Hamburg. Als präventive Maßnahme kommt die technische Überwachung bislang nicht zum Einsatz. 4316 Opfer im Jahr 2023 – zumeist Frauen und Mädchen.

Seit der Reform des Polizeirechts 2019 kann ein Mann, der seiner Partnerin oder ehemaligen Partnerin Gewalt angetan hat oder damit droht, dazu verpflichtet werden, eine elektronische Fußfessel zu tragen, um eine erneute Annäherung an sein Opfer möglichst auszuschließen. In Hamburg kommt dieses Instrument als präventive Maßnahme bislang allerdings praktisch nicht zum Einsatz, wie die Senatsantwort auf mehrere Kleine Anfragen der CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Dennis Thering und Richard Seelmaecker ergibt.

„Im erfragten Zeitraum (seit Dezember 2023, die Red.) wurden elektronische Fußfesseln auf Grundlage des § 30 PolDVG (Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei) weder eingesetzt noch wurde eine solche Maßnahme von der Polizei angeregt“, heißt es in der Senatsantwort auf eine aktuelle Anfrage der beiden Abgeordneten. Für den Einsatz des technischen Hilfsmittels zur Personenüberwachung im Zusammenhang mit Beziehungsgewalt ist eine gerichtliche Anordnung erforderlich, die von der Hamburger Polizei seit 2020 erst einmal beantragt wurde, wie sich aus früheren Anfragen ergibt.

Polizei Hamburg: CDU-Fraktionschef Thering hält es für „inakzeptabel“, dass die Fußfessel nicht zum Einsatz kommt

„Wenn man bedenkt, wie häufig Täter gegen Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz, die Opfer vor Gewalt und Nachstellungen schützen sollen, verstoßen, ist es absolut inakzeptabel, dass von dem 2019 eingeführten Instrument der elektronischen Fußfessel im Bereich von Beziehungsgewalt so gut wie nie Gebrauch gemacht wird. Die Sicherheitsbehörden müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen, um betroffene Frauen vor gewalttätigen Stalkern zu schützen!“, fordert CDU-Fraktionschef Thering. „Tagtäglich werden vor allem Frauen Opfer körperlicher Gewalt durch ihre Partner oder Ex-Partner. Der Anstieg der Strafverfahren im Bereich der Beziehungsgewalt in den letzten Jahren ist alarmierend, und es steht zu befürchten, dass das tatsächliche Ausmaß noch viel höher ist, da viele Taten aus verschiedensten Gründen nicht angezeigt werden.“

Elektronische Fußfessel
Ein Mann trägt eine elektronische Fußfessel. Dieses technische Hilfsmittel kommt in Hamburg zur Prävention von Beziehungsgewalt so gut wie nicht zum Einsatz. © picture alliance / Julian Stratenschulte/dpa | Julian Stratenschulte

Voraussetzung für den Einsatz der elektronischen Fußfessel sind Gefährdungseinschätzungen des Landeskriminalamtes, wobei die Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen ist. Die Entscheidung über einen Antrag der Polizei auf Anordnung der lückenlosen Überwachung unterliegt dem Gericht, in erster Instanz dem Amtsgericht Hamburg. „Die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) sind hoch“, schreibt der Senat in seiner Antwort und verweist auf ein Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts, das die Hürden definiert hat. Es gelten danach strengere Maßstäbe als bei einer klassischen Observation. „Die durch die Polizei durchgeführte rechtliche Prüfung im Einzelfall hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass zur Gefahrenabwehr anstelle der EAÜ das Mittel der längerfristigen Observation eingesetzt wurde“, heißt es in der Senatsantwort.

Beziehungsgewalt: Im vergangenen Jahr gab es 4316 Opfer – 8,5 Prozent mehr als 2022

Ausmaß und Entwicklung der Beziehungsgewalt sind nicht leicht zu analysieren, da die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) diese Straftaten nicht gesondert ausweist, sondern unter den einzelnen Deliktgruppen (Körperverletzungen, Mord, Totschlag etc.) erfasst. „Eine Annäherung über die PKS erfolgt über eine Auswertung der erfassten Häufigkeiten von Opferwerdungen in partnerschaftlichen bzw. ehemaligen partnerschaftlichen Beziehungen“, heißt es in der Senatsantwort. Allerdings könne über diese Kategorie nur ein Teil der Beziehungsgewalt erfasst werden – eben nur die Delikte, für die ein Opfer erfasst ist.

Laut Polizeistatistik wurden 2023 in der Regel Frauen oder Mädchen in 4316 Fällen Opfer von Beziehungsgewalt. Das entspricht einer Zunahme um 8,5 Prozent oder 337 Fällen gegenüber 2022, als 3979 „Opferwerdungen“ registriert wurden. In 85 Prozent der Fälle handelt es sich um vorsätzliche einfache Körperverletzungen, bei denen es einen Anstieg um 10,1 Prozent im Vergleich von 2023 zu 2024 gab. Bei der Gewaltkriminalität, zu der unter anderem Mord, Totschlag, räuberische Erpressung sowie gefährliche und schwere Körperverletzung zählen, betrug der Anstieg 0,8 Prozent. Im Deliktsfeld „Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff im besonders schweren Fall einschließlich Todesfolge“ gab es einen Rückgang von 67 auf 64 Fälle oder um 4,5 Prozent.

In den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden weniger Opfer von Beziehungsgewalt registriert

Im Vergleich der ersten drei Monate 2023 und 2024 ist die Tendenz umgekehrt: Im ersten Quartal 2023 registrierte die Polizei 1222 „Opferwerdungen“ und 987 Fälle von Januar bis März 2024, was einem Rückgang um 19,5 Prozent oder 235 Taten entspricht. Besonders deutlich fiel das Minus bei den einfachen Körperverletzungen mit 22,3 Prozent (von 1222 auf 987 Fälle) aus. Die Zahl der gefährlichen und schweren Körperverletzungen sank von 169 auf 144 Fälle oder um 7,1 Prozent. Dagegen stieg die Zahl der registrierten Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen etc. um sechs auf 19 Taten oder 46,5 Prozent.

Wer Opfer von Beziehungsgewalt geworden ist, kann nach dem Gewaltschutzgesetz beim Amtsgericht beantragen, dass es eine Anordnung erlässt, die dem Täter zum Beispiel verbietet, die Wohnung des Opfers zu betreten oder sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten. Beim Amtsgericht Hamburg wurden 1351 Anträge im Jahr 2023 gestellt, was einer Steigerung um 175 Fälle oder 14,9 Prozent gegenüber 2022 entspricht. Im Vergleich des ersten Quartals 2024 zu den ersten drei Monaten 2023 sank die Zahl leicht um elf Fälle oder drei Prozent auf 358 Fälle. Ob das Gericht eine Anordnung erlassen hat oder den Antrag zurückgewiesen hat, wird laut Senatsantwort auf eine frühere Kleine Anfrage statistisch nicht erfasst.

Die Kapazität der Hamburger Frauenhäuser ist von 194 auf 244 Schutzplätze erhöht worden

„Wenn Menschen aus Scham, Angst vor Rache, Abhängigkeiten, sozialem Druck oder Unkenntnis ihrer rechtlichen Möglichkeiten schweigen, bleiben die Fälle im Dunkelfeld“, schreibt der Senat. Häusliche Gewalt habe aber inzwischen eine erhöhte gesellschaftliche Aufmerksamkeit erhalten. „Die gestiegene Sensibilisierung führt zu einer höheren Bereitschaft zur Meldung und Anzeige, was zu steigenden Zahlen führt. Das bedeutet nicht zwangsläufig eine Verschlechterung der Situation, sondern zeigt, dass das Bewusstsein für das Problem wächst und mehr Fälle polizeilich bekannt werden“, heißt es in der Senatsantwort.

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Aufgrund des erhöhten Beratungsaufkommens in Fällen häuslicher Gewalt in und nach der Corona-Pandemie hat der Senat nach eigenen Angaben die Beratungsstellen aufgestockt. „Die Anzahl von Schutzplätzen in den Hamburger Frauenhäusern wurde in den vergangenen Jahren von 194 auf 244 Plätze ausgebaut“, heißt es in der Senatsantwort. Die Polizei verfolge bei der Bekämpfung von Beziehungsgewalt „einen breiten Ansatz, der neben der Strafverfolgung und gefahrenabwehrenden Maßnahmen insbesondere die Prävention solcher Taten umfasst“. Dabei würden „Kooperationen zwischen Polizei und Hilfenetz kontinuierlich fortgesetzt und optimiert“. In mehreren Stadtteilen gebe es zum Beispiel „StoP („Stadtteile ohne Partnergewalt“)-Projekte, die auf „aktive Nachbarschaft“ abzielten und eine schnelle Kontaktaufnahme zur Polizei ermöglichten.