Hamburg. Schüler wollen Lehrer eine Karte für den Abiball schenken. Doch der lehnt ab. Warum er kein Einzelfall ist und welche Lösung es gibt.

Die Enttäuschung bei den Schülern ist groß: Ihr Lehrer wird nicht am Abiball ihrer Schule teilnehmen – obwohl sie ihn dazu eingeladen haben. Der Grund: Der Lehrer befürchtet, dass man ihm Bestechlichkeit vorwerfen könnte. Kein Einzelfall! Warum in Hamburg die meisten Lehrer nicht zum Abiball eingeladen werden dürfen.

Der Grund: Lehrern ist die Annahme eines Geschenks von Dritten, zum Beispiel von Eltern oder Schülern, im Wert von mehr als 20 Euro untersagt. Doch das ist weit weniger, als die Karten an den meisten Schulen kosten. Die Preise für eine Karte liegen oft bei bis zu 100 Euro.

Abiball in Hamburg: Warum die meisten Lehrer nicht eingeladen werden

Für die Abiturienten des Luisen-Gymnasium in Hamburg-Bergedorf war die Sache schon vor Monaten klar: Wenn sie ihr Abi feiern, laden sie zum Abiball auch ihren Klassenlehrer ein. Denn für die 16 Schülerinnen und Schüler des Physik-Profils war ihr Tutor mehr als nur ein Lehrer. Er war eine Vertrauensperson, ein Ansprechpartner bei Problemen. „Wenn man so viel Zeit zusammen verbracht hat wie wir mit dem Lehrer in der Schule, möchte man ihn doch bei so einem wichtigen Tag wie dem Abiball dabeihaben“, sagt Linus Neidigk (17).

Er ist Sprecher des 12. Jahrgangs und hat die Abstimmung zur Einladung ihres Tutors zum Abiball initiiert. Die Entscheidung fiel einstimmig. Die Kosten für die Einladungskarte von 75 Euro wollten die 16 Schüler und Schülerinnen unter sich aufteilen, sodass jeder von ihnen nicht einmal 4,70 Euro hätte zahlen müssen. Ein guter Plan, fanden die Schüler. Doch als sie ihren Tutor offiziell einladen wollten, lehnte dieser ab.

„Völlig absurd“: Schüler sind enttäuscht über die Regeln und die Absage des Lehrers

Die Begründung: „Er hatte Angst, dass er wegen Bestechlichkeit Probleme bekommt“, zitiert Linus Neidigk den Lehrer. Der Pädagoge wollte sich selbst nicht zu dem Fall äußern, doch Linus Neidigk berichtet, dass sein Tutor bereits von Fällen gehört habe, bei denen ein Lehrer eine Abiball-Karte als Geschenk annahm – und dann später dafür zur Rechenschaft gezogen wurde.

„Völlig absurd“, finden der Abiturient und seine Klassenkameraden die Vorschrift. „Wenn man den Betrag auf die einzelnen Schüler umlegt, liegt er weit unter den erlaubten 20 Euro, die ein Lehrer annehmen darf“, so der 17-Jährige. „Und außerdem: Zum Zeitpunkt des Abiballs sind die Zensuren doch längst verteilt, wen sollte man dann also noch bestechen wollen?“ Die Frage ist rhetorisch gemeint.

Strenge Regeln für Beamte: Hamburg hat Regeln nach Stones-Affäre verschärft

Der Hintergrund: Nach der Stones-Affäre um Frei- oder Vorzugstickets hatte Hamburg die Regeln für Beamte verschärft und im Oktober 2019 die Neufassung der „Bekanntmachung über das Verbot und die ausnahmsweise zulässige Annahme von Belohnungen und Geschenken“ beschlossen.

Darin heißt es: „Beschäftigte, die in Bezug auf ihr Amt oder ihren Beruf Geschenke oder sonstige Vorteile annehmen, gefährden das Vertrauen der Allgemeinheit und ihrer Behörde in ihre Zuverlässigkeit und setzen das Ansehen des gesamten öffentlichen Dienstes herab.“

Abiball: Viele Lehrer sind nicht bereit – oder in der Lage –, die Kosten zu tragen

Das Luisen-Gymnasium ist kein Einzelfall. Auch andere Lehrer und Lehrerinnen an Hamburgs Schulen kennen das Problem. „Wir können damit leider nicht anders umgehen, weil es behördlich sehr strikt gehandhabt wird“, sagt Hanno Frey, Abteilungsleitung Oberstufe der Grund- und Stadtteilschule Alter Teichweg. Das sei gerade vor dem Hintergrund der oft sehr teuren Karten für den Abiball ärgerlich, weil viele Kolleginnen und Kollegen nicht bereit – und zum Teil auch nicht in der Lage – seien, diese Kosten jedes Jahr selbst zu tragen.

„Bei den Abiball-Karten ist es oft so, dass diese so teuer sind, dass man schon ins Nachdenken geraten kann, ob man nun jedes Jahr teilnimmt“, weiß auch Jochen Schmerkotte, Beratungslehrer am Gymnasium Altona. Er gibt jedoch zu bedenken: „Die Kosten für die Schüler und ihre Familien sind also ohnehin schon hoch. Ich würde mir ehrlich gesagt ziemlich schäbig vorkommen, wenn meine Schüler und Schülerinnen meine Abiball-Karte bezahlen sollten. So schlecht verdienen wir ja nun auch nicht.“ Außerdem könne man ja auch für kleines Geld den Späteinlass nutzen.

Angst vor Beeinflussung: Warum Lehrer teure Geschenke nicht annehmen dürfen

Einige Lehrer halten die strengen Regeln für übertrieben, weil der Abiball erst nach Erteilung aller Noten erfolge. Damit sei ein Bestechungsversuch weder zu befürchten noch möglich. Ein weiterer Kritikpunkt: Es handele sich ja nicht um das Geschenk einer Einzelperson, sondern einer Gruppe.

Die Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) weist die Kritik zurück. „Das Vertrauen der Allgemeinheit in die Unabhängigkeit und Objektivität des öffentlichen Dienstes ist für die Akzeptanz von Staat und Verwaltung von hoher Bedeutung“, sagt Sprecher Peter Albrecht. Der Schein der Beeinflussbarkeit müsse vermieden werden. „Daher dürfen Angehörige des öffentlichen Dienstes in Bezug auf ihr Amt grundsätzlich keine Belohnungen und Geschenke annehmen.“

Strenge Regeln für Lehrer: Geschenke dürfen den Wert von 20 Euro nicht überschreiten

Gemäß der geltenden Regelung sei die Annahme eines Geschenks von Dritten wie zum Beispiel Eltern im Wert von mehr als 20 Euro untersagt. „Schulabschlussveranstaltungen, wie ein Abiball, sind keine schulischen Veranstaltungen, sondern Veranstaltungen privater Natur. Die Kosten für die Teilnahme an einer solchen Veranstaltung übersteigen in der Regel einen Wert von 20 Euro“, so Peter Albrecht. „Die schulischen Beschäftigten sind folglich dazu gehalten, die Karten für den Abiball eigenständig zu erwerben.“

Das sieht auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hamburg so: „Lehrkräfte dürfen zu Recht keine Geschenke etc. annehmen“, so die stellvertretende Vorsitzende der GEW Hamburg Yvonne Heimbüchel. Da eine Abifeier rein formell eine private Veranstaltung sei, müsse sie auch privat bezahlt werden – von den Teilnehmenden und auch von den Lehrkräften.

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„Als GEW halten wir die grundsätzliche Regelung für richtig“, sagt Yvonne Heimbüchel, plädiert aber für einen Kompromiss. „Allerdings ist zu verstehen, dass die Schüler und Schülerinnen ihre Lehrkräfte gerne dabei hätten, sofern diese ein Interesse daran haben. Auch für Lehrkräfte ist dies ein Ausdruck der Wertschätzung. Da genehmigte Ausnahmen möglich sind, könnte hier je nach Schule geschaut werden, um den festlichen Rahmen, die Beteiligung und Wertschätzung zu stützen.“

Die Schülerinnen und Schüler in Bergedorf können übrigens wohl doch noch mit ihrem Lehrer zusammen feiern: Er hat angekündigt, den Späteinlass zu nutzen. Auf eigenen Kosten. Dann sind die Karten billiger.