochen angehe: Die Universität Hamburg habe die antisemitische Gewalttat vom 8. Mai 2024 „klar benannt, aufs Schärfste verurteilt und dementsprechend gehandelt“. So habe die Hochschule umgehend eine Strafanzeige und ein unbefristetes Hausverbot gegen die Angreiferin ausgesprochen.
- Was Antisemitismus in Hamburg mit Jüdinnen und Juden macht
- Israelfeindliche Attacke in Hamburg: „Nie solchem Hass ins Auge gesehen“
- Uni Hamburg setzt Krisenstab ein – weitere Attacke wird publik
Die Universität Hamburg sei ein „Ort des wissenschaftlichen Austausches und des akademischen Diskurses sowie eine weltoffene Hochschule, die sich entschlossen gegen jede Form von Diskriminierung, Gewalt und Hetze sowie gegen jegliche menschenverachtenden Äußerungen stellt“, sagte Alexander Lemonakis, Sprecher des Uni-Präsidenten. „Wir stehen für die Freiheit von Forschung und Lehre sowie für die Meinungsfreiheit auf Basis der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Gemeinsam pflegen wir eine Kommunikationskultur, die auf einem respektvollen Umgang miteinander beruht. Antisemitismus, Hass und Hetze haben keinen Platz an unserer Universität.“