Hamburg. Betrug um Diamanten und Yachten: Anklage schon 2020 erhoben, Verfahren noch nicht eröffnet, betrogene Anleger warten. CDU sieht Justizkrise.

Was ist schlimmer? Eine Bande, eine wahre internationale Mafia, die Hamburg mit Tonnen von Kokain überschwemmt? Oder eine abgezockte Truppe von heimischen Anlagebetrügern, die ein Schneeballsystem entwickelt haben, um Omi und Opi Zehntausende Euro aus der Schublade zu ziehen und Millionen zu ergaunern?

Niemand kann die Frage ernsthaft beantworten. Doch in der Hamburger Justiz und jetzt auch in der Politik drängt sie sich auf. Denn während die Verfahren um den Drogenschmuggel über den Hamburger Hafen oben auf den Aktenbergen von Staatsanwälten und Richtern liegen, kommen die ausermittelten Anklagen in anderen Fällen nicht vom Fleck. Das ist kein Klischee mehr. Es ist die quasi amtlich bestätigte Realität in der hanseatischen Rechtsprechung.

Pfandhaus Lombardium: Nach vier Jahren noch keine Verhandlung

Der Senat musste das gerade mal wieder einräumen in einem der spektakulärsten Fälle von Wirtschaftskriminalität, die die Stadt in den vergangenen Jahren gesehen hat. Ähnlich wie bei dem just verstorbenen Betrüger und Hochstapler Jürgen Harksen geht es um die Verführung zu Geldanlagen, die hohe Gewinne versprechen, am Ende aber vor allem den Anbietern nützen.

Im sogenannten Lombardium-Verfahren wurde vor vier Jahren eine fertige Anklage aus der Staatsanwaltschaft die wenigen Meter zum Landgericht hinübergeschoben. Seitdem gibt es dort keine Bewegung. Das Gericht hat noch nicht über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden, geschweige denn einen Prozessbeginn terminiert.

Der CDU-Abgeordnete Richard Seelmaecker beklagt die lange Dauer von der Anklage zur Prozesseröffnung bei Lombardium und anderen Verfahren.
Der CDU-Abgeordnete Richard Seelmaecker beklagt die lange Dauer von der Anklage zur Prozesseröffnung bei Lombardium und anderen Verfahren. © FUNKE Foto Services | Mark Sandten / FUNKE FOTO SERVICES

In einer Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Abgeordneten Richard Seelmaecker reduzieren sich die Gründe für die jahrelangen Verzögerungen von Verfahren auf einen Punkt: Encrochat. Das war die Firma, die Kryptohandys anbot, also Mobilgeräte, die als abhörsicher galten. Drogenhändlern garantierten sie eine freizügige Kommunikation – bis Polizeiexperten quer durch Europa sie knackten und mitlasen. Aus den Encrochat-Protokollen erwuchsen in Hamburg gigantische Verfahren um den Kokainschmuggel. Fast immer geht es um Tonnen der Droge, fast immer gab es Urteile mit Haftstrafen. Und weil schon die Ermittlungen zu Verhaftungen führen, müssen hier „schnelle“ Prozesse folgen, um die mutmaßlichen Täter und ihre Hintermänner nicht zu lange in U-Haft „schmoren“ zu lassen.

1744 Fälle von banden- und gewerbsmäßigem Betrug an Kleinanlegern

Jurist Seelmaecker ist mit Blick auf die Lombardium-Sache fassungslos: „Dass seit mittlerweile fast vier Jahren nicht über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden wurde und noch immer nicht absehbar ist, wann die Entscheidung des Landgerichts getroffen wird, ist nicht nur eine Bankrotterklärung des Rechtsstaates, sondern auch ein Schlag ins Gesicht der rund 1700 Opfer dieser kriminellen Bande! Die mutmaßlichen Betrüger haben ihre Millionenschäden bereits vor über zehn Jahren ergaunert und sitzen immer noch nicht auf der Anklagebank.“

Der Senat legt mit den Angaben der Staatsanwaltschaft und der Justizbehörde die Fakten zu Lombardium auf den Tisch: Auch wenn die Unschuldsvermutung gegenüber den Angeklagten gilt, geht es um insgesamt 1744 Fälle von banden- und gewerbsmäßigem Betrug. Es gibt vier Beschuldigte, vier Helfer und wohl weitere Beschuldigte oder Helfer, denen zudem unerlaubte Bankgeschäfte vorgeworfen werden. 235 Seiten umfasst die Anklageschrift. Es geht um mindestens 1425 Anleger, die insgesamt 41 Millionen Euro verloren haben sollen.

Lombardium: Sogar Bundesgerichtshof spricht von Schneeballsystem

Das verschachtelte Unternehmen Lombardium wurde bereits im Jahr 2016 durchsucht, weil es Hinweise auf das Schneeballsystem gab. Es funktionierte grob beschrieben so: Das Pfandhaus soll angeblich Diamanten, Kunstwerke, Oldtimer und sogar Yachten von Kunden entgegengenommen haben. Um das Geld für diese Pfandkredite an die Eigner der Luxusgegenstände zu besorgen, soll Lombardium Fonds für Anleger aufgelegt und in den Prospekten mit hohen Renditen geworben haben. Auch seriöse Finanzvermittler boten diese Fonds ihren Kunden an. Denn hinterlegt waren ja augenscheinlich hochwertige Güter. Doch das war laut Anklage nur vorgegaukelt. Musste Lombardium den ersten Anlegern wieder Geld und Rendite auszahlen, taten sie das entweder mit dem Geld neuer Anleger oder überredeten sie zur weiteren Anlage.

Der Senat schreibt in seiner Antwort an Seelmaecker: „Wäre den Anlegern die tatsächliche wirtschaftliche Situation der Lombardium-Gruppe bekannt gewesen, nämlich, dass es überhaupt kein Pfandgeschäft in nennenswertem Umfang gab und die Anlagegelder primär zur Deckung von Altverbindlichkeiten verwendet wurden, hätten sie von der Investition Abstand genommen.“ In 244 Fällen haben Anleger mindestens 50.000 Euro verloren.

Zwielichtiger Sponsor beim Tennis am Rothenbaum

Und selbst die, die zwischendurch Auszahlungen aus den verschiedenen Fonds bekamen, verloren am Ende vor dem Bundesgerichtshof (BGH) gegen den Insolvenzverwalter. In den Zivilverfahren ging es schneller als mit der Hamburger Anklage. Der BGH erklärte unter anderem in seinem Urteil über mehrere Revisionen (Aktenzeichen IX ZR 10/23): Weil es bei Lombardium in vielen Fällen nur „Scheingewinne“ gab, durften die auch nicht ausgeschüttet werden – doppelt Pech für die Anleger. Erst kam der Insolvenzverwalter zu seinem Geld. Der BGH spricht bei Lombardium glockenklar von einem betrügerischen „Schneeballsystem“. Das wird in Hamburg vor Gericht noch zu beweisen sein. Die Anklage wirft den mutmaßlichen Tätern außerdem vor, Zertifikate des International Gemological Institute über angebliche Diamanten gefälscht zu haben, die in ihrem Pfandhaus lagerten. Lombardium betätigte sich in Hamburg sogar als Sportsponsor beim Tennis am Rothenbaum.

Mit dem Lombardium-Verfahren muss der Hamburger Senat zudem einräumen, dass es immer länger dauert, bis eine fertige Anklage der Staatsanwaltschaft bei einem Prozess im Gericht dann tatsächlich verlesen werden kann. Vom Eingang der Akten bis zur Eröffnung eines Hauptverfahrens am Landgericht vergehen aktuell 4,7 Monate. Die Zahl steigerte sich auf diesen Spitzenwert von 2,6 Monaten (2020) auf 3,2 Monate (2021) und 3,6 (2022). In der Wirtschaftsstrafkammer lag dieser Wert 2023 sogar bei 6,1 Monaten.

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Das Landgericht sei in den vergangenen Jahren „wiederholt erheblich personell verstärkt“ worden, schreibt der Senat. „Die zuständige Behörde tauscht sich regelmäßig mit dem Präsidenten des Landgerichts aus und prüft, ob weitere Maßnahmen erforderlich sind.“ Das Lombardium-Verfahren sei hochkomplex, allein die Hauptakte habe inzwischen einen Umfang von mehr als 5500 Seiten; darüber hinaus umfasse das Verfahren 142 Umzugskartons mit Unterlagen.

Für CDU-Mann Seelmaecker ist es zu wenig, dass es in einem solchen Verfahren von der ersten Durchsuchung 2016 und der ausgearbeiteten Anklage 2020 im Jahr 2024 noch immer keine Verhandlung gibt. Es sei schon jetzt klar, dass die Tatverdächtigen „in den Genuss von Strafrabatten gelangen werden, weil der Tatzeitraum so lange her ist“. Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) sei gefordert: „Frau Gallina muss hier ebenso wie bei der Staatsanwaltschaft endlich dafür sorgen, dass Hamburgs Justiz personell und technisch so ausgestattet ist, dass sie ihre Aufgaben auch zeitnah erfüllen und die Täter der gerechten Strafe zuführen kann.“