Besonders häufig werden Frauen Opfer von (Ex-)Partnern. Das geht aus einer Antwort des Senats hervor. Eine Zahl schockiert besonders.
- Sprunghafter Anstieg der Beziehungsgewalt in Hamburg
- Staatsanwaltschaft Hamburg richtet Sonderabteilung ein
- Auch immer mehr Kinder wegen Gewaltvorfällen im Krankenhaus
- CDU fordert mehr Schutz für Frauen vor Beziehungsgewalt
Hamburg. Es ist eine erschreckende Entwicklung: Die Gewalt in bestehenden oder bereits beendeten Beziehungen hat in Hamburg zuletzt weiter deutlich zugenommen. So ist die Zahl der Fälle vorsätzlicher gegenüber demselben Zeitraum 2022 um mehr als 28 Prozent angestiegen: von 800 auf 1027 Delikte.
Die registrierten Fälle von Gewaltkriminalität (Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Körperverletzung mit Todesfolge, Geiselnahme u. a.) zwischen (Ex-)Partnern nahmen um mehr als 15 Prozent zu: von 169 im ersten Quartal 2022 auf 195 in den ersten drei Monaten dieses Jahres.
Bei der gefährlichen Körperverletzung inklusive Genitalverstümmelung einfacher Körperverletzungen zwischen (Ex-)Partnern laut Polizeistatistik im ersten Quartal 2023 ab es eine Zunahme um fast 23 Prozent: von 138 auf 169 Taten.
Das hat der Senat jetzt in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Fraktions- und Parteivorsitzenden Dennis Thering mitgeteilt.
2500 Anträge bei Amtsgerichten auf Maßnahmen gegen Gewalt
Angestiegen ist zuletzt auch die Zahl der Verfahren, in denen ein Partner nach dem Gewaltschutzgesetz die Überlassung der bisher gemeinsam bewohnte Wohnung gerichtlich beantragt hat: Registrierten die Amtsgerichte 2021 hier noch 308 Fälle, waren es 2022 bereits 349.
Insgesamt 2497-mal beantragte ein (Ex-)Partner bei den Amtsgerichten in den beiden vergangenen Jahren Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung, immerhin: Diese eine Zahl ist 2022 leicht gesunken. Zugenommen haben dagegen 2022 auch die Anträge auf Gewaltschutz und Wohnungsüberlassung beim Oberlandesgericht.
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Zwar sind die Zahlen in den Angaben des Senates in der Regel nicht nach dem Geschlecht des Gewaltopfers differenziert, es ist aber aller Erfahrung nach davon auszugehen, dass in den allermeisten Fälle die Frauen Gewaltopfer geworden sein dürften.
Aufgrund der zuletzt zunehmenden Fälle von Gewalt in Beziehungen hatte die Staatsanwaltschaft Hamburg im März 2021 hierzu eine Sonderabteilung ins Leben gerufen. Bereits im ersten Jahr wurden dort 9050 Verfahren wegen Beziehungsgewalt geführt, 2022 waren es 8100. Im laufenden Jahr dürfte die Zahl wieder ansteigen, denn allein in den ersten drei Monaten des Jahres hat die Sonderabteilung 2260 Verfahrenszugänge gezählt.
Gewaltschutzambulanz: Zahl der im UKE behandelten Kinder erschreckend hoch
Die insgesamt erschreckende Tendenz zu mehr Gewalt zeigt sich auch im UKE: Die dortige Gewaltschutzambulanz hat im Jahr 2022 laut Senat etwas mehr Gewaltopfer untersucht als 2021. Hier können sich alle Opfer von Gewalt- oder Sexualstraftaten untersuchen lassen, um mögliche Verletzungen etwa für Gerichtsverfahren zu dokumentieren – es geht also nicht ausschließlich um Opfer von Beziehungsgewalt.
Im Jahr 2021 wurden hier 1095 erwachsene Gewaltopfer untersucht, 2022 waren es mit 1128 etwas mehr. Im ersten Quartal 2023 meldeten sich 279 Gewaltopfer in der Spezialambulanz – für diesen Zeitraum ist auch erstmals das Geschlecht angegeben. 147 der Opfer waren Frauen, 132 Männer.
Besonders schockierend sind die Zahlen bei den jungen Gewaltopfern. Noch stärker als bei den Erwachsenen hat die Zahl der Kinder und Jugendlichen unter den im UKE untersuchten Gewaltopfern zugenommen. 2021 wurden dort laut Senatsantwort 622 Kinder und Jugendliche betreut (316 Jungen und 306 Mädchen).
Im vergangenen Jahr waren es bereits 832 (432 Jungen und 400 Mädchen). Zuletzt hatte es immer wieder Warnungen gegeben, der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) der Bezirke sei so überlastet, dass der Kinderschutz etwa in betreuten, problembeladenen Familien nicht mehr gesichert sei.
Beziehungsgewalt steigt, doch elektronische Fußfessel wird so gut wie nie eingesetzt
CDU-Fraktionschef Thering hat neben den Zahlen zur Gewalt auch nachgefragt, wie häufig in Hamburg ein 2019 neu eingeführtes Instrument zum Schutz von Gewaltopfern eingesetzt wurde: die elektronische Fußfessel. Diese darf seit einer Novelle des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG) aufgrund richterlicher Anordnung auch präventiv eingesetzt werden, wenn davon auszugehen ist, dass von einer Person eine Gefahr für Leib und Leben eines anderen Menschen ausgeht.
Das Gerät schlägt Alarm, sobald sein Träger sich über Auflagen hinwegsetzt und sich etwa seinem potenziellen Opfer nähert. Das betrifft also auch Fälle von möglicher Beziehungsgewalt, etwa wenn ein früherer Partner Rachegefühle gegenüber seiner ehemaligen Partnerin empfindet und so zu einer Gefahr für diese wird.
Der Senat allerdings räumt ein, dass dieses Instrument seit seiner Einführung erst ein einziges Mal in Hamburg zum Schutz von potenziellen Opfern eingesetzt wurde. In dem konkreten Fall wurde die Fußfessel im Jahr 2020 für sechs Wochen und fünf Tage getragen – bis das Oberlandesgericht die Tragepflicht aufgrund der Beschwerde des Betroffenen aufhob. Der Senat weist in seiner Antwort auf die Thering-Anfrage darauf hin, dass die Ermittlungsbehörden die Auflage, eine Fußfessel zu tragen, nur anregen könnten. Die Anordnung sei Sache der Gerichte.
CDU-Fraktionschef Dennis Thering fordert mehr Engagement vom Senat
CDU-Fraktionschef Thering ist mit dem Vorgehen der Hamburger Behörden gleichwohl nicht zufrieden – und fordert mehr Engagement des Senats zum Schutz der Opfer von Beziehungsgewalt. „Tagtäglich werden in Hamburg insbesondere Frauen Opfer körperlicher Gewalt durch ihre Partner oder Ex-Partner“, sagte Thering dem Abendblatt. „Der Anstieg der Strafverfahren im Bereich der Beziehungsgewalt in den letzten Jahren ist alarmierend, und es steht zu befürchten, dass das tatsächliche Ausmaß noch viel höher sein wird, da viele Taten nicht angezeigt werden.“
Umso erstaunlicher sei es, „dass von dem Instrument der elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Bereich von Beziehungsgewalt seit der Ermöglichung durch die Gesetzesänderung im Dezember 2019 erst in einem Fall Gebrauch gemacht wurde“, sagte Thering. „Die Sicherheitsbehörden müssen alles tun, um betroffene Frauen besser zu schützen. Hier darf es keine Nachlässigkeiten geben.“
Steigende Beziehungsgewalt: Sozialbehörde verweist auf Präventionsprogramme
Die Sozialbehörde von Senatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) informierte auf Abendblatt-Nachfrage über eine Reihe von in Hamburg laufenden Präventionsprogrammen. Prävention sei „sowohl im Hamburger Opferschutzkonzept als auch nach der Istanbulkonvention ein wichtiger Teil des Gewaltschutzes“, so der Sprecher der Sozialbehörde. Die Istanbulkonvention ist ein seit 2014 gültiges Abkommen des Europarats, mit dem Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt verhindert werden sollen.
Man fördere zahlreiche Präventionsprojekte und Beratungsstellen, so die Behörde. „Der Umgang mit Konflikten ist weiterhin fortlaufend Thema an Schulen und Kitas“, sagte der Sprecher. Da die Nachfrage nach Beratungen zu Beziehungsgewalt gewachsen sei, habe man die Fachberatungsstellen bereits personell aufgestockt.