Hamburg. 18-Jähriger starb, nachdem er mehrere Stunden in Vollnarkose behandelt wurde. Anklage sieht mehrere Sorgfaltsmängel.

Sie fühlten sich gut aufgehoben. Eine Zahnarztpraxis, in der eine professionelle Behandlung gewährleistet schien und Ärzte, die offenbar mit großem Erfahrungsschatz vorgehen. „Man weiß, was man tut“, war der Eindruck, den eine Hamburgerin von den Medizinern gewonnen hatte. Sie habe geglaubt, sie und ihr Sohn seien „in guten Händen“. Doch dann geschah das Unerwartete. Ihr 18 Jahre alter Sohn, bei dem eine aufwendige Zahnbehandlung erforderlich war, starb. Etwa acht Stunden hatte seine Vollnarkose schon gedauert, als er einen Kreislaufzusammenbruch erlitt und das Herz versagte.

Im Prozess, wo sich wegen dieses tragischen Geschehens vom 27. Mai 2016 eine Zahnärztin und ein Anästhesist verantworten müssen, hat die Staatsanwaltschaft eine Bestrafung für beide Angeklagten gefordert. Der Anästhesist sei wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu verurteilen, sagte der Staatsanwalt in dem Prozess vor dem Landgericht und plädierte auf eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten. Diese könne zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Zahnärztin habe sich wegen fahrlässiger Tötung schuldig gemacht. Dafür beantragte der Staatsanwalt eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu 250 Euro.

Prozess Hamburg: Tod beim Zahnarzt: Staatsanwalt fordert Strafe für Ärzte

Laut Anklage im Prozess vor dem Landgericht hat der Anästhesist vor einer auf mehrere Stunden angelegten Zahnbehandlung unter Vollnarkose den Patienten nicht ordnungsgemäß über alle Risiken und die Art der Narkoseüberwachung aufgeklärt. Dabei sei diese erheblich vom Standard abgewichen. Der Patient hätte dem Eingriff nicht zugestimmt, wenn er alle Risiken gekannt hätte, heißt es in der Anklage.

So habe es keine EKG-Überwachung und keine maschinelle Beatmung gegeben. Darüber hätte der Patient aufgeklärt werden müssen, ist die Staatsanwaltschaft überzeugt. Der Zahnärztin wird vorgeworfen, sie habe zumindest erkannt, dass ihre Praxis die für so eine umfangreiche Behandlung notwendigen Standards unterschreitet.

Bei dem mehrstündigen Termin unter Vollnarkose habe eine „kontinuierliche Überwachung nicht stattgefunden“, sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Es habe bei der Behandlung, die unter den gegebenen Umständen „unverantwortbar riskant“ gewesen sei, mehrere Sorgfaltsmängel gegeben. So habe es entgegen den geltenden Standards keine maschinelle, sondern nur eine manuelle Beatmung gegeben. Außerdem habe der Anästhesist gegen die Mindestanforderung bei der Narkoseüberwachung verstoßen, weil ein qualifiziertes Assistenzpersonal nicht bei der Behandlung dabei gewesen sei.

Zahnärztin habe sich auf den Narkosearzt „blindlings verlassen“

Der Zahnärztin sei vorzuwerfen, dass sie sich „verfrüht und vorschnell“ bereiterklärt habe, den Patienten unter Vollnarkose zu behandeln. Als Verantwortliche in der Praxis treffe Barbara N. (alle Namen geändert) ein „Organisationsverschulden“, sagte der Staatsanwalt. „Sie durfte nicht auf ein standardgerechtes Vorgehen“ des Narkosearztes „vertrauen“. Spätestens, als beim Behandlungstermin erkennbar war, dass die Personalsituation für eine Anästhesie-Überwachung und ebenso die maschinelle Ausstattung unzureichend war, „hätte sie die Behandlung abbrechen müssen“. Stattdessen habe Dr. Barbara N. sich auf den Narkosearzt „blindlinks verlassen“.

Der 18-Jährige, der mehrere Jahre nicht beim Zahnarzt gewesen und dessen Gebiss in sehr schlechtem Zustand war, litt unter extremen Ängsten vor Zahnarztterminen. Deshalb hatte er sich ausdrücklich gewünscht, von einer Behandlung nichts mitzubekommen. Seine Mutter hatte im Prozess als Zeugin erzählt, dass ihr Sohn schon länger starke Schmerzmittel habe nehmen müssen und dass eine Behandlung dringend gewesen sei. Wegen seiner Ängste habe sie nach einer Praxis gesucht, die Behandlungen unter Vollnarkose vornehme. In Vorgesprächen habe sie die Zahnärztin als „einfühlsam“ erlebt und insgesamt „ein gutes Bauchgefühl“ dabei gehabt, ihrem Sohn diese Praxis zu empfehlen.

Die Angeklagten betonten, es tue ihnen leid, was geschehen ist

Doch dann musste sie erfahren, dass der 18-Jährige als Notfall ins Krankenhaus transportiert wurde. Dort kämpften Spezialisten zwei Stunden lang um sein Leben. Vergeblich. Die angeklagte Zahnärztin Barbara N. hatte die Geschehnisse in ihrer Praxis am ersten Prozesstag als „Tragödie“ bezeichnet, die sie nicht habe kommen sehen. Es tue ihr „unendlich leid“, was geschehen ist, hatte die 46-Jährige erklärt. Allerdings habe sie sich seinerzeit ordnungsgemäß verhalten. Und der ebenfalls beschuldigte Anästhesist Daniel R. (67) hatte gesagt: „Ich habe als Arzt versagt und als Mensch schwere Schuld auf mich geladen.“ Er betonte jedoch, er habe den Patienten hinreichend aufgeklärt.

Der Staatsanwalt hielt beiden Angeklagten in seinem Plädoyer zugute, dass es ihnen um einen „wohlgemeinten Eingriff ging“. Sie hätten dem Patienten mit der Behandlung helfen wollen. Über das, was an jenem schicksalhaften Tag passierte, empfänden Barbara N. und Daniel R. „aufrichtige Reue“, sagte der Ankläger. „Sie haben daran menschlich schwer zu tragen.“ Im Fall des Daniel R. ging der Staatsanwalt von einem „minderschweren Fall“ der Körperverletzung mit Todesfolge aus.

Staatsanwalt spricht von „grotesker Selbstüberschätzung“ des Anästhesisten

Allerdings sei dem Anästhesisten vorzuhalten, dass eine ausführliche medizinische Aufklärung über die Risiken der Behandlung und einer so langen Vollnarkose nicht erfolgt sei. Dass Daniel R. nicht die notwendigen Apparate dabeigehabt und dass er keine Anästhesie-Assistentin hinzugezogen habe, zeuge von „geradezu grotesker Selbstüberschätzung“. Doch als klar wurde, dass sich der Gesundheitszustand des Patienten dramatisch verschlechterte und dem Narkosearzt „alles um die Ohren flog, war er unzureichend vorbereitet“.

Der Anwalt, der die Mutter des verstorbenen 18-Jährigen vertritt, sagte, es gehe seiner Mandantin „nicht um Rache. Sie möchte nur wissen, was da eigentlich vorgefallen ist?“ Cornelia S. sehe bei beiden angeklagten Ärzten „eine große Verantwortung“. Man habe ihr den Eindruck vermittelt, dass die Zahnärztin und der Anästhesist „große Erfahrung mit solchen Behandlungen“ hätten. „Das stimmte nicht.“

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Die Verteidigung soll nach bisheriger Planung ihre Plädoyers in der kommenden Woche beenden. Eine Urteilsverkündung ist derzeit für den 12. Juli vorgesehen.