Hamburg. Junger Politiker will Plakate wieder aufrichten und blutet plötzlich stark an der Hand. Bürgerschaftpräsidentin Carola Veit ist entsetzt.
Nach dem brutalen Angriff auf einen SPD-Politiker in Dresden werden auch die Attacken im Wahlkampf in Hamburg immer radikaler. So haben unbekannte Täter in Hamm das Plakat eines jungen Sozialdemokraten mit einer Rasierklinge präpariert. Als der 26 Jahre alte Olcay Aydik das abgerissene Plakat wieder aufstellen wollte, verletzte er sich an der Hand. Der Staatsschutz ermittelt nun unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, wie Polizeisprecher Holger Vehren dem Abendblatt bestätigte.
Es ist Sonntagvormittag, als sich Olcay Aydik auf den Weg in die Carl-Petersen-Straße in Hamm macht. Hier und im näheren Umkreis sind Wahlplakate von fast allen demokratischen Parteien in der Nacht heruntergerissen und in einen Graben geworfen worden. „So etwas ist leider schon Alltag im Wahlkampf“, sagt der 26-Jährige, der seit zehn Jahren in der SPD ist und nun als Spitzenkandidat seiner Partei in Hamm bei den Bezirkswahlen kandidiert.
Rasierklingen-Attacke auf SPD-Wahlkämpfer in Hamburg
Aydik will die SPD-Plakate, aber auch einige Tafeln der Konkurrenz wieder aufstellen. Was er dann erlebt, ist allerdings alles andere als normal. „Als ich eines der Plakate angefasst habe, bin ich mit der Hand leicht an die Rückseite gekommen“, erzählt der Jurist, der an der Universität Hamburg gerade an seiner Doktorarbeit schreibt. „Plötzlich spürte ich einen Schmerz, und es blutete heftig.“
Der Sozialdemokrat sieht sich die Rückseite des Plakats und des Aufstellers genauer an und traut seinen Augen kaum: „Auf der Rückseite war mit einem Klebeband eine Rasierklinge befestigt. Es war purer Zufall, dass ich die Klinge nur leicht berührt und nicht voll hineingefasst habe.“ So bleibt es zum Glück bei einem leichten Schnitt in den Mittelfinger.
Attacke auf SPD-Politiker: „Was zum Teufel ist kaputt bei diesen Menschen?“
Aydik erstattet Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung an den Plakaten. „Dieses Erlebnis hat mich schon geschockt“, sagt der 26-Jährige, der zum ersten Mal für ein politisches Amt kandidiert. „Auf der anderen Seite bin ich schon fast froh, dass es mich als Kandidaten selbst erwischt hat und nicht einen jungen Helfer oder eine Helferin, die wir besonders beschützen müssen.“
Rückendeckung und deutliche Worte zu der Attacke kommen von Hamburgs Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD). Die 50-Jährige postet auf Instagram das Foto eines angezündeten Wahlplakats aus ihrem eigenen Wahlkreis Rothenburgsort und schreibt dazu: „Was zum Teufel ist nur kaputt bei Menschen, die Wahlplakate anzünden oder mit Rasierklingen spicken, damit Kandidierende und Politiker:innen sich verletzen?“ Und weiter: „Wer Wahlkämpfer:innen körperlich angreift oder ihr Wahlkampfmaterial zerstört, stellt sich auf eine Stufe mit Menschen, die unser Staatssystem abschaffen wollen. Das geht gar nicht!“
Wahlkampf: Mehr Pöbeleien, aber auch mehr Lob auf den Straßen
Für Jungpolitiker Aydik ist der Ton im Wahlkampf insgesamt deutlich härter geworden. „Es kommt häufiger vor, dass man beim Anbringen von Plakaten auf der Straße beleidigt wird“, sagt er. „Auf der anderen Seite gibt es aber auch mehr Zuspruch. Da kommen dann Leute spontan auf einen zu und bedanken sich dafür, dass man sich engagiert. Das gab es früher so auch eher selten.“
Die Polizei verzeichnet im derzeit laufenden Europa- und Bezirkswahlkampf noch keine gestiegenen Gewaltakte gegen Politiker oder Einrichtungen in Hamburg. „Dazu liegen uns keine belastbaren Zahlen vor“, so Polizeisprecher Vehren. Weitere Anzeigen wegen des Präparierens von Plakaten mit Rasierklingen gebe es ebenfalls nicht.
Angriff auf SPD-Politiker: „Jetzt erst recht“
Zuletzt war es an einem Wahlkampfstand der AfD in Billstedt zu einem Handgemenge zwischen Politikern der Partei und einem knappen Dutzend Gegendemonstranten gekommen. Dabei wurde ein AfD-Politiker leicht an der Hand verletzt.
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Olcay Aydik will sich von der Rasierklingen-Falle jedenfalls nicht einschüchtern lassen. „Wir machen weiter, jetzt erst recht“, sagt er. Allerdings sei man auch nach der brutalen Attacke in Dresden, bei der der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke von vier Angreifern zusammengeschlagen wurde, vorsichtiger unterwegs. „Wir plakatieren nicht mehr bei Nacht und auch nur noch in größeren Gruppen“, sagt der Sozialdemokrat.